# taz.de -- tazđŸthema: âEin Umdenken ist gefordertâ | |
> Vier Hochschulen in Deutschland orientieren sich an anthroposophischen | |
> Leitlinien â mit einem breiten FĂ€cherkanon. So kann man dort etwa | |
> wirtschaftliches Handeln aus einer etwas anderen Perspektive erlernen | |
Bild: Schulmedizinische Basis: An der Uni Witten-Herdecke lernen Medizinstudent… | |
Von Nicola Schwarzmaier | |
Weltweit gibt es mehr als 1.200 Waldorfschulen, davon rund 240 in | |
Deutschland. Wenn die Schulzeit mit Eurythmie, Gartenbau und Kerzenziehen | |
vorbei ist (und natĂŒrlich mit Mathematik, Geschichte und Englisch), geht es | |
fĂŒr die meisten SchĂŒlerInnen hinaus in die Welt der ânormalen PĂ€dagogikâ | |
und auf UniversitÀten, die von ganzheitlichem Lernen nicht viel halten. | |
AuĂer, man entscheidet sich fĂŒr eine der vier Hochschulen in Deutschland, | |
die anthroposophisch ausgerichtet sind oder dementsprechende StudiengÀnge | |
anbieten. Da gibt es von der ganz klassischen WaldorflehrerInnen-Ausbildung | |
bis hin zum BWL-Studium mittlerweile ein breites Themenspektrum. LĂ€ngst | |
haben sich die UniversitÀten vom Ruf befreit, nur auf eine Karriere an | |
einer Waldorfschule vorzubereiten. Die AbsolventInnen können fast ĂŒberall | |
arbeiten. | |
An der Alanus UniversitÀt in Alfter gibt es ein Partnerprogramm mit | |
Unternehmen, so dass die Studierenden schon wÀhrend des Studiums | |
Erfahrungen in der freien Wirtschaft sammeln können. Anthroposophie und | |
unternehmerischer Erfolg schlieĂen sich nicht aus. âViele unserer | |
AbsolventInnen grĂŒnden Unternehmen â nicht selten mit einem Fokus auf | |
Nachhaltigkeit; einige GrĂŒnderInnen haben das Exist Förderstipendium | |
erhaltenâ, erklĂ€rt Julia Wedel, Pressesprecherin der Alanus UniversitĂ€t. | |
Laura Zanolli beispielsweise arbeitet in der Praxisphase ihres BWL-Studiums | |
beim Drogeriemarkt dm. âIch denke, gerade in der heutigen Zeit ist es | |
wichtig, sich seiner selbst bewusst zu sein, um sagen zu können, wo und wie | |
man spÀter arbeiten will und das lerne ich unter anderem auf dieser | |
Hochschule. NatĂŒrlich kann es ein Stempel auf der Stirn sein, aber ein sehr | |
guter. Denn wenn der freie Arbeitsmarkt Menschen, welche ganzheitlich | |
denken und handeln, nicht schĂ€tzen lernt, mĂŒssen wir uns fragen, wo das | |
hinfĂŒhren wird.â Wirtschaftlich handeln, doch dabei das Menschliche nicht | |
aus dem Blick verlieren â genau solche FĂ€higkeiten zeichnen erfolgreiche | |
ManagerInnen aus. Nicht umsonst wird in Unternehmen immer mehr auf âSoft | |
Skillsâ Wert gelegt. Es geht nicht nur um den Einser-Abschluss in BWL, | |
sondern um den Blick ĂŒber den Tellerrand. âIn Wirtschaft und Gesellschaft | |
ist ein Umdenken â von einer Wachstums- und Konsumideologie hin zu mehr | |
Nachhaltigkeit und Verantwortung â gefordert. Dem tragen die innovativen | |
WirtschaftsstudiengÀnge der Alanus Hochschule Rechnung. Unsere | |
Absolventinnen und Absolventen stehen fĂŒr eine zukunftsorientierte | |
Wirtschaftâ, betont der Rektor der Alanus UniversitĂ€t, Hans Joachim Pieper. | |
An der Freien Hochschule Stuttgart werden WaldorflehrerInnen ausgebildet â | |
