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# taz.de -- schlagloch: Reform und Heuchelei
> Die #metoo-Debatte hat Indien erreicht. Wie grundsätzlich dort über das
> Thema gesprochen wird, könnte durchaus ein Vorbild für uns sein
Eine Reform gelingt nur dann, wenn die Veränderungen von oben wie auch von
unten getragen werden, sagt Ramachandra Guha. Er steht auf der Hauptbühne
des Bangalore-Literaturfestivals und hält eine Rede über Ungleichheit in
der indischen Gesellschaft. Eigentlich sollte er hier seine neue
Ghandi-Monografie vorstellen soll, aber Guha, Historiker und einer der
prominenten öffentlichen Intellektuellen Indiens, reagiert lieber auf das,
was im Land derzeit hohe Wellen schlägt.
Ein Jahr nach der Affäre Weinstein hat die #metoo-Bewegung Indien erreicht.
Die seit einigen Wochen im unbequemen Rampenlicht stehende Prominenz reicht
vom Comedian Utsav Chakraborty, der nicht nur der sexuellen Belästigung
beschuldigt wird, sondern mit einer taktlosen Entschuldigung weiteren Zorn
auf sich zog, über den der Vergewaltigung angeklagten Bischof Franco
Mulakkal bis hin zu dem Journalisten und Politiker Mobashar Jawed Akbar,
der sein Ministeramt aufgrund der #metoo-Vorwürfe niederlegte.
Sitzt man in den Zuschauerreihen des Festivals, kommt es einem leicht so
vor, als wäre das Eintreten für Frauenrechte das Selbstverständlichste und
#metoo eine Bewegung, die seit Langem etabliert ist in dieser Stadt, in
diesem Land. Bitte noch eine Frage von einer Frau, fordert Shashi Tharoor,
der indische Beinahe-Generalsekretär der Vereinten Nationen und zudem
prominenter Bestsellerautor und Politiker. Bei einem der bestbesuchten
Panels sprechen vier Frauen, die maßgeblich die #metoo-Enthüllungen
vorangetrieben haben.
Natürlich, man kann diese Bühnen abschätzig „Bubble“ nennen und
unterstellen, sie zeigten nur einen sehr kleinen Ausschnitt der
Gesellschaft. Hier werde nur den bereits Konvertierten gepredigt, man
bleibe unter sich und bestätige sich allenfalls selbst. Mag sein. Aber die
Erleichterung, Wut und Energie, mit der Frauen davon erzählen, wie gut es
ist, endlich sprechen zu können und auch gehört zu werden – das zu
ignorieren bedarf schon eines unbedingten Willens.
Dass #metoo nur in den privilegierten, urbanen Zirkeln funktioniere, ist
eine Kritik, die auch in Deutschland zu hören war und die nicht gänzlich
unberechtigt ist. Nicht immer, bislang leider sogar recht selten schaffte
es die Bewegung, von einem privilegierten Diskurs überzuspringen auf all
jene Frauen, die viel tiefer in hierarchisch-patriarchalen Strukturen
feststecken und die zugleich weniger eloquent ihre Stimme zu erheben
vermögen. Um es in der Logik einer zynischen Kritik zu formulieren: Jene,
die auf der hierarchischen Leiter schon ein paar Stufen hoch geklettert
sind, beschweren sich über eine Hand auf ihrem Knie, gegen die sie sich
trotz aller Selbstermächtigung nicht erwehren können, während ein paar
Straßen weiter Frauen gewalttätige Übergriffe und Entwürdigungen erleben,
die weiterhin Alltag sind und totgeschwiegen werden.
Man kann diese Kritik als Abwehrmechanismus eines um Selbsterhalt
kämpfenden Systems abtun und davon ausgehen, dass Veränderungen in einem
Teil der Gesellschaft langfristig auch auf die übrigen Teile abstrahlen.
Doch die Kluft bleibt problematisch und es ist hilfreich, sie wahrzunehmen.
Dies gilt umso mehr, je weiter die Schere zwischen Wohlstand und Armut in
einer Gesellschaft auseinanderklafft. In Indien schäumt die #metoo-Debatte
in den sozialen Medien und in der nationalen Presse über, während sie in
den lokalen, nicht englischsprachigen Medien bisher eher unverstanden
bleibt oder gar nicht erst vorkommt. Die Unterschiede zwischen Stadt und
Land gerade in Bezug auf Frauenrechte sind eklatant, und das traditionelle,
streng hierarchische Kastensystem strukturiert weiterhin in erheblichem Maß
die Gesellschaft.
Vermutlich ist all das gar nicht so neu. Die Vorstellung, dass eine
Revolution oder auch nur Reform gerade dort beginnt, wo die Menschen die
Unterdrückung am deutlichsten spüren, hat sich historisch immer wieder als
falsch erwiesen – vielmehr tritt sie leichter eben dort ein, wo sich die
Restriktionen bereits etwas gelockert haben. Deshalb auch ängstigen sich
autoritäre Regime so davor, die Zügel etwas lockerer zu lassen. Weil aber
nichts von allein passiert und eingespielte Mechanismen auch zitternd
weiterhin gut bestehen können, ist es wichtig, auch die aktuelle Forderung
nach Geschlechtergerechtigkeit an die Frage nach den grundlegenden
hierarchischen Strukturen einer Gesellschaft zu binden. Das ist notwendig,
damit der emanzipatorische Wandlungsprozess nicht in unterschiedliche
Partikularkämpfe zersplittert.
Sanhya Menon, einer der Frauen auf dem #metoo-Festival-Panel, ist dieses
Problem sehr bewusst. Es gehe jetzt darum, juristische und strukturelle
Veränderung zu schaffen und auch in die ländlichen Gegenden hineinzuwirken.
Dort kann es für Frauen nach wie vor erniedrigend sein, nach einer
Vergewaltigung zur Polizei zu gehen. Statt die Tat aufzunehmen, werden
Frauen oft einfach wieder weggeschickt. Ein höherer Frauenanteil bei der
Polizei etwa würde eine konkrete Veränderung bedeuten. Eine Person, eine
Stimme, das garantiere Indien seit seiner Unabhängigkeit, erklärt Guha.
Eine Person, ein Wert, davon allerdings sei man durchaus noch weit
entfernt.
Wer dachte, dass #metoo ein westliches Phänomen bleibt, sollte sich etwas
abschauen von dem, wie in diesen Tagen in Bangalore darüber diskutiert
wird. Dass eine Reform nur dann gelingt, wenn die Veränderungen von oben
wie auch von unten getragen werden, ist ein Satz, der trotz seiner Kürze
präzise an das erinnert, was auch im Westen derzeit allzu oft vergessen
wird. Wie viele der männlichen Redner auf dem Festival aus tatsächlicher
Überzeugung in die Forderungen von #metoo einstimmen oder doch nur, um
selbst weniger angreifbar zu sein, sei dahingestellt. Am Ende gilt wohl,
was eine der Panelteilnehmerinnen sagte: Wenn das Gute aus der Heuchelei
entsteht, dann ist es willkommen.
31 Oct 2018
## AUTOREN
Nora Bossong
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