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# taz.de -- nordđŸŸthema: „Unser Produkt? Fertige Gesellen“
> Das Handwerk sucht dringend FachkrÀfte. Im Harburger Hafen haben
> Arbeitslose die Möglichkeit einer qualifizierten Ausbildung zum
> Bootsbauer oder Tischler. Eine Altersbegrenzung nach oben gibt es nicht
Bild: Wer einen eigenen Weg sucht, ist hier gut aufgehoben: in der Werkstatt im…
Von Niels Holsten
Wo kann man schon sein eigenes Tretboot bauen – und gleichzeitig an seiner
Zukunft? Im Hafen von Hamburg-Harburg: In der dortigen Zitadellenstraße
unterhÀlt die [1][Stiftung berufliche Bildung] eine kleine Werft, in der
bis zu 50 Frauen und MĂ€nner an diesem und anderen Projekten arbeiten. Sie
alle machen eine Umschulung zum [2][Bootsbauer] oder [3][Tischler] im
Bildungszentrum fĂŒr Holzberufe.
Annie Rose Cruz Cao etwa: Sie lernt Tischlerin und ist seit sechs Monaten
dabei. „Nach einem einwöchigen Praktikum war ich gleich voller Elan und
wollte sofort anfangen“. Sie habe gespĂŒrt, „das mach ich leidenschaftlich
gerne“. Die 37-JĂ€hrige wollte nach einer Musical-Ausbildung neu
durchstarten. Ein wichtiges Kriterium fĂŒr die zweifache Mutter: Dass sie
das auch [4][in Teilzeit] machen kann – was allerdings die Ausbildungsdauer
von 24 auf 36 Monate verlÀngert. Der Umschulung in Harburg muss die Agentur
fĂŒr Arbeit beziehungsweise das Jobcenter zustimmen; dann gibt es einen
Bildungsgutschein, der die Finanzierung sichert.
In der Regel mĂŒssen die Bewerber*innen mindestens 25 Jahre alt sein, schon
eine Ausbildung absolviert haben, mindestens ein Jahr lang
versicherungspflichtig beschĂ€ftigt gewesen sein – und mindestens ein Jahr
lang arbeitslos. Eine Altersgrenze nach oben gibt es nicht, im
Bildungszentrum fĂŒr Holzberufe ist der Ă€lteste UmschĂŒler gerade 55
geworden. Ein vorgeschriebenes Praktikum hilft dann bei der Entscheidung,
ob auch die Werft den AnwĂ€rter fĂŒr geeignet hĂ€lt.
„Die meisten der Bewerber sind in eine Sackgasse geraten“, sagt Gorch von
Blomberg, Bereichsleiter im Bildungszentrum fĂŒr Holzberufe fĂŒr die
„Stiftung berufliche Bildung“. Diese Menschen, bei der Agentur fĂŒr Arbeit
gelandet, wollten „aus Ihrem Leben noch einmal etwas machen“ – aber das s…
manchmal gar nicht so einfach. „Wir hatten gerade so einen Fall mit einer
Frau, mit der wir schon eineinhalb Jahre in Kontakt standen, und die immer
wieder anrief, dass es sie noch gibt“, erzĂ€hlt von Blomberg. „Die hat sich
ihr Recht auf Umschulung vor dem Sozialgericht erstritten, das hat mich
beeindruckt.“ Viele kĂ€men aus schwierigen Situationen, sagt der 53-jĂ€hrige
von Blomberg, der selbst schon Inhaber einer Werft fĂŒr umweltgerechten
Bootsbau war. „Ich halte es fĂŒr wichtig, das sie dort schnell wieder
rauskommen.“
FĂŒr Cruz Cao gestaltete sich der Weg auf die Werft weniger schwierig: Sie
bekam ihren Bildungsgutschein – und damit ihren Umschulungsplatz. Besonders
schĂ€tze sie, „dass wir unterschiedliche Herangehensweisen lernen, weil wir
verschiedene Meister zur VerfĂŒgung haben“. So habe sie die Möglichkeit zu
schauen, was fĂŒr sie am besten funktioniere, „sozusagen meine eigene
Technik erlernen“, sagt Cruz Cao. Überhaupt: „Jeder, der seinen eigenen Weg
finden möchte, ist hier gut aufgehoben.“
Auf sechs bis acht UmschĂŒler kommt hier ein Betreuer. Aber auch von den
MitschĂŒlern könne man viel lernen: „Das ist toll, dass hier so eine
Gruppendynamik ist, das jeder jedem hilft, wenn er nicht weiterkommt“, sagt
Cruz Cao. Es gebe einen starken sozialen Zusammenhalt, alle seien sehr
teamfĂ€hig. FĂŒr sie selbst komme vieles von dem zusammen, was sie schon
gelernt habe – sogar „von der Musical-Ausbildung: Wie gehe ich vernĂŒnftig
mit meinem Körper um?“
Bevor die Stiftung die Werft im Jahr 2011 ĂŒbernahm, betrieb sie der Verein
„Jugend in Arbeit“. Restauriert worden seien damals „viele Traditions- und
Museumsschiffe“, sagt Bootsbaumeister von Blomberg – „alles was nicht
grĂ¶ĂŸer ist als die ‚Cap San Diego‘“, jener StĂŒckgutfrachter, der heute…
der Hamburger ÜberseebrĂŒcke besichtigt werden kann.
Seit dem Wechsel verfolge man ein anderes Konzept, so von Blomberg: „Wir
fĂŒhren die Umschulungen ohne AbhĂ€ngigkeit von externer Kundschaft durch.
Wir wollen nicht ausgebremst oder zerrieben werden zwischen
Kundeninteressen.“ Man wolle auch nicht Konkurrenz zur Schiffsbaubranche
sein, sondern ihr Kooperationspartner. „Unsere Produkte sind fertig
ausgebildete Gesellen, nicht Boote oder Tische.“
Man wolle die FachkrÀfte ausbilden, die gebraucht werden. Und so nehme man
auch schon mal Praktikanten aus „normalen“ Betrieben, um ihnen etwas
ErgÀnzendes beizubringen. Umgekehrt gehören zur Umschulung externe
Praktika, insgesamt vier bei den Bootsbauern, drei bei den Tischlern. Annie
Rose Cruz Cao interessiert sich fĂŒr Möbelbau und absolviert gerade in einem
Betrieb ihr erstes Praktikum. „Dort erfahre ich noch mal andere Dinge“,
sagt sie – „zum Beispiel unter Zeitdruck zu arbeiten.“
Im Bildungszentrum wird ausschließlich an eigenen Booten gelernt. Auf circa
1.500 Quadratmetern, in einer Werkbank- und einer Maschinenhalle kann
restauriert, repariert oder eben auch ein ganzes Boot gebaut werden.„So
lÀsst sich die gesamte Bandbreite des umfangreichen Ausbildungsrahmenplans
abdecken“, sagt von Blomberg. „Unser Ziel ist, dass jemand, der von uns mit
dem Gesellenbrief in die Wirtschaft geht, in jeder Situation sagen kann:
Ja, das kann ich auch.“
Man wolle der beste und beliebteste BildungstrÀger im gewerblichen Bereich
in Norddeutschland werden. „Davon sind wir aktuell vier Jahre und
zehneinhalb Monate entfernt“, sagt von Blomberg. Probleme, die Absolventen
nach bestandener PrĂŒfung vor der Handwerkskammer in Jobs zu kriegen, sieht
er keine: „Versuchen sie mal, einen Tischlerbetrieb zu finden, der noch
KapazitĂ€ten hat und innerhalb weniger Monate liefern kann – die brauchen
FachkrĂ€fte“, so von Blomberg. Und das nicht nur in Deutschland: Ein
UmschĂŒler aus dem letzten Jahrgang sei nach Dubai gegangen. Auch im
Flugzeuginnenausbau und Windkraftanlagenbau seien die Absolventen begehrt.
Eine Studie des Instituts fĂŒr Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und des
Bundesinstituts Berufsbildung prognostiziert fĂŒr das Jahr 2030
FachkrĂ€ftemangel fĂŒr die Baubranche sowie in der Holz- und Kunststoffbe-
und -verarbeitung – 25.000 Menschen sind es demnach allein in
Norddeutschland. Auch Annie Rose Cruz Cao erzÀhlt, ihr Praktikumsbetrieb
habe gefragt, ob sie nicht Mitarbeiterin werden wolle. Aber nach gerade mal
sechs Wochen Ausbildung stehe das fĂŒr sie noch „in den Sternen“.
Am 22. MĂ€rz beginnt der nĂ€chste Tischler-Lehrgang, am 6. Mai der fĂŒr
Bootsbauer. Bewerbungen sind noch möglich bei Gorch von Blomberg, ☎040/211
12-435, [email protected]
9 Mar 2019
## LINKS
[1] https://www.stiftung-berufliche-bildung.de/
[2] https://www.jia-hamburg.de/fileadmin/user_upload/RZ-JiA-Bootsbauer-LangA4-6…
[3] https://www.jia-hamburg.de/fileadmin/user_upload/RZ-JiA-Tischler-LangA4-6s-…
[4] https://www.jia-hamburg.de/fileadmin/user_upload/RZ-JiA-Tischlerin-neu_2019…
## AUTOREN
Niels Holsten
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