doch dank der staatlichen Anerkennung der UniversitÀt können die | |
AbsolventInnen an jeder Schule in Deutschland unterrichten. Auch hier | |
werden die Studierenden also sowohl auf eine âWaldorf-Karriereâ, als auch | |
auf eine Laufbahn an einer staatlichen Schule vorbereitet. Die Hochschule | |
fĂŒr KĂŒnste im Sozialen, Ottersberg, legt den Schwerpunkt ihrer Ausbildung | |
auf die Kunsttherapie, die nicht nur im anthroposophischen Umfeld immer | |
mehr gefragt ist. Die staatlich anerkannte Hochschule sieht sich als Ort | |
der umfassenden kĂŒnstlerischen und kĂŒnstlerisch-angewandten Bildung und | |
Ausbildung und als Motor fĂŒr soziale Innovationen. Die AbsolventInnen | |
erwerben hier ihren Bachelor-Abschluss. | |
Die UniversitĂ€t Witten-Herdecke wurde zwar von AnthroposophInnen gegrĂŒndet, | |
ist jedoch keine anthroposophische Hochschule. Das Ziel der GrĂŒnderInnen | |
war eine sozial aufgestellte UniversitÀt, die der Wahrheitssuche | |
verpflichtet ist und an der auch Minderheitenmeinungen gehört werden und | |
Methodenpluralismus gelehrt wird. Heute gibt es zwei anthroposophische | |
Begleitstudienangebote, die zusÀtzlich zu einem Medizin- oder | |
Psychologie-Studium absolviert werden können. Der Abschluss wird mit einem | |
universitÀtseigenen Zertifikat bestÀtigt. Auch Studierende von anderen | |
UniversitĂ€ten dĂŒrfen sich hier einschreiben. Momentan nehmen dieses Angebot | |
im integrierten Begleitstudium Anthroposophische Medizin (IBAM) etwa 15 | |
Studierende pro Semester an und im integrierten Begleitstudium | |
Anthroposophische Psychologie (IBAP) etwa acht. Ab dem nÀchsten | |
Sommersemester sollen die PlĂ€tze fĂŒr ein Medizinstudium in Witten-Herdecke | |
auf 84 pro Semester verdoppelt werden â und auch die PlĂ€tze im | |
Begleitstudium sollen dementsprechend mehr werden. Friedrich EdelhÀuser, | |
Privatdozent an der UniversitĂ€t Witten-Herdecke bemĂŒht sich um eine | |
Vermittlung zwischen Schul- und KomplementĂ€rmedizin. âUnser Begleitstudium | |
baut auf der etablierten Medizin auf. Dennoch gibt es auch hier an der Uni | |
Kollegen, die halten anthroposophische Medizin fĂŒr Humbug!â FĂŒr EdelhĂ€user | |
ist das Wichtigste, dass die VertreterInnen der beiden Richtungen im Dialog | |
bleiben. âEs lohnt sich, mit Leuten, die eine andere Meinung haben, zu | |
reden. Man kann sich korrigieren und etwas neues Lernen. Das gilt in beide | |
Richtungen!â Am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke gibt es mehrere | |
Ausbildungsstationen fĂŒr die Studierenden des IBAM im Praktischen Jahr, so | |
dass sie direkt mit PatientInnen in Kontakt kommen. Wo die MedizinerInnen | |
mit anthroposophischer Zusatzqualifikation nach ihrem Studium landen? | |
Privatdozent EdelhĂ€user kann noch keine Tendenz ausmachen. âWir | |
âproduzierenâ ja erst seit acht bis zehn Jahren Absolventen. Ich wĂŒrde mir | |
wĂŒnschen, dass sie gestaltend im Gesundheitswesen aktiv werden. Und dass | |
manche Alumni als Dozenten zurĂŒckkehren. Das wĂ€re schön!â | |
9 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Nicola Schwarzmaier | |
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