# taz.de -- Die Avantgarde | |
> Wie kann man Flucht und Geflüchtete jenseits von Klischees darstellen? | |
> Der Fotograf Michael Danner findet Antworten bei Hannah Arendt | |
Von Jörg Colberg | |
Der Titel des Buchs –„Migration as Avant-Garde“ –lässt sich leicht | |
missverstehen. Er bezieht sich auf ein Zitat von Hannah Arendt aus ihrem | |
Artikel „We Refugees“ („Wir Flüchtlinge“). In ihm schrieb die vor den … | |
geflohene Philosophin: „Flüchtlinge, von Land zu Land getrieben, stellen | |
die Vorhut ihrer Menschen dar – sofern sie ihre Identität bewahren.“ Genau | |
davor graust es den Nationalpopulisten: dass es sich bei den Flüchtlingen | |
um die Vorhut einer anderen, fremden Kultur handelt, und dass sie uns in | |
Deutschland daran erinnern, dass aus und vor diesem Land vor nicht allzu | |
langer Zeit Menschen wie Hannah Arendt geflüchtet sind. | |
Wie lassen sich solche Aspekte dieses Themas bildlich beschreiben? Es gab | |
Tausende von Fotos vom Strom der Menschen über den Balkan oder über das | |
Mittelmeer. Dass sie sich auf den Weg machten und noch machen und wie sie | |
es tun, ist bekannt. Ebenso, wie viele von ihnen dabei jämmerlich | |
ertrinken, darunter auch der kleine Alan Kurdi, dem Danner sein Buch | |
gewidmet hat. Wie sie die deutsche Bürokratie hier begrüßt, auch davon weiß | |
man. Weniger bekannt ist, wie die Festung Europa an ihrer Peripherie, an | |
den Grenzen aussieht. | |
Ohne all dies zusammenzufassen, lässt sich das Schicksal dieser Menschen | |
nicht begreifen. Warum sich ein Mensch auf so einen langen und gefährlichen | |
Weg macht, nur um sich in der Fremde von wohlgenährten | |
Nationalpopulisten mit Lesebrille beschimpfen zu lassen. | |
Wie fotografiert man Not jenseits von Klischees? Wie strukturelle Gewalt? | |
Wie fotografiert man die Verzweiflung, die jemanden dazu treibt, sich auf | |
eine weite Reise in die Ferne zu machen, um dort in relativer Sicherheit | |
vor dem Nichts zu stehen? | |
Das Buch bedient sich dafür einiger Zitate von Hannah Arendt. „Wir mögen es | |
nicht“, schrieb sie, „ ‚Flüchtlinge‘ genannt zu werden. Wir nennen uns | |
gegenseitig ‚Neuankömmlinge‘ oder ‚Immigranten‘.“ Dazu kommen Fotos … | |
Archiv, die etwa Immigranten zeigen, die 1939 der amerikanischen | |
Freiheitsstatue zuwinken. Und dann gibt es noch die Fotografien von Michael | |
Danner selbst, entstanden in Deutschland und anderswo zwischen 2008 und | |
2017. Diese fotografische Vielfalt verdichtet sich zu einem Buch, in dem | |
Schicksale so sehr eine Rolle spielen wie das menschliche Bedürfnis, in | |
Ruhe und Frieden leben zu können. | |
Michael Danner: „Migration as Avant-Garde“. Kettler Verlag, November 2018, | |
120 Seiten, 45 Euro. | |
Jörg M. Colberg ist Professor für Fotografie an der University of Hartford | |
und schreibt unter cphmag.com über Fotobücher. | |
23 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Jörg Colberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |