# taz.de -- Bayern in Bewegung | |
> Keine andere Partei prägte die 175 Tage der Münchner Räterevolution | |
> 1819/19 wie die USP. Lag es daran, dass sich die Unabhängigen gar nicht | |
> so sehr als Partei sahen? | |
Bild: Demonstrationszug des Arbeiterrats auf der Münchner Ludwigstraße mit Ku… | |
Von Ralf Höller | |
Die Revolution in München erfolgte zwei Tage vor der Ausrufung der Republik | |
in Berlin. Die bayerischen Linken waren nicht nur schneller als ihre | |
Genossen, sie waren auch radikaler. Der Umsturz selber war eine | |
Angelegenheit von wenigen Stunden und verlief komplett friedlich. Danach | |
kam es vor allem darauf an, die Errungenschaften zu wahren und | |
weiterzuführen. | |
Der neue Ministerpräsident Kurt Eisner rief kurzerhand den Freistaat Bayern | |
aus, als Verkündungsorgan wählte er die Münchner Neuesten Nachrichten. In | |
der folgenden Woche versprach er „eine Revolution, vielleicht die erste | |
Revolution der Weltgeschichte, die Idee, das Ideal und die Wirklichkeit | |
vereint.“ Zugleich machte er deutlich, was er nicht wollte: „daß alle paar | |
Jahre alle Bürger das Wahlrecht ausüben und die Welt regieren mit neuen | |
Ministern und neuem Parlament. Wir, die wir eine neue Form der Revolution | |
gefunden haben, wir versuchen auch eine neue Form der Demokratie zu | |
entwickeln.“ | |
Eisner hielt Wort. Für Mitte Januar 1919 setzte er eine Landtagswahl an, | |
die erste freie, demokratische überhaupt in Bayern. Gleichzeitig trug er | |
Sorge, dem daraus hervorgehenden Parlament ein starkes Kontrollorgan zur | |
Seite zu stellen. Tatsächlich spielten die Räte in Bayern während der sechs | |
Monate der Revolution bis zu ihrer Niederschlagung stets eine bedeutende | |
Rolle. Manchmal waren die Räte stärker als die Parteien und sogar das | |
Parlament. | |
Seine eigene Partei, die USP, also den bayerischen Teil der pazifistischen | |
USPD, die sich im Krieg von der SPD abgespaltet hatte, sah Eisner eher als | |
Bewegung. So hatte sie 1916 begonnen, zwei Jahre vor Kriegsende, in der | |
Münchner Gaststätte Gambrinus, als der Friedensredner Eisner nur wenige | |
Dutzend Getreue um sich scharte, und sollte es bald wieder werden, nachdem | |
bei der Landtagswahl ganze 2,5 Prozent der Wähler für die USP gestimmt | |
hatten. Ihre Erfolge feierte sie auf anderer Ebene. Mit den Räten war ein | |
System geschaffen worden, das allen Interessierten offenstand und über | |
Parteigrenzen hinweg funktionierte. Während etwa die SPD, in Bayern wie im | |
Reich, sich eindeutig für den Parlamentarismus aussprach und die Räte am | |
liebsten wieder abgeschafft oder auf eine lokale Ebene begrenzt hätte, | |
engagierten sich viele ihrer Mitglieder in den verschiedenen Gremien. | |
Auswahl hatten sie reichlich: Allein in Bayern entstanden in den zwei | |
Monaten zwischen Umsturz und Landtagswahl mehr als sechstausend lokale und | |
regionale Räte. Die meisten waren Arbeiterorganisationen. Bei so viel | |
Zulauf musste die SPD fürchten, ihre ureigene Klientel zu verlieren. | |
Paradoxerweise sollte die USP in Bayern und die USPD im Reich bei kommenden | |
Landtags- und Reichstagswahlen von ihrer neugewonnenen Popularität in der | |
Arbeiterschaft profitieren, als die Revolution längst Geschichte war. | |
Der Schlüssel zum Erfolg der USP lag in der Organisation. Was ihr bei den | |
ersten Wahlen zum Nachteil gereichte, nämlich der fehlende Parteiapparat – | |
Parallelen zur heutigen Zeit tun sich auf: Die neu gegründete Ost-SPD | |
verlor die ersten freien Wahlen zur Volkskammer auch deswegen, weil sie | |
nicht, wie etwa die CDU, auf die Struktur früherer Blockflötenparteien | |
zurückgreifen konnte –, erwies sich im von unten nach oben ausgerichteten | |
Rätesystem als Vorteil: Die USPler verströmten Glaubwürdigkeit, mussten nie | |
nach Berliner oder Münchner Parteizentralen schielen und, anders als die | |
Mehrheits-SPDler, sich nicht einmal schämen, Teil der Sozialdemokratie zu | |
sein. | |
Sobald der Termin für die Landtagswahl bekannt wurde, reagierten die Räte. | |
Sämtliche Arbeiterräte Bayerns vereinten sich unter einem Dach, dem | |
Vollzugsrat. Gleiches Prinzip, anderer Name: Auch die Bauern- und | |
Soldatenräte schlossen sich zusammen, nur nannten sie sich | |
Vollzugsausschuss. USP-Mitglied Ernst Toller, erst nach dem erfolgreich | |
verlaufenen Umsturz nach München gekommen, trat sofort in den lokalen | |
Arbeiterrat ein und wurde bald zum Zweiten Vorsitzenden des Vollzugsrats | |
gewählt. Erich Mühsam, lange in der Mobilisierung des städtischen | |
Subproletariats aktiv, stand von Beginn an dem radikalen Revolutionären | |
