# taz.de -- heute in bremen: „Wir begreifen Verwandtschaft als eine Praxis“ | |
Interview Moritz Warnecke | |
taz: Frau Kleiner was ist „Kinship-trouble“? | |
Bettina Kleiner: „Kinship“ bedeutet Verwandtschaft und „trouble“ kann m… | |
Unordnung übersetzt werden. Wir wollen mit Interviews, die wir geführt | |
haben, die gängige Konzeption von Verwandtschaft und Familie in Unordnung | |
bringen. Dazu haben wir mit queeren Geflüchteten gesprochen und untersucht, | |
in welchen Gemeinschaften sie, fernab ihrer Herkunftsfamilie, hier leben. | |
Sie nennen das „queere Verwandtschaftspraktiken“. Was ist das? | |
Das können Beziehungen zwischen queeren Männern und Frauen sein, aber auch | |
andere Gemeinschaftsformen wie eine Pflegeelternschaft oder eine große WG. | |
Sie sehen, es kann – muss also keine erotische Beziehung sein. Wir | |
begreifen Verwandtschaft nicht als etwas Natürliches, sondern als ein Tun, | |
als eine Praxis. Dazu wollen wir unterschiedliche Fürsorge-und | |
Gemeinschaftsformen, die außerhalb der traditionellen Familie existieren, | |
beschreiben und analysieren. | |
In Ländern wie dem Iran müssen queere Menschen den Tod fürchten. Wie | |
bewerten Sie die Situation in Deutschland? | |
Natürlich ist die rechtliche Situation hierzulande eine andere, aber | |
Homophobie gibt es nicht nur im Iran und anderen muslimisch assoziierten | |
Ländern. Homo- und trans*phobe Gewalt gibt es auch in Ländern, in denen | |
keine Strafverfolgung von Lesben, Schwulen und Trans*Personen besteht. Ich | |
habe zu dem Thema Interviews mit Jugendlichen in deutschen Großstädten | |
geführt, die heftige Erfahrungen mit Trans* und Homophobie darstellen, von | |
verbalen Abwertungen bis hin zu körperlicher Gewalt. Auch wenn es auf den | |
ersten Blick immer so aussieht, als herrsche bei uns eine liberale | |
Struktur, zeigt sich beim genaueren Hinsehen, dass die Situation immer noch | |
problematisch ist. | |
Mit welchen Erwartungen kommen die Menschen zu uns? | |
Die Erwartungshaltungen sind natürlich unterschiedlich. Ich kann mich an | |
ein Gespräch mit einem Geflüchteten erinnern, der mit der Hoffnung ankam, | |
hier freier leben zu können. Und am Ende desillusioniert feststellen | |
musste, dass er hier auch mit Homophobie und zusätzlich mit Rassismus zu | |
kämpfen hat. Wörtlich hat er zu mir gesagt: „Mein Leben ist hier nicht | |
täglich bedroht, aber es ist kein Paradies.“ | |
Sind queere Menschen auf ihrer Flucht einer größeren Gefahr ausgesetzt als | |
heterosexuelle Menschen? | |
Ja, es gibt wissenschaftliche Befunde, dass Frauen und queere Menschen | |
zusätzlich von sexualisierter Gewalt bedroht sind. Diese Gewalt findet auch | |
bei uns in den Unterkünften statt. Das hängt sicherlich auch damit | |
zusammen, dass die Menschen eng aufeinander leben, was die Konflikte | |
nochmal verstärkt. | |
29 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Moritz Warnecke | |
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