# taz.de -- Weiter Schreiben | |
> Spuren nicht ver-, sondern entdecken. Darum geht es den Autorinnen Widad | |
> Nabi und Annett Gröschner: Eine Begegnung | |
Bild: Auf den Spuren deutscher Schriftstellerinnen: die syrischkurdische Schrif… | |
Cindy Adjei | |
Das Treffen mit der syrischkurdische Schriftstellerin Widad Nabi und der | |
deutschen Autorin Annett Gröschner beginnt auf einem Friedhof in Pankow mit | |
der Suche nach dem Grab von Inge Müller. Wo sich früher einmal das Grab | |
befand, erinnert nun eine von Pflanzen überwucherte Gedenkstele an die | |
Autorin. Nabi holt ihr Notizbuch heraus mit einem von ihr verfassten | |
Gedicht, inspiriert von Inge Müllers Werken. Nachdem sie es laut vorgelesen | |
hat, einmal auf Deutsch und einmal auf Arabisch, legt sie es vor der | |
Gedenkstele ab. „Vielleicht kann Inge Müller in einem anderen Leben | |
Arabisch, dann kann sie beide Versionen lesen“, sagt Nabi. | |
Kennengelernt haben sich Annett Gröschner und Widad Nabi bei dem Projekt | |
„weiterschreiben.jetzt“, einem Portal für Literatur und Musik aus | |
Krisengebieten. Hier können Exilautor*innen auch nach ihrer Flucht | |
weiter veröffentlichen und mit in Deutschland bereits etablierten | |
Autor*innen zusammenarbeiten. Gemeinsam bilden die beiden solch ein | |
Tandem. Sie gehen durch Berlin und zeigen einander Orte, die sie an das | |
Leben in der DDR beziehungsweise in Aleppo erinnern. | |
## Kurz und tragisch | |
Nabi berichtet von ihrem neu entdeckten Interesse an der Lyrikerin Inge | |
Müller: Nachdem Annett Gröschner ihr einen Gedichtband von Müller gegeben | |
hatte, habe sie beschlossen, das Grab der vergessenen Schriftstellerin zu | |
besuchen. Das Leben der Schriftstellerin erinnere sie an das vieler | |
Künstlerinnen in aller Welt: kurz und tragisch. | |
In einem nahe gelegenem Café erzählt Nabi, was Berlin für sie bedeutet: | |
dass es für sie ein Zugang zur deutschen Kultur ist. In der so großen und | |
kulturreichen Stadt gebe es viele Orte und Menschen zu entdecken. Die | |
Lesungen mit Gröschner über die Initiative „Weiter Schreiben“ und die | |
Auseinandersetzung mit deutschen Künstler*innen helfen ihr, sich | |
einzufinden. Die deutsche Sprache beherrscht sie fließend, nur ab und zu | |
wirft sie ein Wort auf Arabisch ein und googelt gleich nach dem deutschen | |
Begriff. | |
Gröschner, gebürtige Magdeburgerin, ist in den über 30 Jahren, die sie hier | |
wohnt, zu einer echten Berlinerin geworden. Dass hier so viele | |
verschiedene Menschen aufeinandertreffen, ist für sie zur | |
Selbstverständlichkeit geworden. „Ich weiß nicht mal mehr, was ich gegessen | |
habe, bevor hier Einwander*innen aus aller Welt ankamen und ihre Gerichte | |
mitbrachten“, erzählt sie begeistert. | |
In ihrem Leben hat sie schon an vielen Orten Station gemacht: Sie studierte | |
in Berlin und Paris Germanistik, arbeitete als Historikerin im Museum und | |
dozierte an verschiedenen deutschen Universitäten. 2015 gründete sie mit | |
anderen die Initiative WIR MACHEN DAS/wearedoingit e. V. Die Initiative | |
organisiert mehrere Projekte, unter anderem „Weiter Schreiben“. Durch die | |
Zusammenarbeit mit Nabi werde ihr nun auch die arabische Community | |
vertrauter. Sie erzählt von der jeweils anderen Atmosphäre, wenn beide vor | |
einem deutschen oder einem arabischen Publikum lesen. Bei Letzterem sei die | |
Stimmung viel energetischer. | |
Obwohl es Nabi gefällt, in Deutschland zu leben, ist ihr doch etwas bewusst | |
geworden: Früher bedeutete Europa für sie Freiheit, Toleranz und Offenheit. | |
Inzwischen weiß sie aber, dass Europa auch für viel Leid in der Welt | |
verantwortlich ist, aber die Konsequenzen nicht tragen möchte. „Deutschland | |
zum Beispiel,“ erklärt sie, „verkauft Waffen an die Türkei, die von dort | |
aus wiederum in Syrien landen und verursachen, dass Menschen ihre Heimat | |
verlassen müssen. Wir fliehen nicht vor dem Land, wir fliehen vor dem | |
Krieg.“ Das würden viele Europäer vergessen, wenn es um den Diskurs über | |
Geflüchtete geht. Später in der S-Bahn erzählt sie, dass sie selbst gerne | |
nach Syrien zurückkehren würde, was nur möglich ist, wenn das Regime fällt. | |
Nabi und ihr Mann stehen nämlich beide auf der „Verbotenen Liste“ der | |
Assad-Regierung. | |
Auf dem taz lab: „Weiter Schreiben“: 16 Uhr, Lesesaal | |
30 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Cindy Adjei | |
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