# taz.de -- „Schüler*innen sollen widersprechen“ | |
> Wenn die Welt nachhaltiger werden soll, muss sich auch der | |
> Schulunterricht ändern, sagt Nadine Kaufmann vom „Konzeptwerk neue | |
> Ökonomie“. Bildung müsse mehr hinterfragen | |
Bild: Jeden Freitag wieder: Schüler*innen demonstrieren für den Klimaschutz | |
Interview Maike Brülls | |
taz: Frau Kaufmann, Sie organisieren mit anderen die Konferenz „Bildung | |
Macht Zukunft“. Bei dieser geht es um die Frage, welche Rolle Bildung in | |
einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaft spielen kann. Spielt sie denn im | |
Moment keine Rolle? | |
Nadine Kaufmann: Bildung spielt bei dieser Frage gerade eine zwiespältige | |
Rolle: Einerseits soll sie für eine sozialere und ökologischere | |
Gesellschaft sorgen, auf der anderen Seite steht sie genau der aber auch | |
oft im Weg. Das liegt daran, dass Bildung derzeit beim Thema Nachhaltigkeit | |
meist nicht an die Wurzel der Krisen geht, sondern vor allem die Symptome | |
behandelt. Unserer Meinung nach müsste Bildung im Kontext einer | |
sozial-ökologischen Transformation viel mehr die Denkweisen hinterfragen, | |
die aktuell als ‚normal‘ gelten, die aber eng mit sozialen und ökologischen | |
Problemen verbunden sind. | |
Inwiefern geht der Unterricht an Schulen derzeit nicht tief genug? | |
Man kann nicht sagen, dass das, was im Lehrplan steht, komplett | |
problematisch ist. Ein Lehrplan gibt ja immer vor, dass Themen auf | |
unterschiedliche Weise behandelt werden sollen. Am Beispiel Wirtschaft | |
lässt sich gut erklären, was wir problematisch finden. In der Ausbildung | |
von Lehrer*innen und in vielen Schulbüchern ist ein neoklassisches | |
Verständnis von Wirtschaft zentral. Das beinhaltet, dass wir | |
„natürlicherweise“ alles über den freien Markt handeln, dass | |
Wirtschaftswachstum alternativlos ist und dass Menschen danach streben, | |
ihren Nutzen zu maximieren. Diese Annahmen werden allerdings kaum als eine | |
Perspektive unter vielen dargestellt, sondern als „die Wahrheit“. Und es | |
wird nicht diskutiert, ob das wirkliche der beste Weg ist, um ein gutes | |
Leben für alle Menschen zu ermöglichen. Wir finden, diese Fragen sind | |
durchaus politisch, werden aber selten auch so behandelt. | |
Gerade zum Thema Wirtschaft stellen die Unternehmen sogar selbst | |
Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, die genau diese Sicht vertreten. Wie | |
finden Sie das? | |
Wenn Unternehmen oder Wirtschaftsverbände Materialien für den Unterricht | |
herausgeben, finden wir es problematisch, wenn ihre Sichtweise darin als | |
neutral dargestellt wird. Bei Materialien zum Thema ökologische | |
Nachhaltigkeit wird das oft besonders deutlich. Die Lösung wird meist in | |
effizienteren Geräten, erneuerbaren Energien und nachhaltigem Konsum | |
gesehen. Der Glaube an technologische Lösungen allein wird dabei ebenso | |
wenig in Frage gestellt wie ein grundsätzliches Verständnis von Natur als | |
etwas, was wir einfach benutzen können. Ein kritischer Umgang damit ist aus | |
unserer Sicht nötig, indem Lehrer*innen mit den Schüler*innen besprechen, | |
woher das Material kommt, woran man das merkt und welche Sichtweisen darin | |
nicht dargestellt werden. | |
Was für Alternativen gibt es also? | |
„Transformative Bildung“ ist gerade ein Schlagwort, das in diesem | |
Zusammenhang oft benutzt wird. Es beschreibt aber bisher kein klares | |
Konzept. Mit der Konferenz „Bildung Macht Zukunft“ wollen wir den Begriff | |
schärfen. Für uns ist der Kern transformativer Bildung, gewohnte Denkmuster | |
überhaupt erst einmal sichtbar zu machen, sie gemeinsam zu hinterfragen und | |
Alternativen zu suchen. Das betrifft die Frage wie eine solidarische und | |