Arbeiterrat vor, der eine Münchner Einrichtung blieb und parallel zum | |
Vollzugsrat existierte. Da sich naturgemäß das Gros der Politik in der | |
Landeshauptstadt abspielte, war es für die Rätebewegung wichtig, eine | |
starke, unabhängige Organisation in München zu wissen. | |
Manchmal auch zum Leidwesen von Eisner: Zunächst wollte der | |
Ministerpräsident die Funktion der Räte aufs Erzieherische beschränken, | |
ohne ihnen gesetzgeberische Kompetenz einzuräumen, was wiederum Mühsam | |
vehement forderte. Eine Position dazwischen nahm Gustav Landauer ein, von | |
Eisner als politischer Ratgeber nach München eingeladen und umgehend von | |
seinem Freund Mühsam in den Revolutionären Arbeiterrat gehievt. | |
Landauer, dessen 1911 erschienener „Aufruf zum Sozialismus“ immer noch | |
fleißig gelesen wurde (sogar der konservativ-bürgerliche Thomas Mann lobte | |
das Werk!), war „nicht für das Vertretersystem in dem Sinne, daß das Volk | |
abdankt, nachdem es seine Vertreter gewählt hatte“, sondern „dafür, daß, | |
wenn die entsandten Delegierten etwas tun, was gegen das Interesse und | |
gegen den Wunsch derer ist, die sie entsandt haben, sie sofort | |
zurückgezogen und durch andere ersetzt werden können“. | |
Als Eisner nach der verlorenen Wahl von seinem Amt zurücktreten wollte, | |
erschoss ihn ein rechtsextremer Attentäter. In einem Racheakt schoss der | |
revolutionär gesinnte Arbeiter Alois Lindner auf den Vorsitzenden der | |
bayerischen SPD, Erhard Auer, und verletzte ihn lebensgefährlich. In Panik | |
löste sich der Landtag auf. Er trat nur noch einmal zusammen, um Johannes | |
Hoffmann (SPD) als Nachfolger Eisners zu wählen. Auer fiel weiter aus. | |
Das entstehende Vakuum füllten umgehend die Räte. Ein Zentralrat wurde | |
gebildet, zunächst nach Parteien-, nicht nach Wahlproporz. Parteien rechts | |
der Mitte hatten keinen Zugang, sie lehnten ein solches Gremium ohnehin ab. | |
Die SPD sicherte sich eine Mehrheit. Bis zur ersten Aprilwoche wuchs der | |
Druck auf den Zentralrat immer stärker an. Ein Grund war die Untätigkeit | |
des gewählten Parlaments. Der andere Grund war die Verzögerungstaktik und | |
Blockadehaltung der SPD. Sie wollte im Prinzip nur zuwarten, bis das | |
Parlament seine Tätigkeit wieder aufnahm. Das war den Räten an der Basis, | |
also den regionalen und lokalen Organisationen, zu wenig. | |
Von Augsburg aus kam die Initiative, eine Räterepublik nach russischem und | |
ungarischem Vorbild, aber ohne die Dominanz einer Partei zu errichten. Dank | |
des funktionierenden Systems wurde der politische Wille tatsächlich nach | |
oben getragen, in München diskutiert und auch vollzogen. Bayern wurde | |
Räterepublik. Die Regierung bildete ein Revolutionärer Zentralrat. Dessen | |
Vorsitz hatte zunächst der SPDler Ernst Niekisch inne. Er war entschiedener | |
Befürworter des Rätesystems und schien persönlich integer. Doch misstraute | |
man der Partei und ersetzte ihn nach drei Tagen durch Ernst Toller (USP). | |
Auch in der zweiten Räterepublik, in der nach Niederschlagung eines Putschs | |
von rechts die Kommunisten die Regie übernahmen, dominierten keineswegs | |
Parteien. Aus der Berliner KP-Zentrale kam die Direktive, die Finger von | |
der Macht in Bayern zu lassen, die Zeit sei noch nicht reif für | |
Experimente. Die Münchner und bayerischen Anführer setzten sich über die | |
Order hinweg. Max Levien und Eugen Leviné wollten künftigen Generationen | |
ein Beispiel geben, selbst wenn sie sich, wie Leviné später formulierte, | |
als „Tote auf Urlaub“ vorkamen. | |
Der letzte Akt blieb wieder den Räten und der USP vorbehalten. Als sich die | |
Räterepublik, in Verteidigungszustand gesetzt, der gegenrevolutionären | |
Invasion von vorläufiger Reichswehr und Freikorps gegenübersah, wurden | |
KPDler aus dem Vollzugsrat und dem inzwischen gebildeten Aktionsausschuss | |
an dessen Spitze ausgeschlossen. Ernst Toller versuchte zu retten, was | |
nicht mehr zu retten war. Die von ihm vorgeschlagenen Verhandlungen lehnte | |
die Gegenseite ab. Ministerpräsident Ebert und Reichswehrminister Noske, | |
beide SPD, wollten einen vollständigen Sieg: über die Revolution, über die | |
Räte, über die Bewegung, deren Aktivisten 175 Tage lang versucht hatten, | |
Bayern einmal anders als auf übliche Art zu regieren. Das Experiment wurde | |
bislang nicht wiederholt. | |
Der Autor ist Historiker und hat zuletzt das Buch „Das Wintermärchen. | |
Schriftsteller erzählen die bayerische Revolution und Münchner Räterepublik | |
1918/19“ (Edition Tiamat, 2017) veröffentlicht. | |
7 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Ralf Höller | |
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