# taz.de -- Mit verbundenen Augen in den Abschiebeknast | |
> Ein tschetschenischer Familienvater wurde am Montag getrennt von seiner | |
> Familie nach Russland ausgeflogen. Er musste dabei eine Sichtschutzbrille | |
> tragen | |
Von Philipp Effenberger | |
Der tschetschenische Geflüchtete A. wohnte zuletzt mit seiner Familie in | |
einer Gemeinschaftsunterkunft in der Nähe von Stralsund. Am Montag ist er | |
unter fragwürdigen Bedingungen nach Moskau abgeschoben worden. Bereits eine | |
Woche zuvor hatte die Bundespolizei ihn in den Ausreisegewahrsam nach | |
Hamburg gebracht. Er war gefesselt, trug eine Sichtschutzbrille und konnte | |
seine Herzmedikamente nicht mitnehmen. Eigentlich sollte die Familie Ende | |
Januar gemeinsam abgeschoben werden. Sie warteten noch auf den Reisepass | |
des jüngsten Kindes. | |
Wer das psychiatrische Gutachten des Familienvaters liest, erkennt, wie | |
fahrlässig die Abschiebung war. Das Attest des Helios-Hanseklinikums | |
Stralsund bescheinigt A. ein akutes Trauma durch die Messerattacke eines | |
Mitbewohners in einer Erstaufnahmeunterkunft. Das Messer stach durch die | |
Lunge und traf sein Herz. Er überlebte, habe aber seitdem Flashbacks und | |
panische Ängste vor plötzlichem Herzversagen, so das Gutachten. Er reagiere | |
schreckhaft auf Reizüberflutung, sei nicht reisefähig und eine Abschiebung | |
würde sein Suizidrisiko akut steigern. | |
Die Anwältin des Tschetschenen klagte über mehrere Instanzen gegen die | |
Ablehnung des Asylantrags und die Trennung der Familie. Die Klagen wurden | |
jedoch von den Gerichten abgelehnt. | |
Der pensionierte Allgemeinmediziner Ernst Soldan sagt, er sei von der | |
Anwältin gefragt worden, ob er den Mann im Ausreisegewahrsam im Hamburger | |
Flughafen auf dessen Reisefähigkeit untersuchen könne. Am Samstag trafen | |
sie sich. „Mir wurde verboten, den Mann zu untersuchen oder Gespräche über | |
Gesundheit zu führen“, sagt Soldan. | |
A. klagte während des Gesprächs über Brustschmerzen und berichtete, dass er | |
während der Fahrt nach Hamburg eine Sichtschutzbrille habe tragen müssen. | |
Auf Nachfragen habe ein Beamter geantwortet, dass eine Mitarbeiterin der | |
Ausländerbehörde Stralsund das angeordnet habe, erzählt Soldan. Gegenüber | |
der taz bestritt der Pressesprecher der Behörde den Vorwurf. Allerdings sei | |
es „ungewöhnlich, Familien getrennt abzuschieben“. | |
Das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern bestätigte, dass erst im | |
Verlauf des Samstags ein Amtsarzt ins Ausreisegewahrsam kam – vier Tage, | |
nachdem A. in Gewahrsam genommen wurde. Im Widerspruch zum vorherigen | |
Gutachten bescheinigte der Arzt dem Tschetschenen, reisefähig zu sein. | |
Der Hamburger Flüchtlingsrat beschuldigt die Behörden, eine | |
menschenrechtswidrige Abschiebung durchgeführt zu haben. Das | |
Innenministerium in Schwerin weist die Vorwürfe zurück. „Der Betroffene | |
hatte zuvor angekündigt, sich unter Zuhilfenahme von Gegenständen der | |
Abschiebung zu widersetzen“, heißt es in der unglücklich formulierten | |
Stellungnahme. | |
Für Allgemeinmediziner Soldan kein Grund, eine Sichtschutzbrille | |
einzusetzen: „Soll er etwa Gegenstände mit den Augen werfen?“ | |
Auf Nachfragen erklärt das Innenministerium: „Mit der Brille sollte | |
verhindert werden, dass der Abzuschiebende in irgendeine Richtung gezielt | |
und vorbereitet agieren (Schlagen, Treten oder Spucken etc.) kann. Die | |
Anordnung erfolgte durch die Polizei.“ | |
Die Behörden in Mecklenburg-Vorpommern verdächtigen A., ein gewaltbereiter | |
Islamist zu sein. Er habe angekündigt, sich „mit Messern und Reizstoff“ | |
gegen die Abschiebung zu wehren. Die Trennung der Familie rechtfertigt das | |
Innenministerium mit der „fehlenden Mitwirkungspflicht der Eltern an der | |
Passbeschaffung“ des Kindes. | |
24 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Philipp Effenberger | |
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