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# taz.de -- ausgehen und rumstehen: Alles versandet und verbart: Wie man von de…
Wer nach längerer Zeit auswärts wieder nach Berlin zurückkehrt, der geht
voller Spannung zum ersten Mal wieder aus. „Kenne ich mich noch aus, muss
ich mir nach drei Wochen Abstinenz etwa wieder alles neu erarbeiten, finde
ich je wieder Anschluss?“ Das sind die Fragen.
Am Donnerstagabend hing über der Schlesischen Straße ein aufgedunsener
gelb-romantischer Mond, alles war voll von flanierenden
Sommernachtgenießern, die vielen Stimmen murmelten wie ein munteres
Bächlein, Grün ringsherum, dazwischen Biergartenidyllen. „Tut mir Leid, det
ist doch nich Berlin!!“, entfuhr es mir. Eine plötzliche Sehnsucht nach
kaltem Neonlicht und geschlossenen Räumen überkam mich da schon. Am
Freitagabend dann die White-Trash-Eröffnung an der Holzmarktstraße. Ein
Wildwest-Flohmarkt, verschiedene Bars und ein Kindergefängnis waren
versprochen worden, und tatsächlich hatte man aus Bretterbuden ein
Western-Szenario zusammengezimmert. Das Matterhorn – wer baut eigentlich
grade keine Kunstberge in Berlin rein? – nebst zugehöriger Bar wirkte noch
etwas deplatziert und das versprochene Kindergefängnis enttäuschte: Es gab
nur ein hölzernes Verlies, als Unterteil einer Kletterburg, und alle Kinder
liefen frei herum.
Viele alte Bekannte, nennen wir sie Schatten der Vergangenheit, traf man
wieder, und das auch noch im schon wieder viel zu früh schwindenden
Tageslicht! Zum Glück wurde genug Schnaps angeboten, um die Schocks zu
verkraften. Ein einsamer Alleinunterhalter saß unter einem Brückenbogen an
seiner Orgel, dann begann eine Countryband zu spielen, und man sinnierte in
geselliger Runde über den Hang der Berliner aller Schichten zur
Countrykultur. Erfahrene Westberliner berichteten von seligen Zeiten und
dem berühmten Deutsch-Amerikanischen Volksfest. Alles hätte so schön
ausklingen können, aber der Mensch ist ja nicht zufrieden mit dem, was er
hat, sondern mit Neugierde gestraft.
Erfahrene Ausgeher wissen ja längst, dass das ganze Spreeufer von
Michaelkirch- bis Oberbaumbrücke auf beiden Seiten versandet und verbart
ist – wir mussten es überprüfen. Deshalb verließen wir die heimelige
Westernstadt und gingen zum nächsten Uferabschnitt, wo angeblich trendy
Berliner das Wochenende durchtanzen und untrendy Freiburger Holzbungalows
zum Übernachten mieten können. Auch in der Bar 25 hatte man viel Holz
verbaut, aber so lauschig gemütlich, so Lungern und Loungen unter Lämpchen.
Ist das jetzt noch romantisch oder schon idyllisch?, fragte man sich. Wenn
sich der menschliche Forschergeist einmal Bahn gebrochen hat, ist er nicht
mehr aufzuhalten.Vom Holzmarktufer aus sah man jetzt auf der anderen Seite
die Lagerfeuer lodern und Menschen am Wasser fläzen. Also rüber auf die
Kreuzberger Seite. Dort nannte man sich Kiki Bloefeld. Im Untergeschoss der
naturdesignten Anlage konnte man in einem Betonverlies schön am Wasser
sitzen, sich an James-Bond-Filme und unterirdische Atombombenabschussrampen
erinnern. Für einen Moment durfte der Stimmungsallergiker die etwas rauere
Bunkerromantik gegen die liebliche Wasser- und Lämpchenidylle tauschen.
„Ach“, sagte mein Begleiter D. am Ende des Abends, „meinst du, dass wir
irgendeinmal sagen werden: Weißt du noch, damals in den Nullerjahren, als
es noch überall am Spreeufer diese Bars gab?“ Wir einigten uns auf ein
harsches „Nein!“. Denn das Ausgehen in den Strandbars ist kein echtes
Ausgehen, man erlebt selbst nichts, sondern beobachtet sich nur gegenseitig
beim Abhängen und Romantisch-aufs-Wasser-Glotzen. Zum Glück wird bald das
Herbstwetter dem allen ein Ende setzen.
CHRISTIANE RÖSINGER
23 Aug 2005
## AUTOREN
CHRISTIANE RÖSINGER
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