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# taz.de -- Die Kerker des Kapitalismus
> Der deutsche Beitrag zur XXII. Triennale von Mailand stammt von Armin
> Linke. Der Fotograf bringt in seinen Bildern den triumphierenden
> Kapitalismus in seinen Nöten und Lügen auf den Begriff
Bild: United Nations, COP19, Climate Change Conference, 2013
Interview Alexander Stumm
Einer der Höhepunkte der am 1. März eröffneten XXII. Triennale di Milano
mit dem Titel „Broken Nature: Design Takes on Human Survival“ ist der
offizielle deutsche Beitrag von Armin Linke in Zusammenarbeit mit Giulia
Bruno und Giuseppe Ielasi. Zuerst beeindruckt der Ausstellungsort. In dem
1934 unter der Herrschaft Benito Mussolinis errichteten Triennalegebäude
reaktivierte das Team um den Fotografen und Filmemacher Linke eine
brutalistische Treppenanlage, die für die 1964 von Umberto Eco kuratierte
Triennale errichtet worden war und seither ein Schattendasein als Depot
fristete. So lässt schon der architektonische Rahmen der über mehrere
Stockwerke installierten Multimediaarbeit „Carceri d’Invenzione“ an
Giovanni Battista Piranesis titelgebende Kupferstiche aus dem 18.
Jahrhundert denken. Linke deutet die „Erfundenen Kerker“ in seiner Arbeit
aber zudem als manifesten Zustand des Kapitalismus.
taz: Herr Linke, Sie fassen in Ihren Arbeiten die netzwerkartigen
Strukturen des globalen Kapitalismus mit seinen komplexen Lieferketten,
seiner wissenschaftlichen Akkumulation von Daten und seiner Extraktion von
Rohstoffen in eindrückliche Bilder. Alles scheint nach Protokoll zu
verlaufen, gleichzeitig steuern wir in eine ökologische Katastrophe. Gibt
es noch Verantwortliche oder ist die Verantwortung vollends ins System
ausgelagert?
Armin Linke: Alle porträtierten Akteure sind und bleiben verantwortlich.
Das Problem ist, dass sie nur für einen einzelnen, kleinen Teil
verantwortlich sind. Die Arbeit untersucht, was der Nobelpreisträger Paul
Cruzen als das „Anthropozän“ definiert, die geologische Ära, in der der
Mensch die geografischen und klimatischen Veränderungen verursacht, die
unseren Planeten prägen, zum Guten und zum Schlechten.
Welche Rolle spielen Architektur und Infrastruktur innerhalb des Systems?
Ermöglichen sie die Ausbeutung oder sind sie als eigene Akteure zu
verstehen, zementieren sie Machtverhältnisse und diktieren sogar die
Narrative?
Ich nutze Architektur immer wieder als zentrales Motiv, wie bei United
Nations, COP19, Climate Change Conference, dem Eingangsbild der
Ausstellung. Es zeigt das Fußballstation Narodowy in Warschau, in dem 2013
die Klimakonferenz stattfand. Die Tribünen, dort, wo eigentlich das
Publikum sitzen sollte, bleiben vielsagend leer. Die Entscheidungen
wiederum werden in einer neuen, temporären Konstruktion getroffen, die auf
dem Spielfeld errichtet wurde: einem aufblasbaren Treibhaus, das natürlich
sehr energieintensiv ist. Hier zeigt Architektur anschaulich die
Widersprüchlichkeit globaler Klimapolitik. Und das Bild ist sprechend
dafür, dass die Grenzen zwischen Innen- und Außenraum zunehmend
verschwimmen. Architektur von Institutionen hat zugleich die Tendenz, nur
Hintergrund für performative Gesten zu sein. Sie wird zum Theater der
Entscheidung oder repräsentiert die Idee der möglichen Entscheidung. Mir
geht es um diese hintergründigen Strukturen.
Piranesis erfundene Kerker sind groteske Architekturen. Die Kerker, die Sie
uns aufzeigen, überspannen den gesamten Planeten. – Es gibt eigentlich kein
Außerhalb des Kerkers mehr.
Genau. In gewisser Weise sind wir in den von uns selbst geschaffenen
Strukturen gefangen und scheinen keine adäquaten Lösungen zu finden, um uns
daraus zu befreien. Das Außen ist vom Innen vollständig okkupiert. Das
beziehe ich nicht nur auf konkrete Architektur, sondern auch auf
infrastrukturelle Projekte, die sehr raumgreifend sein können und
gewissermaßen die Basis für die kapitalistische Akkumulation bilden.
