# taz.de -- Hannah Reuter Blind mit Kind: Mama, ich helfe dir! Über die Umkehr… | |
Wie schön! Dann kannst du Mama draußen und im Haushalt immer helfen!“ Es | |
ist nicht die erste Nachbarin, die das zu meiner dreijährigen Tochter sagt. | |
Es klingt irgendwie nett (gemeint), und seien wir ehrlich – wer will nicht | |
ab und an ein bisschen Hilfe von seinem Kind? Doch es gibt auch eine | |
schärfere (glücklicherweise seltener geäußerte) Version dieses Gedankens: | |
„Ihr habt euch ein Führkind gezüchtet!“ Haben wir? | |
„Mama, ich führe dich!“, sagt meine Tochter beflissen. Drei Meter weiter | |
laufe ich gegen eine Parkbank, weil sie einem Jogger nachguckt. Dreijährige | |
sind keine guten Führkinder und auch im Haushalt verursachen sie mehr Chaos | |
als Nutzen. Aber das ist ja nur eine Frage der Zeit: Wenn sie jetzt schon – | |
meist erfolgreich – Auskunft über Flecken auf der Kleidung geben kann, | |
kommt das mit der Haushaltshilfe doch sicher ganz von selbst, oder? Und bis | |
zur finalen Verkehrstauglichkeit ist es dann bestimmt auch nicht mehr weit! | |
Niemals, protestiert mein Gewissen. Nicht die Eltern-Kind-Rollenverteilung | |
umkehren: Eltern helfen ihren Kindern – ob nun beim Anziehen oder | |
Überqueren der Straße. Nicht umgekehrt! Und nötig ist das Ganze sowieso | |
nicht. Schließlich kamen wir vor ihrer Geburt ja auch von A nach B und im | |
Haushalt zurecht. | |
Doch ganz so einfach ist es auch nicht. Ich bin selbst gerührt und ein | |
bisschen dankbar, wenn meine kleine Tochter mir aus vollem Herzen ihre | |
Hilfe anbietet, mir im überfüllten Kindercafé aus Tausenden von Schuhen die | |
richtigen heraussucht, uns einen freien Tisch organisiert oder der | |
Kellnerin nachjagt, um die Rechnung zu bekommen. Alles Dinge, die ich | |
allein bewältigen könnte – umständlich, zeitaufwendig und vielleicht am | |
Ende doch nur mit Unterstützung Dritter. Ja, dann nehme ich ihre Hilfe | |
einfach an. Alles andere wäre unpraktisch und unnatürlich. Aber wo ist die | |
Grenze? Meine Tochter ist arglos, was diese Problematik angeht. „Mama, ich | |
bin groß und schlau!“ Sie ist stolz, wenn sie Mama einen freien Sitzplatz | |
im Bus ergattert hat! Vielleicht ist sie ein bisschen selbstständiger als | |
andere Kinder in ihrem Alter. Selbst gewählt? Doch aufgrund der Blindheit | |
ihrer Eltern? Ja, ich bestehe darauf, dass sie Sachen, die sie | |
runterschmeißt, selbst aufhebt, und ich finde es auch nicht schlecht, wenn | |
sie sich früh eine gewisse Ortskenntnis zulegt. | |
Aber am Ende – und das ist wohl die Grenze, die ich immer im imaginierten | |
Blick behalten sollte – muss ich die Mama und sie das Kind bleiben. Ich | |
muss den freien Tisch und das heruntergefallene Frühstücksmesser selbst | |
finden können und sie muss darauf bestehen dürfen, dass ich all das eben | |
doch für sie erledige, wenn sie müde ist oder krank oder einfach unwillig. | |
Sie soll gerne helfen können, aber sie darf es nie müssen. Haushaltshilfe | |
und Führkind – wirklich niemals! | |
Für Letzteres habe ich ja auch den Hund, der sich von Berufs wegen | |
ausbeuten lassen muss. | |
29 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Hannah Reuter | |
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