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# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Morgane Llanque: Wer hat sich die cleane…
Gaston Bachelard hat über die Sehnsucht nach den eigenen vier Wänden
geschrieben: „Wenn man nach der wertvollsten Annehmlichkeit des Hauses
fragte, würden wir sagen: Das Haus beschützt die Träumerei, das Haus umhegt
den Träumer, das Haus erlaubt uns, in Frieden zu träumen.“ Ja! Die Ruhe und
Freiheit des Eigenheims. Weg von Warteschlangen vorm WG-Badezimmer,
Putzplandebatten und auch nur minimalen Kompromissen in Sachen Lautstärke
von Sex und Musik. Seien wir ehrlich. Im Grunde einfach weg von anderen
Menschen, wenn man gerade keine Lust auf sie hat. In Frieden Träumen.
Bis dahin sind Ausschlafen und Partynächte passé, weil die Maklerin nun mal
um Sonntag, 8 Uhr, zum Besichtigungstermin gebeten hat. Das Wochenende ist
vollständig dem Ziel gewidmet, Mitbewerber auszustechen. Beim Versuch, in
20-Minuten-Besichtigung-Slots so brav und zuverlässig wie möglich zu
wirken, wird man privat auch richtig langweilig.
Auch an diesem Sonntag mustern meine Konkurrenten und ich uns konzentriert
beim Kampf um eine Dachgeschosswohnung in Schöneberg. Wir alle haben die
gleiche Maskerade der Selbstoptimierung hinter uns: Bewerbermappen wurden
sorgfältig zusammengestellt, finanzieller Wohlstand wurde schön getüncht,
selbstverständlich ist man auf dem Papier Nichtraucher und spielt keinerlei
Musikinstrumente.
Wie bei anderen Besichtigungsterminen zuvor wird mir bewusst, dass alles,
was bei meinen WG-Zimmersuchen in Berlin für mich gesprochen hat, nun gegen
mich arbeitet: Mein ausländischer Name war bei Mitbewohner-Castings immer
ein exotischer Pluspunkt, auch mein Job kam gut an. „Freie Journalistin“,
das klingt zwar schon für Studenten irgendwie prekär, aber auch sexy. Man
konnte stets mit ausreichend viel mitgebrachtem Bier und klug beantworteten
Fragen nach der politischen Einstellung Defizite ausgleichen. Heute bin ich
mir schmerzhaft bewusst, dass einzig mein Kreuz auf dem
Selbstauskunftsbogen des Maklerbüros bei „selbständig“ zählt und dieses
Kreuz meinen Marktwert drastisch in die Tiefe stürzt.
Bachelard schreibt: „Das Haus ist ein Verband von Bildern, die dem Menschen
eine Stabilität beweisen oder vortäuschen.“ Bis uns das Haus Stabilität
vortäuschen kann, sind wir erst mal dran. Ich und ein blasser Mann im
Streifenhemd werden hochgerufen, wir haben den Slot 8.10 bis 8.30. Wir
klettern in einen sehr alten Aufzug mit gläsernen Schiebetüren und sehen
uns tief in die Augen. Jetzt gerade sind wir noch Leidensgenossen, doch
kaum ist das fünfte Stockwerk erreicht, wir wissen es beide, sind wir
Gegner. Wer hat sich die cleanere Fassade geweißelt?
Die Maklerin öffnet uns die Tür und beginnt nach wenigen Minuten des
Rundgangs mit dem Verhör. „Und warum suchen Sie eine neue Bleibe?“, fragt
sie den Mann. Ich schiele ihn gespannt von der Seite an. „Die Hauptmieterin
in meiner WG ist verstorben, und das ist mir sehr unangenehm und daher
möchte ich raus. Außerdem dachte ich, mit 32 immer noch in einer WG, das
ist doch eh etwas peinlich“, sagt er. Ich bin beeindruckt, die Maklerin
nicht. Dabei hat er sie ja vielleicht umgebracht, seine Hauptmieterin. „Sie
sind die Journalistin nicht wahr?“, sagt die Maklerin zu mir. „So eine
hatte ich schon mal. Hab sie damals direkt durchschaut. Die war gar nicht
an der Bude interessiert, die wollte nur eine Reportage machen, über die
kreativen-feindlichen Makler in Berlin.“
„Ich suche wirklich! Ich werde ganz sicher nicht über Sie schreiben!“,
krächze ich. Das Nichtrauchen hat am vergangenen Abend nicht so gut
funktioniert. Vielleicht sollte ich es auch einfach mal mit Ehrlichkeit
versuchen.
2 Apr 2019
## AUTOREN
Morgane Llanque
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