Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Was im Kopf eines Sammlers vorgeht: „Es ist krank, 100 Schuhe zu …
> Janiv Koll sammelt Sneaker von Nike und ist ein Connaisseur der Szene. Er
> liebt die Altersspuren seiner Objekte – und vergleicht sie mit seiner
> Oma.
Bild: Die Suche nach dem nächsten Schuss.
taz: Turnschuhe [1][prägen heute die urbanen Stadtbilder]. Wie hat Ihre
Leidenschaft fürs Sneaker-Sammeln begonnen?
Janiv Koll: Es war klar, dass ich mir von meinem ersten selbst verdienten
Geld Sneakers kaufen würde. Meine Familie hatte nicht viel Geld, aber ich
hatte schon eine kleine Leidenschaft für Schuhe. Tagelang überlegte ich,
welcher Schuh es werden sollte, doch als ich das Geld zusammen hatte und
vor dem Regal stand, war auf einmal alles ganz klar. Ich wollte den Nike
Air Max 1 Leather SC. Mein Modell hatte weißes Leder, einen dunkelblauen
Swoosh (siehe Kasten), rote punktuelle Designs an den Ösen und der Hacke
und eine rote Bubble (siehe Kasten). Egal von welcher Seite ich den Schuh
betrachtete, alles war parallel, stromlinienförmig, stimmig. Als hätte ich
ihn mir für mich selbst gemacht. Zeitlos, perfekt.
Haben Sie den Schuh noch?
Natürlich nicht. Damals habe ich Schuhe einfach durchgetragen, bis sie nach
einem Jahr kaputt waren.
Wie viel ist Ihre Sammlung wert?
Schwer zu sagen. Es gibt keine Referenzpreise. Einige Schuhe aus meiner
Sammlung gibt es unter zehn mal, weil zum Beispiel die Produktion geändert
wurde und nur Musterexemplare in Umlauf gekommen sind.
Tragen Sie die meisten Schuhe Ihrer Sammlung?
Ein paar kann ich nicht mehr tragen, weil die Weichmacher zerfallen sind.
Die Sohle würde brechen. Aber das stört mich nicht. Sie sind Teil meiner
Sammlung. Ich liebe die Altersspuren. Genau wie bei meiner Oma, da stimmt
auch jede Falte. Man könnte den Schuhen eine neue Sohle verpassen, aber das
wäre so absurd, als würde sich meine Oma sich liften lassen.
Kennen Sie alle 1er (Nike Air Max 1), die es gibt?
Die meisten. Neulich habe ich einen von '98 gesehen, den ich nicht kannte.
Da kam ich mir vor wie ein Biologe in der Tiefsee, der einen Fisch mit
leuchtendem Kopf entdeckt. Die Modelle ab 2008 sind mir ein bisschen egal.
Warum?
Die alte Produktion war in Korea, später in Thailand. 2008 ist Nike nach
China umgezogen und hat das Schnittmuster verändert. Der Mudguard (siehe
Kasten) war dann nicht mehr parallel zur Sohle, sondern verzog an der Hacke
nach oben. Das hat das Design komplett zerstört. Außerdem war die Toebox
(siehe Kasten) auf einmal kantig. Gute Sammler sind sich einig, dass der
Schuh so inakzeptabel ist. Bei manchen habe ich die Toebox mit nassem Tuch
angebügelt, damit sie runder wird. 2016 hat Nike darauf reagiert und
Sammler können seitdem wieder einsteigen.
Was war der Höchstpreis, den Sie für einen Schuh bezahlt haben?
1.500 Euro. Aber auch nur, weil ich weiß, dass er mehr wert ist. Mein
Schuhgeld liegt auf meinem Paypalkonto. Dorthin transferiere ich nur Geld,
was von Schuhen kommt und geht. Getrennt vom Girokonto. Es ist wichtig,
sich Grenzen zu setzen. Wenn du 700 für einen Schuh zahlst, kannst du auch
900 zahlen. Aber dann kannst du auch 1.000 zahlen und so weiter.
Würden Sie die Sammlung verkaufen?
Gedankenspiele habe ich schon gemacht, aber nicht konkret. Ich plane nie
lange im Voraus. Ich lebe vom Online-Pokern auf einer dubiosen chinesischen
Website. Vielleicht verarme ich nächstes Jahr. Doch bevor ich mich im
Angestelltenverhältnis versklaven lasse, verkaufe ich lieber die Schuhe.
Sonst würde ich depressiv.
Sie haben auch noch 3.000 bis 4.000 Schallplatten und inszenieren immer
einen Schuh und eine Platte gemeinsam auf Instagram. Wie sind Sie darauf
gekommen?
