# taz.de -- debatte: Von der FDP lernen | |
> Geht es um mehr soziale Gerechtigkeit durch höhere Erbschaftssteuern, | |
> heißt es oft, damit würden Leistungsanreize zerstört. Das muss aber gar | |
> nicht sein | |
Die Debatte über Gerechtigkeit und Verteilungsfragen wird endlich wieder | |
intensiver geführt. Wer aber Vorschläge unterbreitet, wie eine | |
Vermögensungleichheiten reduzierende Politik aussehen könnte, dem wird oft | |
vorgeworfen, sich nur mit dem Verteilen, nicht mit dem Erwirtschaften zu | |
beschäftigen. Wer also den vermeintlichen Leistungsträgern etwas von ihrem | |
„verdienten“ Einkommen oder Vermögen abknapsen will, dem wird vorgehalten, | |
er hemme die Antriebskraft der „Fleißigen“ und führe eine „Neiddebatte�… | |
Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender der Allianz, behauptete unlängst in der | |
Zeit sogar, er wisse nicht, was Gerechtigkeit sei, dies sei für ihn ein | |
„marxistischer Begriff“. | |
Die Argumentation ist immer die gleiche: Ja, soziale Gerechtigkeit sei ja | |
auch wichtig, aber nur wer die Pferde gut füttere, sorge dafür, dass die | |
„Rossbollen“ auch noch genügend Nährstoffe für die Spatzen enthalten. | |
Sprich: Wem würde es nützen, wenn die Verteilungsgerechtigkeit zunähme, die | |
Größe des Kuchens aber abnähme? Das sind zwar durchschaubare | |
Legitimationsstrategien, trotzdem ist es nicht verkehrt, zu fragen, ob | |
soziale Gerechtigkeit und das Prinzip der Leistungsorientierung nicht doch | |
zusammengehören. | |
Wer an einer stabilen Demokratie interessiert ist, darf Ungleichheiten | |
nicht beliebig anwachsen lassen. Schon Ralf Dahrendorf verwies darauf, dass | |
zu große Vermögensdifferenzen für liberale Demokratien existenzgefährdend | |
sind. Zugleich hängt die Beständigkeit einer Demokratie aber stark ab von | |
der Generierung von Wohlstand, also dem Drang, Eigentum und Vermögen zu | |
schaffen und massiv zu vermehren. | |
Lässt sich beides zusammen denken? Lässt sich Verteilungspolitik machen, | |
die den Leistungsgedanken aufnimmt? | |
Am Beispiel der Erbschaftssteuer auf hinterlassene Unternehmen lässt sich | |
zeigen, was bei „Piketty meets Lindner“ herauskommen könnte: Wann immer | |
über Nachlasssteuern auf Firmen gestritten wird, malen Interessenvertreter | |
den Teufel an die Wand. Würde der Fiskus überhöhte Erbschaftssteuern | |
kassieren, nähme das den Betrieben die finanzielle Schlagkraft für | |
Investitionen und Innovationen, so die Argumentation. In der Folge gingen | |
Jobs verloren und ganze Firmen gingen in Konkurs. | |
Hier ein „leistungsorientierter“ Gegenvorschlag: Der Staat könnte die | |
Erbschaftssteuer auf Unternehmen so festlegen, dass sie in Form einer | |
passiven Teilhaberschaft, also ohne jegliches unternehmerische | |
Mitspracherecht, umgesetzt wird. Die Nachfahren der Unternehmer können sich | |
dieser, sicher als unliebsam empfundenen „Partnerschaft“ entledigen, indem | |
sie den unerwünschten Miteigentümer auslösen, sprich, ihrer Steuerpflicht | |
in vollem Umfang nachkommen. In Unternehmerkreisen herrscht die | |
Überzeugung, dass der Staat nur eine bescheidene unternehmerische Kompetenz | |
besitzt. Der Anreiz, sich „freizukaufen“ wirkt also leistungsfördernd. | |
Eine solche Erbschaftssteuer müsste einerseits hoch genug sein, um spürbare | |
Vermögensverteilung zu ermöglichen – deutlich höher als derzeit – aber | |
nicht so hoch, dass der Rückkauf der staatlichen Teilhabe unerreichbar | |
bleibt. Die Unternehmenserben würden so motiviert, den „Laden am Laufen zu | |
halten“, nur so ließe sich die Staatsbeteiligung abschütteln. | |
Agiert ein Firmenerbe dagegen wirtschaftlich weniger erfolgreich und | |
bekommt die Finanzverwaltung somit nicht aus dem Boot, verbleibt dem Staat | |
die entsprechende Gewinnbeteiligung. Im schlimmsten Fall werden die | |
Sprösslinge scheitern, ohne dann allerdings die Schuld auf | |
Erbschaftssteuern schieben zu können. Die wären ja in Form der | |
mitsprachefreien Teilhabe nur festgelegt, aber niemals beglichen worden. | |
Lässt sich diese Kombination aus Leistungsdenken und | |
Ungleichheitsreduzierung auch auf der Seite der weniger Vermögenden denken? | |
Natürlich. Eine deutlich erhöhte Erbschaftsteuer könnte auch Teil der | |
Lösung der derzeit wichtigsten sozialen Frage, der Wohnungsfrage, sein. Der | |
Staat könnte mit dem zusätzlichen Geld aus Steuern auf hohe | |
Hinterlassenschaften den genossenschaftlichen Wohnungsbau anfeuern und die | |
Zahl der für Normal- und Geringverdiener bezahlbaren Mietwohnungen deutlich | |
erhöhen. | |
Wo ist da der Leistungsaspekt? Wer es schafft, neben seiner erträglichen | |
Miete noch einen gewissen Betrag beiseitezulegen, der bekommt diesen Betrag | |
staatlicherseits verdoppelt oder verdreifacht (das müsste nach sozialer | |
Staffelung erfolgen), um ihn zweckgebunden auf einem staatlichen Konto, | |
etwa der KfW, anwachsen zu lassen. Die Zweckgebundenheit würde darin | |
bestehen, dass die genossenschaftliche Wohnung dann dem | |
„leistungsorientierten“, aber weniger vermögenden Sparer ab dem | |
Renteneintritt oder der Erwerbsunfähigkeit lebenslänglich mietfrei zur | |
Verfügung steht. Wenn dieses Ziel realistisch erreichbar ist und keine | |
Schimäre darstellt, lässt sich der Leistungsanreiz des mietfreien Wohnens | |
im Alter kaum überschätzen. | |
Leistungsorientierung und Verteilungspolitik stellen also keine Gegensätze | |
dar, sondern lassen sich gut kombinieren. Nicht „billige“ Umverteilung nach | |
dem Prinzip „Eat the Rich“ ist angesagt, sondern eine Politik, die von den | |
wirklich Vermögenden so nimmt, dass deren Drive nicht abhandenkommt. Und | |
sie muss so gestaltet sein, dass auch der Rest der Gesellschaft die | |
Ambitionen, etwas zu leisten, nicht abtrainiert, sondern unterstützt | |
bekommt. | |
Pikettys Erkenntnis, dass radikale materielle Ungleichheit historisch in | |
aller Regel in Katastrophen mündet, sollte uns Antrieb genug sein. Und | |
keine Sorge: Der Vorwurf, sich der FDP anzubiedern, lässt sich leicht | |
entkräften. Fragen Sie doch einmal einen Lindner-Sympathisanten, was er von | |
den dargelegten Lösungsansätzen hält: gar nichts. | |
25 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Helmut Däuble | |
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