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# taz.de -- Auf Lesereise gegen Putin und den Islam
> Die Journalistin Julia Latynina wird als mutige Putin-Kritikerin verehrt,
> führt aber ebenso einen Kreuzzug gegen Linke, Migranten, Menschenrechtler
> und das allgemeine Wahlrecht. Derzeit tourt sie durch den Norden, am
> Samstag ist sie in Hamburg zu Gast
Bild: Gehörte einst zu den prominentesten liberalen Stimmen gegen Putin: Julia…
Von Ewgeniy Kasakow
Sie sei Putin-Kritikerin, dafür attackiert worden und unter anderem für
ihren „Einsatz für die Menschenrechte“ ausgezeichnet – so bewirbt ein
Hamburger Kulturveranstalter die Auftritte der russischen Schriftstellerin
Julia Latynina. Mit Lesungen, die sich hauptsächlich an die
russischsprachige Diaspora-Community richten, tourt sie derzeit durch ganz
Deutschland und dieser Tage auch durch den Norden. Wenig Beachtung
allerdings finden dabei Latyninas extrem rechten politischen Äußerungen:
über das Übel des allgemeinen Wahlrechts, die Gefahren des Islam sowie die
Morde des Rechtsterroristen Anders Breivik.
In der Tat hat Latynina ein umfangreiches Opus wie eine beachtliche Liste
an Ehrungen vorzuweisen. Die 1966 in Moskau geborene Tochter einer
bekannten Literaturkritikerin und eines ebenso bekannten Dichters hat sich
bereits in der 1990er-Jahren einen Namen als Journalistin gemacht, ebenso
wie als Autorin antiutopischer Science-Fiction-Romane und von Krimis, die
aus dem Leben der russischen Wirtschaftseliten erzählen.
Ihr Auftreten ist forsch: kaum ein Ereignis der Welt, zu dem sie nicht
einen prägnant formulierten Kommentar abgeben könnte. Latynina gehörte zu
den prominentesten Stimmen des liberalen Lagers. War sie in den ersten
Putin-Jahren dem neuen Präsidenten und seinem Machtapparat noch
wohlgesonnen, spezialisierte sie sich mit der Zeit auf Spekulationen über
die Machenschaften der russischen Geheimdienste und Warnungen vor dem
Untergang der westlichen Welt.
In den letzten Jahren wurde sie dafür regelmäßig beschimpft, es häuften
sich Drohungen und Angriffe auf die Journalistin. Mal wurde Latynina auf
der Straße ein Eimer mit Fäkalien über den Kopf gekippt, mal wurde sie mit
Tomaten beworfen. Im Juli 2017 klagte sie über einen Angriff mit einem
unbekannten übelriechenden Gas auf ihr Haus, im September desselben Jahres
wurde ihr Auto angezündet. Daraufhin verließ Latynina Russland – ihren
aktuellen Wohnort gibt sie nicht preis. Sie arbeitet weiterhin für
russische Medien und meldet sich regelmäßig im Internet zu Wort.
In den vergangenen Jahren hagelte es Auszeichnungen, internationale
Journalistenpreis und zuletzt den Kamerton-Preis der Russischen
Journalisten-Union für ihren Einsatz für Menschenrechte und Pressefreiheit.
Vor allem erhielt sie 2008 den „Freedom Defenders Award“ des
US-Außenministeriums. US-Außenministerin Condoleezza Rice überreichte ihr
damals die Auszeichnung.
Doch während die Ehrungen das Bild einer mutigen Freiheitskämpferin und
Menschenrechtsaktivistin zeichnen, wollen ihre Positionen in vielen Fragen
dazu nicht passen. Schon vor Jahren waren sie mindestens ungewöhnlich. So
nahm sie den bei der liberalen Opposition in Russland besonderes verhassten
tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow immer wieder in Schutz.
Menschenrechtler machen Kadyrow für Entführungen, Folter und die Tötungen
von Zivilisten verantwortlich. Seit 2007 herrscht er in Tschetschenien –
mit Unterstützung Putins und als sunnitischer Muslim.
Beides steht eigentlich in Kontrast zu Latyninas Gegnerschaft zu Putin wie
zu ihren ständigen Warnungen vor den Gefahren des Islams. Wer sich jedoch
die Mühe macht, Latyninas Romane zu lesen, dem öffnen sich ganz eigene
Einsichten in die Art ihres Kaukasusbildes: Edle Krieger sind die
Tschetschenen darin, die klassische maskuline Tugenden nicht verlernt
haben und gegen die korrupten und versoffenen Vertreter des russischen
Staates jedes Kräftemessen gewinnen.
