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# taz.de -- #10YearChallenge in der Türkei: Mehr als ein Tuch
> Frauen in der Türkei nutzen den Hashtag #10YearChallenge, um sich zu
> ihrem Leben ohne Kopftuch zu bekennen. Dafür werden sie angefeindet.
Bild: Die Journalistin Büşra Cebeci ist eine der Frauen, die ihr Foto unter d…
Vergangene Woche kursierte in den sozialen Medien der Hashtag
#10YearChallenge, unter dem Nutzer*innen zehn Jahre alte und aktuelle Fotos
von sich teilten. In der Türkei brachte dieser Hashtag unerwarteterweise
eine neue Form von Aktivismus hervor: Frauen, die dazu gezwungen worden
waren, ein Kopftuch zu tragen, veröffentlichten alte Fotos, auf denen sie
ein Kopftuch tragen, neben Bildern, auf denen sie unverhüllt zu sehen sind.
Bereits seit einer Weile erheben in der Türkei Frauen, die ihr Kopftuch
abgelegt haben, ihre Stimme und werden im öffentlichen Raum sichtbarer. In
der vor einem halben Jahr gegründeten Plattform „Yalnız Yürümeyeceksin“
(„Du wirst nicht allein laufen“) vernetzen sie sich mit Frauen, die früher
Muslimin waren und sich heute nicht mehr als solche definieren.
Auf der Webseite der Plattform erzählen sie anonym, welche Schwierigkeiten
sie aufgrund des Kopftuchs erleben, welchem Druck sie in ihren Familien
ausgesetzt sind und wie sie leben wollen. Diese neue Bewegung, die noch
dabei ist, ihre eigene Stimme zu finden, retweetet nun die
Vorher-Nachher-Bilder, die unter dem Hashtag #10YearChallenge gepostet
werden.
Eine Nutzerin schrieb: „Keine von uns muss die Identität, die unsere
Familien und die Gesellschaft für uns wählen, annehmen. Wir weigern uns,
ein Leben zu leben, das wir uns nicht ausgesucht haben.“ Unter dem Tweet
sind zwei Bilder von ihr zu sehen. Auf dem linken trägt sie ein Kopftuch
und einen langen Mantel, auf dem rechten ist sie mit lockigen Haaren und
einem Lippenpiercing abgebildet. Hunderte ähnliche Fotos tauchen dieser
Tage in den türkischen sozialen Medien auf.
## Die Entscheidung ist alles andere als einfach
Die große Mehrheit derer, die den Hashtag nutzt, sind junge Frauen, die ein
großes Risiko eingehen, indem sie ihre schwierige Entscheidung mit ihren
Fotos öffentlich machen. Wie jede Frau, die stolz darauf ist, was sie sich
erkämpft hat und was sie selbst entscheidet, wurden jedoch auch sie in den
sozialen Medien massiv angefeindet.
Konservative Männer belehren diese jungen Frauen, dass sie nicht freier
sein werden, wenn sie das Kopftuch abnehmen; sich selbst als modern
erachtende Männer hingegen erklären, dass die Frauen nur Aufmerksamkeit auf
sich ziehen wollten. Heißt konkret: Die Frauen, die mit ihrer jeweils
einzigartigen Geschichte und ihren traumatischen Erlebnissen an die
Öffentlichkeit gehen, können weder das laizistische noch das konservative
Lager für ihre Sache einnehmen.
In der Türkei gibt es keine Kopftuchpflicht, im Gegenteil wurden Frauen
noch bis vor zehn Jahren gezwungen, ihr Kopftuch abzulegen, wenn sie
studieren oder im öffentlichen Dienst arbeiten wollten. Anders als in der
iranischen Bewegung „My Stealthy Freedom“ riskieren die Frauen in der
Türkei nicht, von der Polizei bestraft zu werden. Dennoch ist die
Entscheidung, das Kopftuch abzulegen, aufgrund repressiver Familien und des
gesellschaftlichen Drucks alles andere als einfach.
## „Wir sind wir selbst geworden“
Was die türkische Version der #10YearChallenge so besonders macht, ist,
dass es in den meisten Tweets weniger darum geht, ob eine Frau ein Kopftuch
trägt oder nicht. Vielmehr steht im Mittelpunkt, sich so zu kleiden und so
zu leben, wie man will. Viele Frauen schreiben, dass diese Entscheidung die
beste für sie gewesen sei, und ermutigen andere, nur das zu tun, was sie
glücklich macht.
„Wir haben nicht die Rolle gespielt, die andere für uns vorgesehen haben.
Wir sind wir selbst geworden.“ „Diejenigen, die uns attackieren, mischen
sich in den Glauben, die Lebensweise, Gedanken und Orientierungen anderer
Menschen ein.“ „Ihr werdet erfahren, welchen Preis die Frau dafür gezahlt
hat, dass sie mit den Autoritäten gekämpft und sie gestürzt hat.“ Diese
feministischen Aussagen, die die LGBTI+-Bewegung einschließen, zeigen, dass
es hier um mehr geht als ein bloßes Tuch: nämlich dass Menschen mit
verschiedenen Identitäten so leben können, wie sie wollen.
Gerade das ist es aber, was in der Türkei in den letzten Jahren am meisten
fehlt. Und diejenigen, die das jetzt zur Sprache bringen, sind Frauen, die
seit ihrer Kindheit unterdrückt wurden.
Aus dem Türkischen von Elisabeth Kimmerle
21 Jan 2019
## AUTOREN
Burcin Tetik
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