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# taz.de -- nord🐾thema: Ein Date mit dem Windmüller
> Kein Fußbreit den Konzernen? Das Hamburger Unternehmen Enyway will die
> Produzent*innen von Ökostrom mit den Verbraucher*innen direkt in
> Verbindung bringen – ganz im Sinne der Sharing Economy, wie sie in
> anderen Branchen floriert. Das soll nicht zuletzt den Energiemarkt
> transparenter machen
Von florian maier
Eon, RWE, EnBW und Vattenfall: Den deutschen Energiemarkt dominieren nach
wie vor einige wenige große Konzerne. Sie machen über 80 Prozent des
Stromhandels aus. Kleine Produzenten haben dabei kaum eine Chance. Und doch
versucht ein Hamburger Unternehmen auf diesem Spielfeld mitzumischen – mit
einem beachtenswerten Konzept.
„Enyway“ heißt die Firma, die seit November 2017 den unübersichtlichen
Energiemarkt demokratisieren will – mit einer Art Online-Marktplatz für
Ökostrom versucht es Erzeuger*innen und Verbraucher*innen zu verknüpfen.
„Windrad-Betreiber Jan von der Nordsee“, heißt es in einem älteren
Werbeslogan, „kann ab sofort seinen Windstrom an Lisa nach Berlin
verkaufen.“ Das Ziel: die klassischen Energieversorger überflüssig zu
machen – und gleich noch den deutschen Energiemarkt transparenter. Auf der
Online-Plattform kann sich nicht Ulf mit seinem Kohlekraftwerk vorstellen
und schon gar nicht Sabine mit ihrem Atommeiler: Das können nur
Ökostromanbieter*innen.
Die drei Enyway-Gründer*innen – Heiko von Tschischwitz, Varena Junge und
Andreas Rieckhoff – arbeiteten zuvor beim Hamburger Stromanbieter
Lichtblick. Der formulierte bereits 1998 den Anspruch, ein
„Ökostromanbieter für den Massenmarkt“ zu sein. Nach eigenen Angaben hat
Lichtblick, seit Kurzem komplett im Besitz der niederländischen
Eneco-Gruppe, heute eine Million Kunden und 460 Mitarbeiter*innen. Eneco
übrigens gehört derzeit noch mehreren niederländischen Kommunen, ist aber
auf der Suche nach einem Investor. Und Enyway, um so viel jünger, beziffert
die Zahl seiner Mitarbeiter*innen bereits auf immerhin mehr als 50.
Ausfälle soll es keine geben
Angst vor Stromausfall müssen die Verbraucher*innen dem Unternehmen nach
angeblich auch nicht haben: Steht Jans Windkraftwerk mal still,
verpflichtet Enyway ihn dazu, stattdessen gekauften Ökostrom bereit zu
stellen. Dabei ist der angebotene Ökostrom nicht einmal signifikant teurer
als der herkömmlicher Anbieter*innen.
Ökostrom von den Stadtwerken Bremen beispielsweise bewegt sich im gleichen
Preisspektrum: Die Preise der Enyway-Stromverkäufer*innen, sagt
Mitgründerin Varena Junge, seien selbst unter Berücksichtigung eine
„Enyway-Beitrags“ – in Höhe von 3,99 Euro – „voll wettbewerbsfähig,…
die Verwaltungskosten der Energieversorger wegfallen“. Vergleicht man es
mit Eon, der nur konventionell erzeugten Strom monatlich kündbar anbietet,
ist dieser sogar teurer als die meisten Angebote bei Enyway. Nur Angebote
mit langer Vertragslaufzeit schaffen es hier, Enyway zu unterbieten –
dessen Stromverträge aber sind monatlich kündbar. „Es gibt Anbieter, die
vier Wochen Erstvertragslaufzeit anbieten. Das ist vorbildlich“, so die
Bremer Verbraucherzentrale. „Sechs Monate sind akzeptabel. Von darüber
hinausgehenden Angeboten raten wir ab.“
Niedrige Preise und persönliche Beziehungen zwischen Anbieter*innen und
Nutzer*innen: Das sind die Versprechungen der Sharing Economy, mitunter
auch bezeichnet als „kollaborativer Konsum“. Dabei wollen Netzwerke von
Menschen und Gruppierungen die Produktion, den Konsum, die Bildung und die
Finanzierung von Gütern und Dienstleistungen auf möglichst viele Individuen
verlagern, anstatt Konzernen oder politischen Institutionen die alleinige
Gewalt darüber zu lassen.
Klingt kompliziert? Mit dem Internet steigt die Zahl von Beispielen stetig
(auch wenn es nicht durchweg Erfrolgsgeschichten sind). Nehmen wir Ebay –
freilich längst zu einem nicht eben kleinen Konzern geworden – und die
Idee, nicht mehr gebrauchte Dinge abseits klassischer Auktionshäuser zu
versteigern. Wer heute die eigene Wohnung kurzzeitig vermieten möchte, kann
dies via Airbnb machen; in Städten mit angespanntem Mietmarkt aber zieht
der Erfolg dieser Plattform auch erste Regulierung nach sich. Suche ich
indes eine günstige Fahrt quer durch Deutschland, ist Bla Bla Car oft
billiger als die Deutsche Bahn. Und wer gut im Nähen ist, kann
selbstgemachte Kleidung auf Plattformen wie Dawanda – im vergangenen Jahr
eingestellt – oder Etsy verkaufen; gezielt auf den Umschlag gebrauchter
Kleidung richtet sich derweil Kleiderkreisel. Und diese Liste ist längst
nicht vollständig.
Diese Plattformen beanspruchen, persönlicher zu sein als die traditionellen
Alternativen: Das Roadtrip-Gespräch bei der Mitfahrgelegenheit ergibt sich
selten so im Zug oder Fernbus. Eine persönlich eingerichtete Wohnung fühlt
sich anders an als ein Hotel. Die Geschichte hinter dem selbst gemachten
Stirnband gibt es so nicht bei H&M. In diese Kerbe schlagen auch die
Geschichten hinter den Stromanbieter*innen bei Enyway: Man bezieht demnach
nicht einfach nur Strom, sondern bekommt gleich ein ganzes Paket. Bei
Stromanbieter Jan kann man beispielsweise eine alte Mühle besichtigen. Die
persönliche Beziehung zu den Anbieter*innen scheint schon fast im
Vordergrund zu sein.
Ideen für die Wende
Dabei ist Enyway nicht der einzige Anbieter von Strom – und Lösungen für
die Energiewende. Beim Münchner Unternehmen Buzzn etwa würde
Windradbetreiber Jan seinen Strom in eine „Energiegruppe“ abgeben, die ihn
weiter an die Endnutzer*innen verteilt. Weitere Anbieter wie
Sonnen-Community oder Beegy arbeiten mit ähnlichen Konzepten.
Enyway scheint für die direkte Konkurrenz gewappnet zu sein: Mit einem
neuen Projekt wollen die Hamburger die Energiewende beschleunigen. Für
einmalig 39 Euro kann man sich an einer Photovoltaikanlage in
Sachsen-Anhalt beteiligen. Dafür liefert Enyway mindestens zwei Jahre lang
Strom zum Einkaufspreis. Der jährliche Ausschüttungsbetrag der Anlage
beläuft sich allerdings nur auf 65 Cent.
Derzeit steckt diese Energiewende noch in den sprichwörtlichen
Kinderschuhen. Das existierende Stromnetz dominieren – neben der
öffentlichen Hand – große Konzerne. Firmen wie Enyway bringen Ideen ein.
Bis sich eine Sharing Economy bei der Energie für ganz Deutschland umsetzen
lässt, sind wir wohl noch angewiesen auf Ulfs Kohle- und Sabines
Atomkraftwerk.
12 Jan 2019
## AUTOREN
florian maier
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