# taz.de -- „Seien wir ehrlich: Das ist nicht viel“ | |
> Früher war Siemens ein Rundumversorger für seine Arbeiter – inklusive | |
> Krankenkasse und Wohnungen. Die Zeiten sind vorbei, daran ändere auch der | |
> neue Campus nichts, sagt Denkmalschützer Lutz Oberländer | |
Interview Katharina Schmidt | |
taz: Herr Oberländer, warum waren die sumpfigen Nonnenwiesen damals so | |
attraktiv für Siemens? | |
Lutz Oberländer: Das Gebiet war billig und gleichzeitig nahe an Berlin | |
gelegen, wo es genug Arbeiter und einen Absatzmarkt gab. Außerdem waren die | |
Nonnenwiesen durch die Spree als Wasserstraße und dem Bahnhof Jungfernheide | |
gut angebunden. Damals, um 1900, gab es noch keine Autos. Die Arbeiter | |
wurden also zunächst mit Schiffen hierher gebracht – es waren ja noch keine | |
Wege vorhanden. Später wurde das Gebiet aufgeschüttet, um die ersten | |
Gebäude zu bauen. Dementsprechend heißen viele der Straßen Rohr-, Siemens- | |
oder Nonnendamm. | |
War Werner von Siemens ein sozialer Visionär? | |
Er war der Gründer. Es war sein Sohn Carl-Friedrich von Siemens, der den | |
Wohnungsbau veranlasste und die Siemens-Krankenkasse aufbaute. Der Umfang, | |
in dem sich um die Siemens-Mitarbeiter gekümmert wurde, war für die Zeit | |
gigantisch. Allerdings hat das Unternehmen davon profitiert. Die Siedlung | |
etwa, in der ich wohne, liegt nahe an den Siemenswerken. Hier durften nur | |
Leute wohnen, die betriebswichtige Funktionen haben – mit dem kleinen | |
Nachteil, dass sie Telefone bekommen haben. Wenn man angerufen wurde, | |
durfte man gleich zur Arbeit kommen. | |
Ein soziales Programm mit Hintergedanken. | |
Das Gute und Lukrative liegt manchmal dicht beieinander. Siemens hat | |
erkannt, wenn die Leute es nicht weit zur Arbeit haben, können sie längere | |
Schichte arbeiten. Und wenn sie sich mit dem Unternehmen stark | |
identifizieren, produzieren sie besser. Es gab einen Siemens-Kindergarten, | |
eine Siemens-Schule, später fing man als Lehrling an und konnte sich bis | |
zum Ingenieur hochqualifizieren – und wurde man krank, gab es die | |
Siemens-Krankenkasse. Es war an alles gedacht – solange man dazugehört und | |
nicht aus der Reihe tanzte. Wurde einer frech, musste er die Wohnung | |
verlassen, was ganze Familien zerstören konnte. Oder wollte jemand | |
aussteigen, verlor er seine Siemens-Pension. So schön die Verlockungen | |
waren, sie hatten ihren Preis. | |
Der Siemens-Turm ist bis heute weithin sichtbar – eine Machtdemonstration? | |
Der Turm steht nicht zufällig wie ein Kirchturm in der Mitte. Die | |
Siemensstadt war damals das Aushängeschild für Siemens, das den Anspruch | |
hatte, Weltmarktführer zu sein. Hierher wurden in den 20er und 30er Jahren | |
Politiker, Fürsten und Könige eingeladen, um ihnen zu imponieren. | |
Warum ging Siemens nach dem Zweiten Weltkrieg nach München? | |
Bereits 1944 hatten sich die Alliierten auf Jalta verständigt, wie sie | |
Deutschland aufteilen. Siemens erfuhr davon durch gute Kontakte im Ausland | |
und hatte wenig Interesse daran, den Sowjets die Patente und Mitarbeiter in | |
die Hände fallen zu lassen. Alles, was für Siemens an Wert war, ist schon | |
1944 nach München oder Erlangen abtransportiert worden. Zudem war Berlin | |
später als Mauerstadt transportlogistisch von Nachteil. Siemens baute | |
Turbinen und Großmaschinen, die erst durch die DDR gefahren werden mussten, | |
um sie anschließend weltweit zu verkaufen. Genauso verhielt es sich mit den | |
Rohstoffen. | |
Und nach dem Mauerfall begann Siemens mit dem Abbau seiner Berliner | |
Produktionsstätten. | |
Siemens war in Westberlin Monopolanbieter bei Ampeln und U-Bahnen. Das fiel | |
nach 1990 weg, da es den offenen Markt und Osteuropa mit den günstigeren | |
Arbeitskräften gab. Außerdem wurde das ostdeutsche Umland stärker | |
subventioniert. Also errichtete Siemens Werke in Nauen oder Görlitz und | |
baute in Berlin ab. Der Konzern macht das geschickt. Als er die | |
Mobilfunksparte loswerden wollte, hat er an Nokia verkauft, die Mitarbeiter | |
haben ihre Arbeitsplätze behalten, bis Nokia das Werk geschlossen hat. | |
Jetzt kehrt Siemens zurück. | |
Ich denke, Siemens möchte eher einen Fuß in der Tür haben, sich aber nicht | |
ernsthaft beteiligen. Wie viel sind denn 600 Millionen Euro, auf zehn Jahre | |
verteilt? Zum Vergleich: Das Naturkundemuseum bekommt eine Milliarde auf | |
einen Schlag. Der inaktive BER-Flughafen kostet pro Monat 30 Millionen | |
Euro. Da wollen wir ehrlich sein: Die Summe ist nicht viel. Siemens kommt | |
nicht zurück, sondern baut sich einen Forschungsstandort und setzt eine | |
eigene Stadt in die Siemensstadt. Und wenn Siemens keine Lust mehr hat, | |
sind die genauso schnell weg, wie sie gekommen sind. | |
27 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schmidt | |
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