ökologische Zukunft aussehen kann aber auch den Weg dahin. Es geht also | |
auch darum, vieles zu verlernen bzw. sich davon zu emanzipieren. Damit | |
bekommt Bildung im Kontext von Nachhaltigkeit auch einen politischen | |
Charakter. Gleichzeitig ist es natürlich nicht so leicht, mal eben vieles | |
von dem, was wir unser Leben lang als „normal“ gelernt haben, über den | |
Haufen zu werfen. Eine spannende Frage für uns ist, wie man Menschen darin | |
bestärken kann, sich überhaupt auf solche Reflexionsprozesse einzulassen. | |
Wie würde das konkret im Unterricht aussehen? | |
Ein paar Eckpunkte, wie das aussehen könnte: Es geht viel weniger darum, | |
Wissen zu vermitteln, sondern eher: irritieren, Fragen stellen und | |
Schüler*innen dabei unterstützen, diese weiterzuverfolgen. Man ginge auch | |
viel mehr raus und schaut sich gesellschaftliche Auseinandersetzungen und | |
bestehende Alternativen an, denen eine andere Denkweise zugrunde liegt, zum | |
Beispiel Projekte solidarischer Ökonomie, erlebt die mit. Wenn das Thema | |
Energie auf dem Plan steht, würde man sich beispielsweise zwar auch ein | |
Kohlekraftwerk anschauen, träfe aber auch Menschen, die im Widerstand gegen | |
Braunkohle aktiv sind. Man spricht darüber, was diese Erfahrungen bei den | |
Schüler*innen auslösen. Neben rationalen Argumenten spielen also auch | |
Emotionen eine größere Rolle. Es ginge also viel darum, sich in einer ganz | |
schön komplexen Welt zurechtzufinden. Und zwar nicht, indem man einfach auf | |
das Wissen von „Expert*innen“ vertraut, sondern einen kritischen Umgang | |
damit lernt, wie wir selbst mit den gesellschaftlichen Strukturen um uns | |
herum verbunden sind. | |
Sie kritisieren, dass Bildung im Moment einseitig geprägt ist. Stattdessen | |
wollen Sie einen Unterricht gestalten, der ökologische Nachhaltigkeit und | |
soziale Gerechtigkeit im Blick hat. Nehmen Sie so nicht auch Einfluss auf | |
die Lernenden? | |
Klar, wir sind uns bewusst, dass wir immer auf eine Art beeinflussen, wenn | |
wir Lernräume gestalten. Viele Akteur*innen wollen, dass die Welt anders | |
aussieht, gleichzeitig aber nicht, dass Menschen instrumentalisiert werden. | |
Aus der Perspektive kritisch-emanzipatorischer Bildung ist das Ziel, ein | |
Hinterfragen zu unterstützen. Also wenig gesehene Perspektiven überhaupt | |
sichtbar zu machen, eine Vielseitigkeit herzustellen. Die Schüler*innen | |
müssen dann aber die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, was sie | |
damit machen wollen. Es ist also erstrebenswert, dass Schüler*innen mir als | |
Lehrer*in widersprechen. | |
Inwiefern kann die Konferenz „Bildung Macht Zukunft“ einen Teil dazu | |
beitragen, dass sich etwas ändert? | |
Die Idee der Konferenz ist, Menschen zusammenzubringen, die ausprobieren | |
oder erforschen, wie eine Bildung aussehen kann, welche die Vorstellung von | |
Zukunft öffnet – anstatt einen vorgegebenen Weg zu verfolgen. Da kommen | |
Lehrer*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen zusammen. Es wird | |
Impulsvorträge geben, in denen machtkritische Perspektiven auf Bildung | |
aufgemacht werden. Darin fragen wir, wer eigentlich bestimmt, was und wie | |
wir lernen. Es gibt Workshops, um sich über die eigenen Erfahrungen und | |
Herausforderungen in der Bildungsarbeit auszutauschen und um Formate und | |
Methoden kennenzulernen, wie eine emanzipatorische Bildung aussehen kann. | |
Im Organisationskreis der Konferenz sind wir verschiedenste Menschen aus | |
den Bereichen Bildung für nachhaltige Entwicklung und kritischer | |
politischer Bildung. Mit der Konferenz wollen wir diese beiden Bereiche | |
enger miteinander verbinden. | |
13 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Maike Brülls | |
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