# taz.de -- Frühstück aufs Haus | |
> Der unverwüstliche Cellist Bob Rutman feiert am 15. Mai seinen 88. | |
> Geburtstag, ans Aufhören denkt er aber noch lange nicht | |
Von Guido Schirmeyer | |
Am gestrigen Muttertag bekommt Bob Rutman einen Lachanfall. Er denkt an | |
seine Mutter Maria, geboren 1889 in Schöneberg, und ihm fällt sofort wieder | |
der Satz ein, den sie ständig auszuspucken pflegte: „Ich hätte dich | |
abtreiben sollen!“ Bob sitzt auf seinem Bett in seinem kargen Hochparterre | |
in der Steinstraße im Scheunenviertel und bröselt etwas Gras. „Like some | |
pot?“. Das Pfeifchen geht rum. Rutmans Lachen, ein viel klingendes, | |
ächzendes Gekicher, eine Mischung aus Hohn und sarkastischem Amüsement, | |
mündet jetzt, dem Pfeifchen geschuldet, in krassen Hustenreiz. | |
Mutters derber Satz muss sich als Kind schmerzlich in Bobs Ohren gebohrt | |
haben. Kein Wunder, dass der Steel-Cellist Rutman seinen selbst gebauten | |
Cellos aus Stahl Klänge entlockt, die streckenweise enervierend wehtun. Mit | |
seinem 88. Geburtstag, den der Beatnik traditionell am 15. Mai über zwei | |
Tage und Nächte durchfeiert, rächt sich der verhinderte Abgetriebene an dem | |
füchterlichen Satz seiner Mutter: Schau her, ich lebe immer noch! | |
Rückblickend nimmt Rutman ihr jenen üblen Satz nicht krumm: | |
„I love you anyway“, lächelt er herzzerreißend und winkt ihr durch die | |
Rauchschwaden in seinem Zimmer zu. „Sie hat es wirklich schwer gehabt und | |
musste viel durchmachen.“ Gerahmt hängt Maria über Bobs Bürotür. Auf dem | |
Schwarzweißfoto sieht sie aus wie dem Ensemble aus Berlin Babylon | |
entsprungen, glamourös und mit gewieftem Blick. Eine Antiquitätenhändlerin, | |
geboren 1889, an der Uhlandstraße Ecke Kurfürstendamm. „Sie kannte Marlene | |
Dietrich und hat stets auf sie geschimpft. Sie konnte es nicht ertragen, | |
dass die Dietrich hübscher war“, erinnert sich Bob und kriegt erneut einen | |
Lachanfall. | |
Kühl posiert Mutter Maria an der Seite ihres Filius, da ist er zehn, der | |
Krieg nimmt Fahrt auf, die jüdische Mutter flieht mit ihrem Sohn vor den | |
Nazis gen Norden. Nach einer Odyssee durch Polen und Skandinavien landet | |
Bob in London. Da war der Vater von Bob Rutman längst tot, als Braunhemd | |
erschossen während des Röhm-Putschs. | |
Rutmans Lebenslust ist unermüdlich, ungebrochen sein Schaffensdrang. Erst | |
neulich hatte Rutman, der Bildhauer und Maler, eine Vernissage, eine seiner | |
unzähligen. Diesmal in der ausgezeichneten Galerie Zwitschermaschine in der | |
Potsdamer Straße, kuratiert von Zoltan Labas. Gábor Altorjay, geistiges | |
Oberhaupt der ungarischen Künstlerszene Berlins, hielt eine Laudatio auf | |
Rutman: „Ich wünschte, ich wäre wie du“. Mit achtundachtzig Jahren beginnt | |
er seit vielen Jahren den Tag im Hackbarth’s in der Auguststraße, Frühstück | |
aufs Haus. Zum Abendmahl bekommt Rutman den Künstlerbonus im | |
Prater-Restaurant. | |
Rutman, dessen Sohn Eric in Miami wohnt, lebt ohne Familie und wird von | |
einer Schar Helfer aus der Künstlerszene unterstützt. Aktueller Assistent | |
ist Nick Knapton, Siebdrucker aus Oregon mit Druckwerkstatt in Lichtenberg. | |
Knapton druckt die alten Werke Rutmans in einem alten Verfahren neu. Die | |
kleine, aber feine Werkschau in der Zwitschermaschine wartet zu Rutmans 88. | |
Geburtstag mit einer Specia Edition auf. | |
Morgen Abend beginnt die Feier in der Zwitschermaschine mit einem Konzert | |
von Musikerfreunden, angeführt von Percussionist Zam Johnson. Am | |
Mittwochabend gibt es wieder eine Rutman-Performance in der | |
Künstler-Kaschemme Eschloraque, mit KAI von den Dead Chickens an der | |
Gitarre. Zu seinem 88. wünscht Bob, dass sich seine Freunde Meret Becker | |
und Wim Wenders blicken lassen. Obwohl sein Birthday-Happening noch gar | |
nicht vorüber ist, denkt Rutman bereits an den nächstmöglichen Gig: | |
Eigentlich müsste Berlins letzter Veteran der Beat Generation – er kannte | |
Kerouac persönlich – in Huxleys Neuer Welt auftreten, des Namens wegen. | |
Vis-à-vis gibt es die alte Ruinenhalle „Urban Industrial“, die bald | |
schließen wird. Rutman denkt darüber nach, dort ein allerletztes Mal | |
aufzutreten. | |
14. Mai ab 19 Uhr: Vorspiel & Performance Bob Rutman, Galerie | |
Zwitschermaschine, Potsdamer Str. 161 | |
13 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Guido Schirmeyer | |
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