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> Zum ersten Mal kandidiert Ökolinx bei einer überregionalen Wahl. Jutta | |
> Ditfurth will die drohende Mehrheit nationalistischer und rechtsextremer | |
> Parteien im Europaparlament aufmischen | |
Bild: Die Ausbeutung beenden: Jutta Ditfurth | |
Aus Frankfurt am Main Christoph Schmidt-Lunau | |
Eine „Kampfansage gegen Rechts“ nennt die Radikalökologin und Feministin | |
Jutta Ditfurth ihre Kandidatur für das Europaparlament. Fragt man sie nach | |
der Rolle, die sie im Europaparlament übernehmen will, erinnert sie | |
fröhlich an ihren letzten Fernsehauftritt. In Maischbergers Talkshow hatte | |
sie 2017 den CDU-Politiker Wolfgang Bosbach derart auf die Palme gebracht, | |
dass er unter Protest seinen Platz im Studio räumte. Im nächsten | |
Europaparlament drohe eine Mehrheit nationalistischer, rechtsextremer und | |
faschistischer Parteien, rechnet sie vor: „Ich will die aufmischen mit | |
allem, was ich an politischen Techniken drauf habe, auch an Provokation; | |
wäre doch nett, wenn die weglaufen wie der Bosbach.“ | |
Zum ersten Mal kandidiert Ökolinx bei einer überregionalen Wahl. „Wir sind | |
eine außerparlamentarisch orientierte Partei, die in Bewegungen und | |
Bündnissen arbeitet. Wir kandidieren in strategisch ausgesuchten Fällen“, | |
sagt Ditfurth. Sie war Gründungsmitglied und eine der ersten | |
Vorstandssprecherinnen der Grünen. Im erbitterten Streit zwischen den | |
„Realos“ um Joschka Fischer und den „Fundis“ unterlegen, verließ sie 1… | |
die Partei. | |
Ökolinx ist in einigen Kommunalparlamenten vertreten, unter anderem im | |
Frankfurter Römer. Jetzt soll es bei der Europawahl gelingen. Die Mittel | |
der Kampagne sind bescheiden. Ein Plakat gibt es nicht. Da ist lediglich | |
der Flyer mit den politischen Positionen und Fotos der 30 KandatInnen aus | |
dem gesamten Bundesgebiet. Neben Ditfurth kandidiert auch Rechtsanwalt | |
Victor Pfaff, Mitbegründer von Pro Asyl. Für ein Ökolinx-Mandat im | |
Europaparlament müssten 160.000 WählerInnen ihr Kreuz bei Liste 34 machen. | |
„Ich bin optimistisch; ich habe das Gefühl, dass ich auf einer Welle | |
getragen werde“, sagt sie und berichtet von ihren Vortragsreisen, oft | |
geprägt von AktivistInnen von Fridays for future. | |
„Ich mache keine Wahlkampfveranstaltungen, die würden mich langweilen“, | |
sagt die Kandidatin. „Ich biete Vortragsveranstaltungen an. Örtliche | |
UnterstützerInnen laden mich dazu ein.“ Ihre Tour führte sie zunächst nach | |
Jena und Leipzig. „Da kamen jeweils mehr als 200 Leute, vor allem zwischen | |
20 und 30 Jahren, nur wenige Grauköpfe“, berichtet die 67-Jährige. Zwei | |
Themen bietet sie an. In „Capitalism kills climate“ plädiert sie für ein | |
Ende der Ausbeutung von Mensch und Natur, die schon bei Marx und Engels | |
Thema gewesen sei. „Wie ein Gewitter in der Wolke“, ist das zweite Thema | |
betitelt, ein Zitat von Jean Améry. Da erklärt sie, „wie der linke | |
Antizionismus zum Antisemitismus wurde“. Vor allem junge Erwachsene aus der | |
linken Szene interessierten sich für ihre Thesen. Sie erlebe auch | |
Widerspruch, „doch das sind spannende Diskussionen“. | |
Den Hype um die Grünen sieht sie in einem stillschweigenden Bündnis der | |
grünen PolitikerInnen und ihrer WählerInnen begründet: „Man lässt sich in | |
beiderseitigem Vorteil in Ruhe und lebt das angenehme Leben.“ Bereits bei | |
ihrem Austritt hatte sie angesichts der Zustimmung zum Nato-Einsatz im | |
früheren Jugoslawien „die vollständige Systemintegration“ der Grünen | |
beklagt. | |
Ditfurth tritt an für eine solidarische internationale Zusammenarbeit und | |
gegen Ausgrenzung und Abschottung. Die Geldpolitik der Europäischen | |
Zentralbank habe zwar den Zusammenbruch der Währungsunion verhindert, die | |
Ursachen aber nicht beseitigt: „Die aggressive Exportpolitik des deutschen | |
Kapitals zerstört weiter schwächere Wirtschaften, besonders im Süden und | |
Osten und verschärft die soziale Spaltung in einem Land wie Griechenland | |
sowie zwischen den EU-Staaten. Unsozial ist die Geldpolitik auch deshalb, | |
weil sie kleine Sparer*innen mit den Nullzinsen extrem benachteiligt,“ sagt | |
Ditfurth. Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis ist für | |
sie kein Bündnispartner: „Er kandidiert ja nur als Lockvogel und will sein | |
Mandat nicht annehmen oder schnell wieder abgeben. Das Problem mit Diem25 | |
ist nicht nur die reformistische Orientierung, sondern die enge | |
Verflechtung mit der antisemitischen BDS-Kampagne, die auf die Beseitigung | |
des Staates Israels zielt. Das geht mit uns überhaupt nicht.“ | |
Sie jedenfalls sei kein Lockvogel: „Ich habe vor, die volle Periode die | |
Auseinandersetzung gegen die absehbare rechte und rechtsradikale Mehrheit | |
zu führen und alle Chancen zu nutzen, außerparlamentarische Projekte gegen | |
Nazis und Klimakatastrophe zu unterstützen. Ich freu mich drauf!“ | |
Die Schlagzeilen, die ihr der Clinch mit Talkshowkönig Bosbach einbrachte, | |
hatten ihren Preis. Seitdem habe noch jede Talkshowredaktion, die ihre | |
Teilnahme angefragt habe, die Einladung wieder abgesagt, weil andere | |
Teilnehmer nicht mit ihr hätten diskutieren wollen, erzählt die | |
Ökolinx-Kandidatin. Sie weiß: Ohne Plakate und ohne Glotze wird es eng bei | |
der Auszählung der Stimmen. | |
17 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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