Es war die naheliegenste Variante, beide Sammlungen zu kombinieren. Ich
wollte nicht einfach Bilder meiner Schuhe auf Instagram stellen.
Fehlen Ihnen noch Schuhe in der Sammlung?
Vier, fünf Paare habe ich noch nicht. Aber die gehen nicht in den Verkauf
oder werden zu teuer. Ich werde sie nicht finden. Genauso wie mein Grail
(siehe Kasten): der 86er (Nike Air Max 1 von 1986). Ich habe die Hälfte der
Menschen, die diesen Schuh besitzen, intensiv kontaktiert, wurde jedoch
abgewiesen. Mit Selbsterniedrigung, Heulsusentum, über Monate
hinterherrennen. Ich habe Dinge getan, die ich anmaßend fände, würde das
jemand bei mir machen.
Ist das Sammeln zwanghaft?
Klar. Für mich geht Sammlertum Hand in Hand mit einer Zwangsneurose. Es ist
völlig krank, 100 Paar Schuhe zu haben. Man braucht noch nicht mal fünf
Paar. Ich habe auch noch keinen Sammler gefunden, der das anders sieht.
Aber jeder hat seine Vorlieben. Eigentlich braucht man nur Wasser, Brot,
Vitamine und ein Dach über dem Kopf. Aber was wäre das für ein Leben, wenn
man nur macht, was sein muss? Für mich ist es Lebensqualität und solange
keine Kinder darunter leiden, kann man mit seinem Geld doch alles machen.
Aber es leiden doch Kinder darunter – manche Schuhe entstehen durch
Kinderarbeit.
Es ist für mich schwierig, diese Frage zu beantworten, ohne meine
Integrität zu verlieren und mich abgestumpft zu fühlen. Ich bin
entromantisiert. Für mich ist die Welt tendenziell ein schlechter Ort und
daran ändert sich nichts. Wenn ich Nike als so böse bewerte, dass ich die
Schuhe nicht mehr trage, kann ich nichts mehr tragen. Natürlich gibt es
Graustufen. Aber niemand produziert Dinge, um der Welt zu helfen. Ich habe
großen Respekt vor Leuten, die sich einschränken, aber ich bin zu
hedonistisch, um das Wohl des großen Ganzen über meine eigene Ästhetik zu
stellen. Das ist natürlich ignorant, aber ich bin einfach kein Pionier. Ich
kleiner Mensch werde die Welt nicht verändern.
Wie hat sich Ihre Sucht über die Jahre verändert?
Sie rückt gerade etwas in den Hintergrund. Entweder gibt es neue Schuhe,
die leicht zu bekommen sind, oder solche, die ich nicht mehr bekomme. Das
Besitzdenken ist der ausschlaggebende Impuls. Es geht nicht darum, den
Schuh wirklich zu tragen. Sondern man setzt es sich in den Kopf und will
ihn einfach besitzen. Man weiß vielleicht vorher schon, dass man ihn nie
tragen wird. Aber der Gedanke verselbständigt sich. Der Schuh ist dann gar
nicht mehr so wichtig, sondern die Jagd danach. Manchmal will ihn jemand
vielleicht nicht verkaufen und das triggert mich dann noch mehr. Die
Unerreichbarkeit, das Mystische. Und wenn du ihn endlich in der Hand
hältst, hast du es geschafft. Die Freude verfliegt dann schnell und es
folgt die Frage: was jetzt? So wie die Suche nach dem nächsten Schuss.
Haben Sie eine gute Hausratversicherung, um Ihre Sammlung abzusichern?
Nein. Aber wenn mir jemand Schuhe klauen und im Netz verkaufen würde,
erkenne ich sie. Ich kenne jeden Knick und Kratzer meiner Schuhe.
5 Jan 2019
## LINKS
[1] /!5553900/
## AUTOREN
Kaspar Zucker
## TAGS
Kapitalismus
Sneaker
Turnschuhe
Popkultur
Kleidung
Sammler
Sneaker
Bangladesch
Verkehr
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Geschichte des Turnschuhs: So wird ein Sneaker draus
Vor 30 Jahren begannen schwarze Jungs, ihre Turnschuhe auf den Straßen der
Bronx zu tragen. Heute werden Modelle für Tausende Euro verkauft.
Fünf Jahre nach Rana-Plaza-Unglück: Kein Stoff für faire Kleidung
Vor fünf Jahren ereignete sich in Bangladesch der Einsturz der Textilfabrik
mit über 1000 Toten. Deutsche Firmen arbeiten an besseren
Arbeitsbedingungen.
Werbekampagne der BVG: Warten auf den nächsten Witz
Die BVG verkauft Turnschuhe und ihre Schwächen in lustigen Videos. Ist sie
deswegen witzig? Nicht wirklich. Am Ende bleibt das alles nur Marketing.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.