# taz.de -- der rote faden: Würde doch bloß das Schach die Welt regieren | |
Bild: Foto: privat | |
Durch die Woche mit Klaus Raab | |
Es heißt, dass die Sprache der Politikbetrachtung jener des Sports ähnele. | |
Ich sach’ ma, das is’ wohl so. Fußball und Boxen, das sind die Sportarten, | |
die dabei besonders gerne ausgeschlachtet werden, um es im Jargon der | |
Metzgerinnung auszudrücken. | |
Als vor einiger Zeit Ralph Brinkhaus zum Vorsitzenden der Unionsfraktion im | |
Bundestag gewählt wurde, war zum Beispiel zu lesen, dass sein Vorgänger | |
Volker Kauder eine „schwere Schlappe“ erlitten habe, und die | |
Bundeskanzlerin habe in dem Rahmen auch gleich die „gelbe Karte“ gezeigt | |
bekommen. Eine Generaldebatte im Bundestag, wie sie diese Woche stattfand, | |
heißt wie? „Schlagabtausch“. Umfragen werden behandelt wie | |
Bundesligatabellen. Und sobald zwei Figuren aus dem politischen Betrieb | |
uneins sind, zieht ihnen eine Talkshowredaktion die Boxhandschuhe an. Es | |
würde nicht weiter auffallen, wenn man während der „Sportschau“ die | |
Nachrichten vorlesen würde. | |
Die Frage ist nur: Wenn schon eine Sportsprache, warum dann nicht auch mal | |
die des Schachs benutzen? „Gelingt es Weiß, diesen Bauern mittels Kg2, und | |
Th1 und Txh5 zurückzuholen, wäre die schwarze Bauernstellung zerrüttet.“ | |
Oder: „Weiß würde gerne den a-Bauern weiter vorschieben, doch dann kann | |
Schwarz mit der Dame auf a1 Schach geben und ihn aufhalten.“ Klingt doch | |
viel angemessener, um politische Machtspiele zu beschreiben, als „Hui, eine | |
stramme rechte Klebe genau auf die Glocke“. Wer sich die Schach-Sprache | |
draufschaffen will: Die Weltmeisterschaft läuft seit zwei Wochen. Zehn | |
Partien sind zwischen Weltmeister Carlsen und Herausforderer Caruana | |
bereits gespielt, alle zehn endeten mit einem Remis. Wir nähern uns gerade | |
der heißen Phase, was aber kein Grund für Hektik ist. Das bedeutet nur, | |
dass das Anthropozän wohl noch nicht komplett vorüber ist, wenn der | |
Weltmeister feststeht. Was wäre das für eine Welt, in der Politik nicht wie | |
von Steffen Simon kommentierter Tempofußball, sondern wie Schach behandelt | |
würde? „Und jetzt, Frau Merkel?“ – „Och, ich ziehe erst mal gemütlich… | |
c4, und dann sehen wir in drei oder achtzehn Monaten weiter.“ So eine Welt | |
wäre das. | |
Im Fußball droht mit jedem Spiel der vorläufige Weltuntergang. Eineinhalb | |
Stunden lang rennen alle wie die Irren, und wenn keiner gewinnt, schießen | |
sie ein paar Elfmeter, bis endlich jemand heult. Im Schach dagegen werden | |
in 90 Minuten drei Figuren verrutscht, und bevor alle dann mit einem | |
weiteren Remis schlafen gehen, heißt es „Ke6 55. Lc4 + Kf6 56. Ld3 Ke6“. Um | |
eine sorgfältige, seriöse Debatte über politische Prozesse zu führen, | |
scheint mir Schach als metaphorisches Leitbild besser geeignet zu sein als | |
jede andere Sportart. | |
Wenn es stimmt, dass Sprache das Denken leitet und Wirklichkeit schafft, | |
dürfte eine Änderung der politischen Hauptverkehrssprache von Fußball zu | |
Schach auch spürbare Auswirkungen haben. Dieser Tage war in der Kulisse | |
eines ARD-Krimis ein Aufkleber zu sehen, auf dem „FCK AFD“ stand. Die Figur | |
im Krimi wählt also wohl nicht AfD, und da kannste eigentlich nix machen – | |
hat ja ihren eigenen Kopf, so eine Krimifigur. Aber es wurde dann gleich | |
eine ziemliche Attacke geritten – voll fies von den Öffentlich-Rechtlichen, | |
immer schimpfen sie über die AfD und so weiter. Der zuständige NDR | |
entfernte den Aufkleber deshalb lieber aus der Onlineversion des Films. „In | |
Filmen mit einer frei erfundenen Handlung ist es üblich, keine real | |
existierenden Parteinamen zu verwenden“, hieß es dazu. | |
Um es mit Olli Kahn zu formulieren: Eier, da fehlten die Eier. Würde Schach | |
die Welt regieren und nicht der Fußball, hätte die ARD, statt das Leder | |
überstürzt mit Schmackes ins eigene Netz zu zimmern, erst mal ein bisschen | |
überlegt. Dann ein wenig nachgedacht. Und schließlich die sogenannte | |
Lindenstraßen-Eröffnung gespielt: Hey, hätte man gesagt, geht ins Internet, | |
schaut euch an, was in der ARD schon alles über andere Parteien gesagt | |
wurde, und dann hört auf, rumzuheulen! Zum Beispiel sagte Harry Rennep, | |
gespielt von Harry Rowohlt, in der Serie einmal: „So’n Kanzler Schröder | |
lässt unsereinen doch fallen wie’ne heiße Kartoffel. Und die Grünen hauen | |
dem auch nich’ anständig auf’n Deckel.“ Nach einer Minute Internetrecher… | |
findet man in einer „Lindenstraße“-Folge auch den Satz: „Unsere Super-FDP | |
steckt’s den Hoteliers und den Ärzten vorn und hinten nei.“ Irgendjemand in | |
der Serie hasst jede Partei. Ein routinierter Gegenangriff wäre es gewesen, | |
in dem Zusammenhang auf den „FCK AFD“-Aufkleber hinzuweisen, der 2017 auch | |
darin schon zu sehen war, zusammen mit dem Hinweis: Seht ihr, wir nehmen | |
euch genauso ernst wie die anderen! Aber stattdessen ändert die ARD lieber | |
den eigenen Film. Danke, Fußball. | |
Ich sach’ ma’, jetzt einfach mal Mund abputzen. Und dann weiter. | |
Nächste Woche Johanna Roth | |
24 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Klaus Raab | |
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