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# taz.de -- Die Nischen verschwinden
> Bei der Sanierung von Fassaden gehen Jahr für Jahr Hunderte Nistplätze
> von Spatzen und anderen Gebäudebrütern verloren. Denn nicht alle
> Hausbesitzer schaffen den vom Gesetz geforderten Ersatz
Bild: Noch sind Spatzen in Berlin überall zu sehen, hier am Brunnen auf dem Al…
Von Jana Tashina Wörrle
Berlin braucht Wohnungen. Und wenn in einer Stadt immer weniger Platz für
Neubauten ist, geht man eben statt in die Breite in die Höhe. Leer stehende
Dachböden haben Potenzial. Weil man aber gleichzeitig etwas für den
Klimaschutz tun will, werden Dächer nicht nur ausgebaut, sondern gedämmt.
Fassaden auch. Jede noch so kleine Ritze wird dicht gemacht. Dann geht
keine Wärme mehr flöten – aber dann zwitschert vielleicht auch bald kein
Spatz mehr.
Der Spatz liebt Berlin – noch. Es ist der Vogel, der hier mit Abstand am
meisten zu finden ist. Doch er braucht die Dächer, die alten, ungedämmten,
und die Ritzen in den Fassaden. Er ist ein sogenannter Gebäudebrüter. Genau
die haben es aber immer schwerer, wenn immer mehr Dächer saniert und zu
Wohnraum umgebaut werden. Strenge Vorgaben für eine Dämmung von Dächern und
Fassaden macht zudem die bundesweit geltende Energieeinsparverordnung. Und
der Spatz – wo soll er hin?
## Nest gefunden? Baustopp!
Das Naturschutzgesetz ist in diesem Fall eindeutig: Wer einen Vogel aus
seinem Nest rausschmeißt, also während der Brutzeit stört, macht sich
strafbar. Aber auch wer ein zwischenzeitlich leeres Nest – etwa im Winter –
einfach entfernt oder so verbaut, dass die Vögel nicht zurückkönnen, begeht
eine Ordnungswidrigkeit, wenn er keinen Ersatz beschafft. Das gilt für
jeden privaten und auch öffentlichen Bauherrn – und auch für
Bauunternehmen. Treffen sie mitten in der Bauzeit auf brütende Vögel,
müssen sie den Bau stoppen.
Das Gesetz lässt wenig Spielraum und doch wird es kaum angewendet –
geschweige denn kontrolliert. „Die Naturschutzbehörden sind auf Hinweise
der Bürger angewiesen“, sagt die Wildtierexpertin Katrin Koch vom NABU
Berlin und fügt hinzu, dass sich Bauherrn aber auch auf Antrag von den
Pflichten des Natur- und Artenschutzes befreien lassen können.
Voraussetzung wiederum: Sie schaffen Ersatz.
„Wir reden hier nicht von einem Nistkasten-Naturschutz“, fügt Koch beim
Stichwort „Ersatz“ jedoch sofort hinzu. Zwar sind selbst gebaute
Sperlingskästen – offiziell heißt der Spatz schließlich Haussperling – f…
das Balkongeländer oder die Hauswand nicht grundsätzlich schlecht. Einen
Ersatz für die leerstehenden Dachböden und Mauerritzen sind sie aber nicht.
Stattdessen braucht man Nisthilfen, die schon bei der Sanierung mit bedacht
werden. „Das sind Bauelemente, die in der Fassade eingelassen sind“,
erklärt die NABU-Mitarbeiterin. Quasi künstliche Ritzen und Höhlen im
Gebäude. Diese sieht man kaum, aber die Vögel nehmen sie gerne an. Denn
Spatzen, Mauersegler, Dohlen und auch Fledermäuse sind schon seit dem
Mittelalter, als in großem Stil Bäume gefällt wurden, in dunkle Höhlen
unter Dächern und die Ritzen in den Mauern umgezogen – und heute darauf
angewiesen.
Gebäudesanierung versus Naturschutz: Was scheinbar im Widerspruch steht,
muss kein Widerspruch sein, wenn Bauherrn, Architekten und auch
Handwerksbetriebe frühzeitig an die Alternativen denken und sie einplanen.
„Wir setzen uns deshalb für eine Änderung der Bauordnung ein, so dass die
Integration der Nisthilfen beim Bau Pflicht ist und auch eine
Voraussetzung, um Förderungen zu bekommen“, sagt Katrin Koch. Dann müssten
in jedes Gebäude, das saniert wird, von vornherein Nisthilfen – also
fertige Bauelemente – integriert und nicht erst angebracht werden, wenn
Nester zerstört werden.
Nach Kochs Vorstellung könnte zum Beispiel ein Prozent der gesamten
Bausumme „zwingend für solche Maßnahmen“ vorgeschrieben werden. Sie nennt
dies „Ökologisierung der Bauordnung“. Eine weitere Lösung wäre ein
Baustoppp in der Brutzeit je nach Vogelart zwischen März und August. Die
damit verbundene Verzögerung beim Baufortschritt ist allerdings undenkbar
für viele Bauherrn.
