# taz.de -- Aus dem Spiel genommen | |
> Juden gehörten bei Tennis Borussia dazu – bis Hitler die Macht ergriff. | |
> Eine Ausstellung arbeitet die Vereinsgeschichte nun auf | |
Bild: Nelly Neppach nahm sich nach ihrem Ausschluss 1933 das Leben | |
Von Frederik Schindler | |
Tennis Borussia gehörte doch so sehr zu seinem Leben!“, schrieb Tutti | |
Lesser 1951 aus New York an Tennis Borussia Berlin (TeBe). Immer wenn sie | |
das Grab ihres Mannes Alfred besuchte, legte sie dort lila-weiße Blumen | |
nieder. Es waren die Farben des 1902 gegründeten Vereins, dessen Mitglieder | |
deshalb auch „Veilchen“ genannt wurden. | |
Alfred Lesser war eines der zwölf Gründungsmitglieder von TeBe, hat die | |
Fußball- und Boxabteilung des Vereins ins Leben gerufen und große Teile | |
seines Privatvermögens in das Trainingsgelände investiert. Jetzt werden er | |
und andere jüdische Vereinsmitglieder in einer Ausstellung des Historikers | |
Jan Buschbom im Jüdischen Gemeindehaus Berlin gewürdigt. | |
Bis 1933 waren ungefähr 15 bis 20 Prozent der TeBe-Mitglieder Juden. Dass | |
so viele Berliner Juden gerade zu Tennis Borussia gingen, führt Buschbom | |
auf die „Liberalität des Vereins“ zurück. Nach Herkunft, Konfession oder | |
politischer Einstellung sei dort im Gegensatz zu anderen Vereinen nicht | |
gefragt worden. „Der Konfessionsstreit darf im Sportverein keinerlei Rolle | |
spielen. Im Sport und im Spiel entscheidet immer nur der bessere Kämpfer, | |
die bessere Mannschaft“, hieß es in einem Text der Vereinsführung von 1928. | |
Darin wird auch „fanatischem Nationalismus“ eine Absage erteilt. „Bei den | |
Veilchen konnte eine Normalität gelebt werden, die Berliner Juden anderswo | |
verwehrt blieb“, heißt es dazu auf einer Ausstellungstafel. | |
Am 11. April 1933, nur wenige Monate nach der Machtübertragung an Adolf | |
Hitler, treten jedoch die meisten jüdischen Mitglieder aus dem Verein aus, | |
darunter auch Gründer Alfred Lesser. Im Protokoll der außerordentlichen | |
Mitgliederversammlung heißt es: „Die stark besuchte Versammlung wird von | |
Herrn Rüdiger eröffnet, der in seiner Rede darauf hinweist, dass die | |
Politik nunmehr auf den Verein Einfluss bekommen hätte und dass nicht nur | |
die Herren jüdischer Konfession ihre Vorstandsämter zur Verfügung gestellt | |
haben, sondern auch der größte Teil unserer jüdischen Mitglieder ihren | |
Austritt erklärt haben. Er bedauert dies, da sich unter diesen auch einige | |
sehr verdienstvolle Mitglieder befinden.“ | |
## Aberkannte Meistertitel | |
Von einem freiwilligen Austritt kann selbstverständlich nicht gesprochen | |
werden. Eine Woche zuvor hatte zunächst der Verein deutscher Faustkämpfer | |
einen „Arierparagrafen“ erlassen und dem Tennis-Borussen Erich Seelig seine | |
Meistertitel aberkannt. Alle jüdischen Mitglieder wurden ausgeschlossen, | |
jegliche sportliche Aktivität wurde ihnen untersagt. | |
Kurz darauf arisiert sich auch der Deutsche Tennisbund (DTB) und schließt | |
unter anderem den ehemaligen Tennis-Borussen Daniel Prenn aus. Auch Nelly | |
Neppach, deutsche Meisterin im Damentennis von 1925, wurde aus dem | |
Sportbetrieb entfernt. | |
Der DTB sei von nun an „judenfrei“ – offen praktizierter Antisemitismus. | |
Nach dem Ende des Nationalsozialismus treten viele ehemalige jüdische | |
Mitglieder wieder in den Verein ein. „Die Geschichte entzieht sich ganz | |