Man könnte in dieser Darstellung eine Neuauflage des Klischees der „edlen
Wilden“ sehen, die eine angebliche Unverdorbenheit gegenüber der
Zivilisation romantisiert – würde Latynina die Welt ansonsten nicht sehr
klar aufteilen: in zivilisierte Länder einerseits und böse Horden von ganz
und gar nicht edlen Wilden andererseits, die Freiheit und Wohlstand
gefährden.
Inzwischen entwickelte sich Latynina zu einer Adeptin von Ayn Rands
Libertarismus, bei dem dem Markt möglichst keine Grenzen zu setzen seien
und einem Sozialdarwinismus das Wort geredet wird. Latynina kritisiert das
allgemeine Wahlrecht, das ihr als eine Gefahr für die Demokratie gilt, weil
dadurch die Steuerzahler einer Tyrannei der Wohlfahrtempfänger ausgeliefert
seien. Die Leistungsträger finanzierten mit ihren Steuern „arbeitslose
Junkie-Frauen mit fünf Kindern“, wie Latynina in einem Artikel erklärte.
Wer verneine, dass „jeder arbeitslose Bastard“, der einen Laden plünderte,
„genau der Kerl sein soll, der entscheiden sollte, wie wir alle leben
sollen“, werde Faschist genannt, erklärte sie weiter zu ihrer ablehnenden
Haltung zum allgemeinen Wahlrecht.
In den letzten Jahren haben sich ihre Ansichten weiter radikalisiert: Der
Klimawandel sei eine Erfindung der globalen Bürokratie und der
Wissenschaftsfunktionäre. Der Kampf für Menschenrechte solle ursprünglich
von kommunistischen Agenten und frustrierten Intellektuellen losgetreten
worden sein und sorge heute vor allem für die Abschaffung westlicher Werte.
Sozialdemokratische Bürokratie habe eine jahrhundertelange europäische
Tradition erstickt, während die warnenden Stimmen, wie die eines Thilo
Sarrazins, von der „mentalen Epidemie“ der Political Correctness übertönt
würden.
Sogar über das südafrikanische Apartheid-Regime sagte sie, es sei wegen
Aspekten der Selbstverwaltung für Schwarze nicht alles schlecht gewesen.
Spätestens jedoch, seit sie sich im Juli 2011 in einer Sendung des
Radiosenders „Echo Moskwy“ über den Massenmord von Anders Breivik äußert…
begannen auch Vertreter der liberalen Opposition sich von Latynina zu
distanzieren.
Der Rechtsterrorist Breivik hatte am 22. Juli 2011 in Oslo eine Bombe
gezündet und danach auf der Insel Utøya 77 Menschen aus einem Zeltlagers
der Jugendorganisation der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei getötet. Für
Latynina illustrierten die Vorkommnisse eine Selbstschwächung des Westens.
Sie sah ihre These über die Degradation von Europa dadurch belegt, dass die
norwegischen „zukünftigen Anführer“ angeblich keine Versuche unternahmen,
den Attentäter zu entwaffnen.
Latyninas Kollegen aus verschiedenen Medien nannten ihre Ansichten offen
menschenfeindlich und rassistisch. Einen Abbruch ihrer journalistischen
Tätigkeit bewirkten diese Äußerungen jedoch nicht. Sie schrieb weiterhin
für die eigentlich eher linksliberale Zeitung Nowaja Gaseta und führte ihre
wöchentliche Sendung beim Radiosender „Echo Moskwy“ weiter.
Nach wie vor prangerte sie die russische Politik an und machte sich über
den angeblichen Dilettantismus der Geheimdienstler lustig. Als sie sich
2012 für Pussy Riot einsetzte, kritisierte Latynina ihre feministische
Agenda zugleich scharf und machte klar, das einzig Wichtige sei zurzeit die
Opposition gegen Putin.
Mit ihrer aktuellen Lesereise scheint sie sich die russische Diaspora als
Publikum erschließen zu wollen. Termine in ganz Deutschland, wie in dieser
Woche auch in Norddeutschland, stehen auf dem Plan.
Lesung: Sa, 27. 10., 18.30 Uhr, Hamburg, Evangelisch-Reformierte Kirche,
Palmaille 2
26 Oct 2018
## AUTOREN
Ewgeniy Kasakow
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