## Ersatzmaßnahmen
So setzen sowohl öffentliche als auch private Wohnungsbaugesellschaften
lieber auf die Ersatzmaßnahmen. Auf Anfrage teilt die Degewo beispielsweise
mit, dass sich der zunehmende Stellenwert von Natur- und Artenschutz auf
die Gebäudesanierungen, insbesondere auf die Sanierung der Fassadenhüllen,
auswirke. Bereits vorhandene Nistkästen würden dabei 1:1 wieder angebaut
und dort, wo Vogelnester und Ruhestätten für Fledermäuse entdeckt würden
und es keine Nisthilfen gibt, würden Ornithologen einbezogen, die neuen
Nistersatz installieren. Allerdings gilt bei der Degewo: „Die
Ersatznistkästen und Fledermaushöhlen werden nach Abschluss der Sanierung
an unseren Gebäuden angebracht“, so das Unternehmen. Also nicht in die
Fassaden integriert.
Auch die Gewobag berichtet von einer Zusammenarbeit mit Ornithologen und
entsprechenden Ersatzmaßnahmen, wenn Nester entdeckt würden. In den
nächsten zehn Jahren wird sie nach eigenen Angaben rund 150 Gebäude
umfangreich sanieren und an rund 30 weiteren Gebäuden Fassaden und Dächer
überarbeiten.
Die private Wohnungsbaugesellschaft Berolina hat ihren Gebäudebestand nach
eigenen Angaben bereits in den vergangenen Jahren komplett saniert. „In
mehreren Fällen haben wir zum Zeitpunkt der Fassadensanierung Nisthilfen
angebracht“, berichtet der Vorstandsvorsitzende Frank Schrecker. Er weist
zudem auf die genau 1.250 Bäume rund um die Berolina-Wohnungen hin – laut
Schrecker Ausweichbereiche zum Nisten.
Koch widerspricht: Ein Ausgleich für fehlende Nistmöglichkeiten für
Gebäudebrüter könne nicht durch neu gepflanzte Bäume entstehen. Die
Ausführungsvorschriften des Naturschutzgesetzes würden eindeutig besagen,
dass vorhandene Quartiere an Gebäuden, wenn sie nicht erhalten werden
können, 1:1 ersetzt werden müssen. Bei Turmfalken und Fledermäusen liegt
das Verhältnis sogar bei 1:2. Wenn es weniger Dächer und Mauerritzen für
die Vögel gibt, sind also nur die wirklich baulich integrierten Nisthilfen
ein Ausgleich.
Aber auch wenn die großen Wohnungsanbieter in Berlin diese
Vogelschutzmaßnahmen umsetzen, geht der Sanierung meist eine Zerstörung der
Nester voraus. Allein im Jahr 2017 wurden bei der Oberen Naturschutzbehörde
Berlins 316 Anträge auf die Befreiung von den Vorgaben des gesetzlichen
Vogelschutzes eingereicht, die rund 3.400 Niststätten betrafen. Laut
Senatsbauverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz werden die verloren
gehenden Lebensstätten durch Nisthilfen in mindestens gleicher Anzahl
ersetzt.
## Hohe Dunkelziffer
Das Thema Artenschutz an Gebäuden sei seit Jahrzehnten ein besonderes
Anliegen der Umweltverwaltung, erklärt Sprecher Derk Ehlert. Er weist zudem
auf das neue Förderprogramm „1000 grüne Dächer“ hin, das gerade erarbeit…
wird und noch in diesem Frühjahr verfügbar sein soll. Mit der Dachbegrünung
auf Bestandsgebäuden in besonders stark verdichteten Stadträumen gehe
indirekt auch die Förderung der Lebensräume der Gebäudebrüter einher, so
Ehlert.
Dass die Berliner Politik schon einiges tut für den Artenschutz hat laut
NABU auch dazu geführt, dass im Vergleich zu anderen großen Städten hier
noch vergleichsweise viele Gebäudebrüter leben. Dennoch sei die
Dunkelziffer der Sanierer hoch, die ohne vorherige Befreiung Niststätten
zerstören. Bauherrn hätten nämlich keine generelle Verpflichtung, bei
Baumaßnahmen an Gebäuden einen Gutachter hinzu zu ziehen, der erkennt, ob
und wenn ja, welche Vögel dort nisten.
## Nachbar frisst Mücken
„Alles, was wir für die wilden Tiere in der Stadt tun können, tut auch uns
gut. Wenn es in Parks und auf Balkonen blüht, finden Insekten Nahrung und
diese wiederum sind Futter für die Vögel. Blühende Wiesen statt Betonwüsten
tun aber auch uns gut“, sagt Koch. Hausbesitzer haben zudem weniger
Probleme mit anderen Mitbewohnern, wenn sie viele der fliegenden
Untermieter auf ihrem Grundstück haben: Sie sind äußerst nützliche
Kleininsektenfresser. So kann eine Fledermaus über Nacht bis zu 2.000
Mücken vertilgen, Mauersegler fressen pro Tag bis zu 10.000 Mücken oder
Blattläuse.
Die Bedeutung des Insektenschutzes – vor allem der Honigbiene – hat in den
letzten Jahren große mediale Aufmerksamkeit gefunden. Das wünscht sich der
NABU auch für die Vögel. Noch fühlen sich in Berlin im Vergleich zu anderen
Großstädten viele Gebäudebrüter wohl, aber wenn weiter so viele Grünfläch…
verschwinden und wenn ersatzlos gedämmt wird, wird sich das ändern.
„Deshalb wollen wir das jetzt in die Köpfe der Berliner bringen und nicht
erst aufschreien, wenn es zu spät ist“, warnt Katrin Koch.
8 Apr 2019
## AUTOREN
Jana Tashina Wörrle
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