einfachen Interpretationen und Deutungsmustern“, sagt Jan Buschbom. | |
Neppachs Geschichte wird ebenfalls in der Ausstellung beleuchtet. Sie gilt | |
als erste deutsche Sportlerin, die internationale Bekanntheit erlangte. Ab | |
dem Alter von zwölf Jahren gewann sie Hunderte Tennisturniere. Bereits 1926 | |
wird sie aufgrund einer Frankreich-Reise zeitweise vom Spielbetrieb | |
ausgeschlossen. In einer nationalistischen und antisemitischen | |
Pressemitteilung erklärt der DTB, Neppachs Popularität sei auf ein | |
„Netzwerk befreundeter Federn“ zurückzuführen, ihr Meistertitel sei ein | |
„Glückssieg“ gewesen. Kurz nach dem endgültigen Ausschluss 1933 nimmt sich | |
Neppach im Alter von 34 Jahren das Leben. „Die jüngste Aktion des deutschen | |
Tennis, nichtarische Spieler von der Teilnahme an offiziellen Begegnungen | |
auszusperren, gilt als verantwortlich für ihren depressiven Schub“, | |
schreibt der Berlin-Korrespondent der New York Times damals. | |
Auf informativen Wandtafeln erfährt man viel Neues über prominente und | |
weniger prominente jüdische Mitglieder, Sportler und Funktionäre des | |
Vereins. Jan Buschbom öffnet zudem seine einzigartige Foto- und | |
Dokumentensammlung. In Vitrinen werden einige Exponate aus den 1920er und | |
1930er Jahren ausgestellt, etwa ein Fotoalbum eines Tennisturniers, aus dem | |
Daniel Prenn als Sieger hervorging. | |
Leider bleibt das heutige Engagement der TeBe-Fans in der Ausstellung | |
unerwähnt. Aus der Beschäftigung mit der jüdischen Vereinsgeschichte hat | |
sich schon lange ein Engagement gegen Antisemitismus entwickelt, das sich | |
auch in einer Solidarität mit Israel ausdrückt. Dass oft eine Israelfahne | |
im Fanblock hängt, ist sogar im Computerspiel Fifa zu sehen, für das einige | |
Oberligastadien designt wurden. Und auch die jüdische Geschichte ist bei | |
den Fans präsent. | |
So ist ein Fanturnier nach Alfred Lesser benannt, und bei jedem Spiel | |
werden T-Shirts mit dem Aufdruck „TeBe-Fans gegen Antisemitismus“ verkauft. | |
Momentan arbeiten Fans an einem Gedenkort im Mommsenstadion für die im | |
Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten TeBe-Mitglieder. Anhänger | |
gegnerischer Vereine nutzen diesen bewussten Umgang, um TeBe zu beleidigen. | |
„Der alte Jude lebt nicht mehr, Hans Rosenthal ist tot“, heißt es | |
beispielsweise in einem noch immer beliebten Gesang. Der Fernsehmoderator | |
Rosenthal war von 1965 bis 1973 Präsident des Clubs. Bei TeBe wird er nach | |
jedem Tor gezeigt. | |
Viele TeBe-Fans wurden gar über solche Anfeindungen politisiert. Ein | |
prominentes Beispiel: der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert. „Bei | |
Tennis Borussia habe ich gelernt, wie aus menschenfeindlichen Anfeindungen | |
politisches Bewusstsein entstehen kann“, sagt er zur taz. Antisemitische, | |
rassistische und schwulenfeindliche Angriffe gegen den Verein habe es immer | |
wieder gegeben. „Als Fans haben wir darauf nicht mit Pöbeleien reagiert, | |
sondern im Gegenteil die Vielfalt zum Leitgedanken des Vereins erhoben. Wer | |
glaubt, er könne uns mit dem Dreiklang „jüdisch, migrantisch, schwul“ | |
beleidigen, der irrt. Die meisten, die bei uns in der Kurve stehen, kommen | |
genau deshalb zu uns.“ | |
31 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Frederik Schindler | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |