# taz.de -- „Ein sesshaftes Leben wäre nichts für mich“ | |
> Alicia Arens stammt aus einer Familie von SchaustellerInnen. Mit ihrer | |
> Tochter fährt sie im Wohnwagen durchs Land und fühlt sich überall zu | |
> Hause | |
Bild: Alicia Arens lebt auf fahrenden 15 Quadratmetern | |
Von Moritz Döring (Text) und Volker Wiciok (Fotos) | |
Heute hier, morgen dort. Die Schaustellerin Alicia Arens ist immer | |
unterwegs. Ihr Zuhause nimmt sie einfach mit: Mit ihrem Wohnwagen tourt sie | |
zusammen mit ihrer Tochter über die Jahrmärkte in Hessen, | |
Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. | |
Draußen: Ein paar SchaustellerInnen schlurfen müde über den Platz. Noch | |
sind die Essensstände und Fahrgeschäfte geschlossen. Kaum ein Geräusch, | |
noch keine schweren Gerüche in der Luft und keine zerrissenen Lose auf dem | |
Boden. Im Morgenlicht wirkt die Dortmunder Osterkirmes beinahe unwirklicher | |
als am Abend. Alicia Arens wartet an ihrem Imbisswagen. Der Weg zu ihrem | |
Wohnwagen führt an einer Reihe von Campern vorbei. Vor dem Wohnwagen ist | |
die Veranda aufgebaut. „Die rettet mich manchmal“, sagt die Schaustellerin. | |
„Ich hab ja nur begrenzt Platz.“ | |
Drinnen: Arens’ Zuhause besteht aus einem einzigen Raum. Rechts hinter der | |
Eingangstür steht der Ess- und Wohnzimmertisch. Er dient auch als | |
Arbeitsplatz: Vormittags schreibt die Schaustellerin hier die Abrechnungen. | |
Im Moment hat jedoch Tochter Stella den Tisch zu ihrem Spielplatz bestimmt | |
und „Minnie Maus“-Büchlein und Puppen ausgebreitet. Vom Tisch aus lässt | |
sich der ganze Raum überblicken: Hinter der Küchenzeile liegt der | |
Schlafbereich. An den Türrahmen hat Arens Fotos von Familienfeiern und ein | |
Bruno-Mars-Konzertticket geklemmt. Alles in allem misst der Wagen etwas | |
weniger als 15 Quadratmeter. Gemeinsam mit ihrer Tochter lebt sie hier 365 | |
Tage im Jahr. Sie suchen dringend etwas Größeres. „Einen Wohnwagen mit | |
Kinderzimmer.“ | |
Zusammenhalt: Nebenan steht der Wohnwagen von Arens’ Großeltern. Auch mit | |
den anderen SchaustellerInnen ist Arens gut bekannt: „Meist ist man ja auch | |
noch um 48.000 Ecken miteinander verwandt“, sagt sie und lacht. Man sei nur | |
eine kleine Minderheit der deutschen Bevölkerung. Da bleibe man unter sich. | |
Verwandt oder nicht, die Berufskaste sei für alle SchaustellerInnen wie | |
eine zweite Familie. Die Älteren nennt Arens Tante oder Onkel. Nur wenn es | |
ums Geschäft geht, wird aus der zweiten Familie Konkurrenz. „Und die | |
schläft nicht.“ | |
Familie: Ihr Urururgroßvater gründete vor 122 Jahren den Dortmunder | |
Schaustellerverein mit. „Bei uns sind fast alle Schausteller. Nur eine | |
Handvoll hat sich gegen den Beruf entschieden.“ Sie denkt kurz nach: Von | |
einem weiß sie, der habe ein duales Studium gemacht. Auch sie hat während | |
ihrer Schulzeit über eine andere Laufbahn nachgedacht, entschied sich aber | |
für das Schaustellerdasein und brach das Abitur ab. Das Leben als | |
Schaustellerin sei keine ganz freie Entscheidung: „Man wird da ja irgendwie | |
reingeboren.“ | |
Hirtenbrot: Zwischen dem Wohnwagen und ihrem Imbisswagen liegen kaum mehr | |
als zehn Meter. Mit 16 hat sie angefangen, Vollzeit zu arbeiten. Mit 22 | |
machte sie sich mit zwei Imbisswagen selbstständig: Auf dem einen verkaufte | |
sie Pommes – die würden immer gehen. Mit dem anderen bot sie Hirtenbrot an. | |
Das sei „heißer Schafskäse im Fladenbrot mit verschiedenen Gemüsen und | |
Soßen.“ Eine Eigenkreation. Doch die hat Nachahmer gefunden. „Das ist ganz | |
normal. Wenn du ein Geschäft hast, das läuft, dann dauert das vielleicht | |
ein Jahr, bis es fünf andere haben.“ | |
Spielplatzkindheit: „Eine Fahrkarte“, fordert Tochter Stella an der | |
Wohnwagentür. Ohne eine solche will sie niemanden hereinlassen. Stella ist | |
vier Jahre alt, „die achte Schaustellergeneration in unserer Familie“, sagt | |
die Mutter. Sie erzieht ihre Tochter allein. Wenn Arens arbeiten muss, | |
organisiert sie eine Babysitterin. Ansonsten kommt Stella bei anderen | |
SchaustellerInnen unter. Viele haben hier Kinder. Und man halte zusammen, | |
merkt Arens erneut an. Über ihre eigene Kindheit sagt die Schaustellerin, | |
sie sei auf dem „größten Spielplatz der Welt groß geworden“. Die Kinder | |
von SchaustellerInnen haben freien Eintritt bei allen Fahrgeschäften. | |
Unterwegs: An kaum einem Ort bleibt Arens länger als zwei Wochen. Nur in | |
ihrer Schulzeit war das anders. Das war möglich, weil ihre Großeltern zu | |
diesem Zeitpunkt bereits nur noch in der Region arbeiteten und sich in | |
Dortmund ein Haus gekauft hatten. Unter der Woche lebte Arens bei ihnen. | |
Wenn sie freihatte, reiste sie zu ihren Eltern, die mit ihrem Fahrgeschäft | |
durch Deutschland tourten. | |
Zu Hause: Arens genießt dieses Leben bis heute. „Ein dauerhaft sesshaftes | |
Leben wäre nichts für mich. Ich bin gerne unterwegs.“ Über ihrem Bett hat | |
die Schaustellerin ein Poster aufgehängt: „Zuhause ist …“ steht darauf, … | |
darunter folgt eine Aufzählung. Punkt eins: „… wo das Leben beginnt und die | |
Liebe wohnt.“ Und eine Heimat, hat sie die? Arens überlegt kurz: „Dortmund | |
ist meine Heimat, aber ich bin überall zu Hause.“ | |
Zukunft und Lernen: Arens’ Tochter Stella kommt nächstes Jahr in die | |
Schule. Wie und wo steht noch nicht fest. Viele Kinder von | |
SchaustellerInnen wechseln im Wochenrhythmus die Schule. „Da, wo du gerade | |
bist, da gehst du zur Schule“, sagt Arens. Die verschiedenen Klassen seien | |
jedoch unterschiedlich weit mit dem Unterrichtsstoff. In einem speziellen | |
Schulwagen unterstützen daher LehrerInnen die Kinder dabei, Lernlücken zu | |
schließen. Trotzdem ist das für Arens keine Wunschlösung. Andere Eltern | |
bringen ihre Kinder auf einem Internat unter. Aber Arens möchte Stella auf | |
eine „normale“ Schule schicken. Ihre Tochter bräuchte dafür jedoch einen | |
festen Wohnort: Stellas Großeltern besitzen zwar ein Haus in Dortmund, sind | |
aber selbst noch viel auf den Ruhrgebietskirmessen unterwegs. „Zum Glück | |
habe ich noch ein Jahr Zeit.“ | |
Der Baseballschläger: Auf der Waschmaschine liegt ein Baseballschläger. In | |
so einen Wohnwagen lasse sich schließlich ohne größere Probleme einbrechen, | |
sagt Arens. Ihr Freund hat ihr den Schläger geschenkt: „Damit ich auf mich | |
aufpassen kann, wenn er es nicht kann.“ Das ist nicht selten der Fall, | |
schließlich ist auch Arens’ Partner Schausteller. Mit Imbiss und | |
Riesenschaukel tourt ihr Freund durch Deutschland. Nur wenn sie auf | |
denselben Jahrmärkten arbeiten, sehen sie sich für längere Zeit. Das | |
geschieht etwa dreimal im Jahr. „Ansonsten nur sporadisch, kurz zwischen | |
Tür und Angel.“ Auf der Oberhausener Kirmes im Juni 2018 war Arens allein | |
im Wagen, als jemand einzubrechen versuchte: „Dem musste ich kurz eins über | |
die Rübe ziehen.“ Damit war die Sache erledigt. | |
Abends: Bunt blinkende Lampen erleuchten den Platz. Jugendliche drängeln | |
sich vor dem Autoscooter, aus dessen Boxen Rihannas „Umbrella“ ein paar | |
Dezibel zu laut dröhnt, während man vom Riesenrad her Elvis’ „Don’t“ … | |
Kaum jemand hat in den Gondeln Platz genommen. Von der Riesenschaukel | |
schwappt ab und an lautes Gekreische herüber. Immer wieder ziehen Gerüche | |
von Zuckerwatte, gebrannten Mandeln und Bratfett vorbei. Arens steht in | |
ihrem Imbisswagen und reicht einem Kirmesbesucher eine Schale Pommes. | |
„Bisher ist nicht so viel los“, sagt sie. „Hoffentlich wird das noch | |
besser.“ | |
4 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Moritz Döring | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |