# taz.de -- heute in bremen: „Der Sozialen Arbeit fehlt eine starke Lobby“ | |
Interview Stefan Simon | |
taz: Frau Barth, warum sollte die Wohnungsnot eine dringende Aufgabe | |
Sozialer Arbeit sein? | |
Cornelia Barth: Die Anzahl der Sozialwohnungen ist seit 1990 von rund | |
80.000 auf rund 8.000 drastisch zurückgegangen. Der Bedarf an diesen | |
Wohnungen dürfte in dem gleichen Zeitraum aber noch gestiegen sein. | |
Was bedeutet das für Sie als Sozialarbeiterin? | |
Wir können nicht mehr in Wohnungen vermitteln, beziehungsweise mit | |
vermittelnden Stellen kooperieren, sondern, von wenigen Ausnahmen | |
abgesehen, nur noch trösten oder in betreute Wohnformen vermitteln. Anstatt | |
wirkliche Lebensverbesserungen zu ermöglichen, müssen wir uns damit | |
begnügen, schwierige Wohnverhältnisse in Notübernachtungen oder | |
persönlichen Abhängigkeiten durch tröstende Worte minimal zu erleichtern. | |
Was muss sich ändern? | |
Die Soziale Arbeit darf sich damit nicht zufrieden geben, sondern muss | |
wieder deutlich zur Interessenvertretung ihrer Adressat*innen werden. | |
Wohnen ist ein Menschenrecht und dieses muss wieder deutlich eingefordert | |
und von den politischen Akteuren auch endlich umgesetzt werden. | |
Und warum tun sie das nicht schon längst? | |
Mein Studium ist schon lange, lange her und auch damals zeichnete sich der | |
Studiengang nicht durch eine besondere Berücksichtigung der Interessen von | |
Adressat*innen Sozialer Arbeit aus. Die Auseinandersetzung mit politischen | |
Zusammenhängen war dem Engagement einzelner Professor*innen überlassen, | |
aber die Hochschule selbst sah diesbezüglich keinen Bildungsauftrag. | |
Seitdem dürfte sich diesbezüglich meines Erachtens nichts verbessert haben | |
Warum nicht? | |
Es fehlt an einer starken und lauten Lobby sowohl für unsere Klient*innen, | |
aber auch für alle, die von Wohnungsnot und zu teuren Mieten betroffen | |
sind. Der Paritätische hat den Begriff der Mietzahlungsarmut geprägt, das | |
heißt, viele Menschen rutschen nach Abzug ihrer Mietzahlung unter den | |
Hartz-IV-Regelsatz. Soziale Arbeit muss sich endlich ihrer politischen | |
Verantwortung bewusst werden und deutlich und öffentlich Stellung beziehen. | |
Ein Weiter so kann und darf es nicht geben, denn dies gefährdet nicht nur | |
den sozialen Zusammenhalt, sondern den sozialen Frieden in unserer | |
Gesellschaft. | |
Auf der Fachtagung wird auch das Konzept von „Housing First“ vorgestellt. | |
Was steckt dahinter? | |
Das bedeutet, dass jemand ohne Voraussetzungen zunächst eine Wohnung, einen | |
Raum für sich bekommt. Mit dieser Ausgangsbasis kann er dann mit | |
Unterstützung die weiteren Schritte auf dem Weg in eine Stabilisierung oder | |
auch nur einer größeren Selbstständigkeit in Angriff nehmen. Dies kann | |
sowohl in ganz normalen Wohnungen, aber auch in einfachen Wohnungen | |
erfolgen. Das Entscheidende ist, dass jeder hinter sich eine Türe schließen | |
kann und seinen eigenen sicheren Bereich hat. | |
Wäre das auch eine realistische Option für Bremen? | |
In Bremen wurden gerade die sogenannten „Schlichtwohnungen“ im großen Stil | |
vernichtet, anstatt sie, wie auch von den jeweiligen Beiräten gefordert, | |
einfach zu sanieren und den Menschen, die diese Wohnform gewollt hätten, | |
zur Verfügung zu stellen. Ein bißchen grün vor der Türe und das Leben mit | |
einem Hund hat für viele eine durch nichts anderes zu ersetzende | |
Lebensqualität und muss auch Leistungsbezieher*innen möglich sein. | |
18 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Simon | |
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