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# taz.de -- Überall Schneefall
> Hartmut Rosa schließt an sein Resonanzkonzept an
Von Christopher Wimmer
Süddeutschland und Österreich versinken gerade in Schneemassen. Für die
einen ist es ein großer Spaß, für die anderen bedeutet das Treiben Chaos.
Allen gemeinsam ist, dass sie den Schnee nicht kontrollieren können. Mit
dem Beispiel der „Unverfügbarkeit“ des Schnees beginnt auch Hartmut Rosas
gleichnamiges neues Buch: Schnee kann nicht erzwungen oder verhindert
werden, er kommt und geht.
Rosa ist einer der meistdiskutierten Soziologen der Bundesrepublik. Sein
aktueller Band schließt direkt an seinen 800-seitigen Bestseller „Resonanz“
aus dem Jahr 2016 an. Wer diese in Teilen etwas langatmige „Soziologie der
Weltbeziehung“ gelesen hat, wird im neuen Buch wenig neue Erkenntnisse
gewinnen.
Rosa geht von der These aus, dass unser Zeitalter davon geprägt sei, dass
wir alles vollständig kontrollieren wollen. Die Dinge sollen
wissenschaftlich verfügbar und technisch beherrschbar sein. Wir wollen über
die ganze Welt verfügen und ständig unsere Reichweite vergrößern. „Das
Weltwissen ist mittels Smartphone und Suchmaschinen in der Hosen- oder
Jackentasche verfügbar, wir tragen es stets am Leib“, so Rosa. Doch wird
diese Haltung zur Welt am Ende enttäuscht, denn es gelingt nicht, alles
verfügbar zu machen. Um im Bild zu bleiben: Es schneit trotzdem.
Gegen diese Enttäuschung setzt Rosa auch im aktuellen Buch die Resonanz als
klingende, unberechenbare Beziehung mit einer nicht-verfügbaren Welt. Zur
Resonanz komme es, wenn wir uns auf Fremdes und Irritierendes einlassen –
seien es Menschen, Dinge oder die Umwelt. Das Ergebnis dieses Prozesses
lässt sich nicht vorhersagen, daher ist dem Ereignis der Resonanz auch
immer ein Moment der Unverfügbarkeit eigen. Dies gelte es zu suchen und zu
fördern.
All dies formuliert er in einer zugänglichen und präzisen Sprache. Nichts,
was er sagt, ist falsch, auch wenn seine Beispiele lediglich und oft zu
eindeutig der Untermauerung seiner Thesen dienen: dass die Welt schneller
wird, die Digitalisierung weitere Vernetzung ermöglicht und
Selbstoptimierung alle Lebensbereiche erfasst, ist richtig. Aber auch alles
bekannt. Das Buch wird damit anschlussfähig für aktuelle Stimmungen, bleibt
aber im Ungefähren.
Rosas Ausweg liegt in einem authentischen Miteinander, das die
Unverfügbarkeit der anderen anerkennt und sich harmonisch zu Mitmenschen,
zur Natur und zur Welt an sich verhält. Für eine kritische Theorie der
Gesellschaft ist das etwas dünn. Sicherlich braucht es eine Kritik am
spätmodernen Kontrollbedürfnis, doch gleichzeitig leben wir in einer Welt,
in der Phänomene wie Finanzkrisen oder Hungersnöte als etwas begriffen
werden, über das die Menschen keine Verfügung haben und doch sind sie
menschengemacht. Emanzipatorische Theorie sollte den Fokus auf
Veränderbarkeit legen und sich nicht mit Schneefall zufriedengeben.
19 Jan 2019
## AUTOREN
Christopher Wimmer
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