# taz.de -- schlagloch: Abschied von Arkadien | |
> Früher ging es um Sehnsucht, jetzt um Grenzen. Am Streit über die | |
> Migration kann mehr als das deutsch-italienische Verhältnis zerbrechen | |
Auch ich in Arkadien!, schrieb Goethe einst verzückt und fasste damit das | |
Verhältnis der Deutschen zu Italien prägnant zusammen. Italien war der | |
Sehnsuchtsort par exellence, in Deutschland war, in Italien lebte man. | |
Heute klebt ein handgeschriebener Zettel darunter: Fuori funzione, außer | |
Funktion. | |
Wer als Tourist in die Ewige Stadt kommt, mag das noch als liebevolles | |
Klischee aufgreifen. Wer wie ich einmal tatsächlich vorgehabt hat, in Rom | |
zu leben, kann mit jedem Besuch eigentlich nur weiter deprimieren. Seit | |
zehn Jahren höre ich von jungen Akademikern das immer Gleiche: keine | |
Perspektive, kein Geld, der Unibetrieb verfilzt, die meisten Zeitungen | |
zahlen nicht oder nicht gut. Zwar wechseln die Regierungen und heute ist | |
das Schlagwort der Stunde Sovranismo, was man als Nationalismus im neuen | |
Gewande verstehen mag. Die Schönheit Roms jedenfalls, vor der ich einmal in | |
die Knie gegangen bin, macht mich heute angesichts der Perspektivlosigkeit | |
vor allem wütend. Der Feudalismus feiert sich im festgefahrenen Marmorgeld | |
und mit Perlenketten im Café Greco, als wäre nie etwas geschehen. | |
Die junge Mittelstandsgeneration bleibt derweil von den Eltern und | |
Großeltern abhängig, wobei hier jung alles unter 50 meint. Glücklich dabei, | |
wer abhängig von der Familie sein kann. Die römischen gilet gialli | |
(Gelbwesten)können das nicht; jene, die in den Neubauten von Ponte Mammolo | |
wohnen und mittlerweile wie ihre französischen Leidensgenossen auf die | |
Straße gehen. Gleichermaßen beachtet werden sie allerdings nicht, lieber | |
schreibt man noch mal über den populistischen Innenminister Matteo Salvini, | |
der sich stets so zu inszenieren versteht, dass die Presse, gerade auch die | |
deutsche, darauf anspringt, gern mit ablehnender Arroganz, frei nach dem | |
Motto: Jemand wie Salvini kann doch auch wirklich nur in Italien zum | |
Politstar werden. | |
Vorbei die Zeiten, in denen sich zumindest die bundesdeutsche Linke mit | |
vielleicht verklärender Begeisterung Italien zuwandte, den Texten Gramscis | |
und Filmen Pasolinis, der Idee des Eurokommunismus und der Toskana, in der | |
sie als Aussteiger verfallene Bauernhöfe ausbaute, um ihr dolce vita | |
jenseits der bundesdeutschen Tristesse zu finden. Natürlich, es waren auch | |
der Wein und das Wetter, die diese Utopie so verführerisch machten – vom | |
verregneten Deutschland aus gesehen, in dem die Schuldenlast der | |
Vergangenheit schwer wog. Die Fantasie eines leichtfüßigeren Lebens, an das | |
man sich vom Norden aus nur steif und zögernd heranwagte, erschien da umso | |
mehr als Befreiung. | |
Versteht man von Deutschland aus italienische Politik aus Prinzip nicht und | |
wirft ihr lieber mit leichter Überheblichkeit wahlweise Undiszipliniertheit | |
oder Nationalismus vor, so wirkt umgekehrt in Italien die deutsche Politik | |
allzu leicht wie eine herzlose und übermächtige Garde von | |
Austeritätswächtern, in der man von Migration gut reden hat, kommen über | |
die Nordsee schließlich nur ein paar Fähren aus Dänemark an. Als | |
Deutschland im Sommer 2015 seine Gastfreundschaft fand, hatte man Italien | |
bereits über Jahre mit einer Migration alleingelassen, die nicht, wie sich | |
das Wirtschaftsliberale erträumen mögen, mit Fachkräften das Wachstum in | |
atemberaubende Höhen steigert. Nicht nur Deutschland schaute weg, die ganze | |
EU tat es – genauer gesagt hatte sie sich mit Paragrafen dagegen | |
abgesichert. | |
Als die Vertragspartner in den 1990er Jahren das erste Dublin-Abkommen | |
unterzeichneten, mit dem die Verantwortung für Asylverfahren bereits | |
vornehmlich jenen Ländern aufgebürdet wurde, in denen die Asylsuchenden | |
zuerst europäischen Boden betraten, müssen sie sich die Migration der | |
nächsten Jahrzehnte wie ein Mittelklasseproblem vorgestellt haben, das sich | |
als sanfte Bewegung über die Flughäfen Europas verteilen würde. | |
Naheliegender scheint mir aber, dass jene Staaten, die nicht über südliche | |
EU-Außengrenzen verfügten, die Verantwortung dafür nicht haben, ja nicht | |
einmal sehen wollten. So kann Gemeinschaft nicht funktionieren. | |
Nicht mehr Arkadien, sondern Grenzen sind das Sehnsuchtswort der Gegenwart. | |
Wollen die einen sie ganz auflösen, wünschen sich die anderen hohe Zäune, | |
Mauern und geschlossene Häfen, um ihre Wirkmacht zu demonstrieren. Die | |
Frage nach geregelter Migration und nach der Verantwortung für jene, die | |
neu nach Europa kommen, ist einer der großen Zankäpfel, unter dem nicht nur | |
das deutsch-italienische Verhältnis leidet, sondern an dem möglicherweise | |
die EU, so wie sie derzeit besteht, zerbrechen könnte. Dabei kann | |
Sovranismo kaum der Ausweg sein: Fragen der Migration lassen sich | |
langfristig nur multilateral lösen. | |
Dafür allerdings braucht es gute und faire Verträge und eine nüchterne, | |
differenzierte Debatte, auch von links. Will man das Thema nicht den | |
Rechtspopulisten überlassen, muss man unterscheiden zwischen dem Problem | |
des Rassismus, der sich gern auch an Orten zeigt, an denen man Migranten | |
hauptsächlich aus dem Fernsehen kennt, und den Sorgen von Gemeinden, die | |
tatsächlich überfordert sind. Vermischt man beides in aufhetzenden Parolen | |
oder in Schwarz-Weiß-Moralismus, so wird man den Fragen nicht gerecht, | |
sondern lädt das Thema nur weiter emotional so sehr auf, dass es alles | |
andere überdeckt. | |
Dabei könnte etwa die Emigration Italien härter treffen als die | |
Immigration. Was wird aus dem Land, wenn gerade die jungen, gut | |
ausgebildeten Leute wegziehen, in die Schweiz, nach Frankreich und nicht | |
zuletzt auch nach Deutschland? Berlin ist nicht Arkadien, aber für viele | |
junge Italiener scheint es wenn nicht ein Sehnsuchtsort, dann doch einer | |
mit Perspektive zu sein. Man redet nicht mehr so viel von Sehnsucht, man | |
will erst einmal einen Job und eine bezahlbare Wohnung. Das Träumen ist | |
nicht vorbei, aber es setzt bekanntlich erst dann ein, wenn man nicht mehr | |
schlaflos liegt. | |
19 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Nora Bossong | |
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