Der Beitrag zur Triennale baut konzeptuell auf der Ausstellung
„Anthropozän-Observatorium“ im Haus der Kulturen der Welt (HKW) von 2013
auf. Der Begriff Observatorium intendiert, ein stiller Beobachter der
Prozesse zu sein. Sind Sie nicht doch mehr als das, vielmehr ein eigener
Protagonist mit einem aktiven Archiv?
Das Anthropozän-Projekt, eine Zusammenarbeit mit Territorial Agency – John
Palmesino and Ann-Sofi Rönnskog – und dem HKW-Kurator Anselm Franke, begann
tatsächlich mit der Idee von Neutralität. Aber sie ließ sich nicht lange
aufrechterhalten. Schon die Wahl des Standpunkts der Kamera im Raum ist ja
eine Entscheidung mit eigener Aussage. Dann gibt es den Ausstellungsraum,
der stets an Institutionen gebunden ist. Zu viele Fragen unterwandern stets
zwangsläufig die Neutralität.
Und das bedeutet?
Es geht eher darum, verschiedene Perspektiven aufzuzeigen. Beispielsweise
zeigen wir Dronenaufnahmen von ökologischen Aktivisten aus Indonesien.
Landgrabbing führt dort zur schier endlosen Plantagen für die
Palmölproduktion, die gleich auf mehreren Ebenen verheerend sind: Die
Rodung der uralten Regenwälder zerstört den Lebensraum unzähliger Tiere und
befeuert den Klimawandel, zudem wird die Landbevölkerung vertrieben oder
muss, seiner Existenzgrundlage beraubt, fortan als letztes Glied des
globalen Lieferkettenkapitalismus schlecht bezahlte Arbeit für
multinationale Konzerne verrichten. Die Situation ist die Folge eines
kolonial operierenden Extraktionssystems – die Form der Wirtschaft, die in
erster Linie auf der Gewinnung natürlicher Ressourcen beruht.
Andererseits stützen Sie sich auch auf Unterwasseraufnahmen von Marum
(Zentrum für Marine Umweltwissenschaften) in Bremen, das unter anderem das
Integrated Ocean Drilling Program organisiert.
Ja, der Tiefseeabbau (deep-sea mining) stellt eine gewaltige neue Grenze
innerhalb des Extraktionssystems dar. Wirtschaftlicher Wettbewerb ist hier
juristisch noch weitgehend unreguliert; ökologische Auswirkungen sind kaum
erforscht, Umweltzerstörung bleibt international ungeahndet. Mit der
Einbeziehung solcher aktivistisch oder wissenschaftlich motivierter Bilder
möchte ich verschiedene Agenden, verschiedene politische und ästhetische
Codes zusammenbringen, um sie lesbar zu machen: ein Labor der
Weltbetrachtung. Meine Hoffnung ist, dass sich durch diese diversen
Informationen Möglichkeiten ergeben, die Welt anders zu planen.
Sehen Sie Ihre Arbeit zuerst als künstlerische oder wissenschaftliche, oder
ist diese Unterscheidung für Sie nicht relevant?
Für mich sind es künstlerische Entscheidungen, weil sie mit gewissen
Freiheiten verbunden sind. Um Einblicke in die teils abgelegenen Orte zu
bekommen, ist es dadurch zudem möglich, einen Dialog der Vertraulichkeit
mit den Institutionen aufzubauen. Gleichzeitig geht es mir darum, zu
untersuchen, wie Politik oder Wissenschaft auf die Bildproduktion
zurückgreifen, um Informationen darzustellen, und welche
Repräsentationsmodelle sie wählen. Beispielsweise geht es in einem Teil
dieser Ausstellung, die wir zusammen mit Prof. Dr. Birgit Schneider
erarbeitet haben, um die Genealogie von Klimakarten, also die Geschichte
der Visualisierung des Klimawandels.
Ich produziere das Material aber eigentlich nicht mit einem
journalistischen oder dokumentarischen Hintergedanken, sondern doch mehr
wie ein Wissenschaftler, der langfristig Quellenmaterial sammelt, um es
schließlich neu zu komponieren. Für Carceri d’Invenzione konnte ich auf 10
Jahre Arbeit und 250 Terabyte Archivmaterial zurückgreifen.
Bis 1. September 2019, Mailand
11 Jun 2019
## AUTOREN
Alexander Stumm
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