# taz.de -- renten: Anspruch oder Almosen | |
> Eine armutsfeste Altersversorgung scheitert in einem reichen Deutschland | |
> nicht an der Finanzierung, sondern an den Interessen diverser Lobbys | |
Die Debatte über eine Grundrente ist in vollem Gange. Neben den Bemühungen | |
der SPD zur Repositionierung als Vertreterin der „kleinen Leute“ sorgen | |
dabei auch die im Herbst stattfindenden drei Landtagswahlen in | |
Ostdeutschland für mächtig Dampf im Kessel. Denn die berechtigte Angst vor | |
Altersarmut hat in den neuen Bundesländern eine wesentlich größere | |
Dimension als in den alten. | |
Viel ist in diesem Zusammenhang von „Gerechtigkeit“, „Respekt“ und | |
„Lebensleistung“ die Rede. Doch das sind eher moralische Kategorien, die je | |
nach ideologischer Verortung sehr unterschiedlich ausgelegt werden und | |
daher kaum zielführende Lösungsansätze bieten. | |
Das System der fast ausschließlich auf Bruttolöhnen langjährig | |
sozialversicherungspflichtig Beschäftigter basierenden gesetzlichen | |
Rentenversicherung (GRV) als Garant einer auskömmlichen Altersversorgung | |
funktioniert in Deutschland nicht mehr. Dies hat vielfältige Ursachen, wie | |
etwa das rasante Wachstum atypischer prekärer Arbeitsverhältnisse, die | |
Zunahme gebrochener Erwerbsbiografien, das Ausufern des Niedriglohnsektors | |
und die drastische Senkung des Rentenniveaus in Relation zum | |
Arbeitseinkommen. | |
Dies war Anfang des Jahrtausends politisch gewollt, die GRV sollte im | |
Rahmen der Agenda 2010 auf eine Basisabsicherung zurückgeführt werden, die | |
vor allem durch geförderte private Zusatzversicherungen ergänzt wird. Zur | |
Gewährleistung des Existenzminimums wurde die an die Hartz-IV-Leistungen | |
gekoppelte Grundsicherung im Alter eingeführt, die allerdings nur nach | |
rigider Bedürftigkeitsprüfung und Anrechnung von Ersparnissen als eine Art | |
Almosen gewährt wird. Und das betrifft zunehmend auch Menschen, die 35 oder | |
mehr Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, ohne dadurch | |
existenzsichernde Ansprüche zu erwerben. Dazu kommt die große Zahl derer, | |
die durch das Raster des GRV-Systems aus den bereits ausgeführten Gründen | |
weitgehend durchgefallen sind und wenig Chancen haben, der Altersarmut zu | |
entgehen. | |
Das wäre der Ansatzpunkt für eine Reform der GRV, die deren Funktion als | |
Garant einer armutsfesten Altersversorgung wiederherstellen könnte. Und | |
zwar nicht als staatliches Almosen, sondern als individuell gesicherten | |
Anspruch aus einer staatlich garantierten Versicherung. Zur Finanzierung | |
dieses Systems müssten außer den bereits jetzt sozialversicherungspflichtig | |
Beschäftigten alle Erwerbsfähigen verbindlich in die Rentenversicherung | |
einbezogen werden: sowohl Selbstständige, Beamte, Soldaten, Abgeordnete und | |
Angehörige anderer Sonderversorgungssysteme als auch Minijobber, | |
Erwerbslose, Studenten, Ehrenamtler, Personen, die Einkünfte aus Vermögen | |
oder Vermietung beziehen oder familiäre Erziehungs- und Pflegeleistungen | |
erbringen, für die Beiträge aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden | |
müssten. Die jetzt diskutierte „Hürde“ von mindestens 35 | |
Versicherungsjahren für eine Grundrente wäre damit großenteils hinfällig, | |
da die meisten Bürger Rentensprüche erwerben würden. | |
Die Versicherung könnte (wie teilweise in Österreich und der Schweiz) nach | |
einem solidarischen Äquivalenzprinzip funktionieren. Niedrige Ansprüche | |
werden bis zur Höhe einer Grundrente aufgewertet, sehr hohe Ansprüche | |
werden bei einer bestimmten Grenze gekappt. Verbunden mit einer höheren | |
Beitragsbemessungsgrenze hieße dies, dass Spitzenverdiener die Aufwertung | |
niedriger Ansprüche mitfinanzieren. Der Korridor könnte in Anlehnung an das | |
System in Österreich zwischen monatlich 1.200 Euro Mindest- und 3.500 Euro | |
Höchstrente liegen. Das „reine“ Äquivalenzprinzip zwischen Einzahlung und | |
Auszahlung bliebe für das Gros der Versicherten dabei unangetastet, | |
Spitzenverdienern bliebe genug Spielraum für zusätzliche private | |
Absicherungen. | |
Da es sich um einen Versicherungsanspruch handelt, hätte sich die Frage der | |
Bedürftigkeitsprüfung erledigt. Die Zahl der Menschen, die auch durch | |
dieses System durchrutschen , wäre überschaubar. Sie hätten dann Anspruch | |
auf eine Grundsicherung als Sozialleistung. Für diesen Personenkreis wäre | |
eine Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen durchaus akzeptabel, um absurde | |
Mitnahmeffekte zu unterbinden. Für die Akzeptanz einer solidarischen | |
Rentenversicherung wäre es unerlässlich, zwischen durch Erwerbstätigkeit | |
oder anrechenbare Ersatzzeiten erworbenen Ansprüchen und einer davon | |
entkoppelten Sozialleistung zu unterscheiden, auch was die Höhe der | |
jeweiligen Auszahlung betrifft. | |
Ob das dann alles „gerecht“ wäre, ist eine ähnlich müßige Frage wie die | |
nach der pekuniären Bemessung der „Lebensleistung“ von Menschen. Für | |
grundlegende Überlegungen zur Verteilungsgerechtigkeit ist das Rentensystem | |
ein denkbar schlechtes Vehikel. Hinweise auf die teilweise absurden | |
Pensionsansprüche einiger Topmanager sind in diesem Zusammenhang eher | |
moralischer Natur. Diese Zahlungen haben nichts mit dem GRV-System zu tun. | |
Ihre Regulierung könnte vielmehr steuer- und wirtschaftsrechtlich in | |
Angriff genommen werden. | |
Eine solidarische, armutsfeste Altersversorgung wäre für ein reiches Land | |
wie Deutschland kein Wolkenkuckucksheim. Die dafür notwendigen Instrumente | |
sind bekannt und in einigen – keineswegs sozialistischen – Ländern auch | |
erfolgreich eingesetzt worden. Eine umfassende Neustrukturierung der GRV | |
scheitert auch nicht an ihrer Finanzierbarkeit. Vielmehr stehen dem nicht | |
nur beinharte Neoliberale entgegen, sondern auch mächtige Gruppen, die ihre | |
Privilegien mit allen Mitteln verteidigen wollen. Ein gesellschaftliches | |
Lager , das auch große Teile der Gewerkschaften umfasst. Keine guten | |
Voraussetzungen. Aber auch kein Grund, der seit Jahren praktizierten | |
hilflosen Flickschusterei an der Alterssicherung und der dadurch wachsenden | |
Bedrohung für Millionen von Menschen resigniert und tatenlos zuzuschauen. | |
7 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Rainer Balcerowiak | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |