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# taz.de -- Polternder Sozi versus wurstelnder Weber
> Beim TV-Duell um das Amt des EU-Kommissionsvorsitzes geht es überraschend
> unterhaltsam zu. Im Klartextreden gibt es einen deutlichen Sieger
Bild: Die Kandidat*innen für die Kommission
Von Finn Holitzka
Ob im Élysée-Palast der Fernseher flimmerte, als am Dienstagabend sechs
Bewerber*innen für das Amt des EU-Kommissionsvorsitzes um Aufmerksamkeit
eiferten? Schließlich hatte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
zuletzt wieder deutlich gegen das Modell der europäischen
Spitzenkandidaturen geäußert: Es gebe keine Rechtsgrundlage.
Dabei bot die Diskussion in Brüssel im Vergleich zu nationalen Duellen
aufgelockertes Infotainment. Sehen konnte man da eine Union, die nicht
bürokratisch sein muss. Vor allem die amtierenden Kommissionsmitglieder
Frans Timmermans (SPE) und Margrethe Vestager (ALDE) präsentierten sich als
energische Solidarpolitiker*innen. Auch Ska Keller (Grüne) machte
glaubhaft, wie sehr sie an Europa glaubte. Und EVP-Anführer Manfred Weber?
Na ja.
Schon in den Eingangsstatements zeichnete sich ab, wer im Live-Format
punkten kann. Weber wurschtelt in bayerischem Englisch daher, dass Juncker
tolle Arbeit geleistet habe, jetzt solle es im Prinzip so weitergehen.
Daneben wirkt der ehemalige niederländische Außenminister und jetzige
Kommissions-Vize Timmermans wie das Versprechen, das Martin Schulz nie
einlösen konnte: Ein polternder Sozi mit Glatze, angriffslustig,
pointenreich. „It’s time“, wiederholt er immer wieder und meint damit
Unternehmenssteuern, Nachhaltigkeit und Mindestlohn, jedes Mal untermalt
mit zwei geballten Fäusten, die nach unten sausen, als würde er eine
subventionierte Kuh melken. Weber und Timmermans sind die
aussichtsreichsten Kandidaten für den Kommissionsvorsitz. Vestager, Keller,
der Linke Nico Cué und Jan Zahradil von den Konservativen (ACRE) sind aber
gleichberechtigte Gesprächspartner*innen: Alle haben eine Minute pro
Statement und zweimal die Möglichkeit, eine Frage an die anderen zu richten
(„Challenge“).
Es geht um die großen Klopper: Klimakrise, Migration, Steuerhinterziehung,
Trump. Ort der Debatte ist der Plenarsaal in Brüssel, sattblau
ausgeleuchtet und mit jeder Menge EU-Sterne dekoriert, ein bisschen wie ein
Raumschiff, in dem die Besatzung hinter blauen Stehpulten über den Kurs
berät.
Für den Linken Cué, selbst vor dem Franco-Regime nach Belgien geflohen, ist
„Migration eine Chance“. Vestager fordert mit dem Motto „Out of the
planes, down to the rails!“ ein besseres Netz für Schnellzüge. Sieger im
Klartextreden ist aber Timmermans: „Lasst uns immer wieder fragen: Alexa,
wann wird Amazon endlich Steuern zahlen?“ Was er sagt, bleibt wie in
Großbuchstaben im Raum stehen. Großbritannien sehe nun aus wie „Game of
Thrones auf Steroiden“, poltert er über den Schaden von EU-Feindlichkeit.
Blass bleiben dagegen die Konservativen Zahradil (so wenig EU wie möglich)
und Weber (viel EU, aber so, dass es niemandem wehtut). Besonders beim
Klimaschutz klaffen die Unterschiede. Weber wolle zwar CO2-neutral werden,
aber nicht zum Schaden der Arbeiter*innen in der Autoindustrie. Vestager
erinnert ihn daran, dass der Klimawandel Zusammenarbeit erfordere, kein
Partei-Klein-Klein. Weber entgegnet ihr bloß: „But Margarete …“ Ein Hauch
der Verzweiflung schimmert durch. Dabei hat Weber auch Argumente und Ideen:
Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeit bei außenpolitischen Fragen
etwa, in Sachen Venezuela hätte man so schneller reagieren können.
Die Debatte, auch wenn sie formatbedingt oberflächlich bleibt, hilft bei
der Entscheidungsfindung. Aber bei einem hat Marcon recht: Solange es keine
transnationalen Listen gibt, sind die Bewerber*innen zwar
EU-Spitzenkandidaten. Wählbar sind sie aber nur in ihren eigenen Ländern.
17 May 2019
## AUTOREN
Finn Holitzka
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