| # taz.de -- Poetische Unterwanderungen | |
| > In der Galerie Buchholz sind Werke der Künstlerin Nairy Baghramian unter | |
| > dem Titel „Vitrine Rafraîchirée“ zu sehen | |
| Von Alicja Schindler | |
| „Vitrine Rafraîchirée“ ist die zweite Einzelausstellung Nairy Baghramians | |
| in den Berliner Räumen der Galerie Buchholz betitelt. Anspielungen auf | |
| Mode, Design, und Architektur ziehen sich durch Baghramians Werk, seit die | |
| 47-jährige Iranerin in den Neunzigern in Berlin begann, Kunst zu machen. | |
| Ausgangspunkt ihrer Ausstellung ist eine Publikation. Anders als sonst, | |
| steht diese nicht am Ende, sondern am Anfang. Das Motiv der Umkehrung ist | |
| exemplarisch für die Ausstellung.Der Katalog erschien zur Schau | |
| „Déformation Professionelle“ in Gent und Minneapolis. „Die beiden Museen | |
| fragten, ob ich eine Retrospektive zeige.“ Statt der Einladung gerecht zu | |
| werden, entschied sich die Teilnehmerin der documenta-14 für eine | |
| Modifikation. Oder Umkehrung. Statt alter Arbeiten wollte sie neue Werke | |
| ausstellen. Mit ihnen bezog sie sich selbstreflexiv auf älteres Material. | |
| Während man in Gent und Minneapolis die neuen Werke sehen konnte und die | |
| Gegenüberstellung lediglich im Katalog, zeigt die Galerie Buchholz jeweils | |
| beide Arbeiten. Im ersten Geschoss die neuen, oben die älteren. | |
| Eindrücklich wird das Prinzip der Selbst-Analyse, die aus bereits bekannt | |
| geglaubten Formen etwas Neues, bislang Ungewusstes herausstülpt, bei den | |
| Skulpturen „Formage de Tête“ von 2011 und der Version von 2018. Welche | |
| zusätzlich „Vitrine Rafraîchirée“ betitelt ist. | |
| ## Bauklotzartige Keramik | |
| Auf einer Art Kühlvitrine liegt bauklotzartige Keramik. Sie sind die | |
| anwesenden Positiv-Formen für die abwesenden Negativ-Formen, die in den | |
| leeren Stellen der Silikonskulptur im zweiten Geschoss fehlen. Schaut man | |
| genau hin, sind es nicht die gleichen Formen. Auch hier durchkreuzt die | |
| Künstlerin Erwartungen. In einer Ecke im oberen Geschoss der Galerie stehen | |
| zwei Objekte mit dem Titel „Eule“, die an Barhocker erinnern. Ihre Sitze, | |
| in Form eines Gesäß-Abdrucks in Harz, sind so filigran, dass sie bei | |
| Benutzung kaputt gingen. | |
| Riesige Kissen liegen daneben auf einem Metallrohr, das einem | |
| Krankenbett-Träger ähnelt. Weder im Spital, noch in der Bar wird | |
| gearbeitet. An beiden Orten befindet man sich außerhalb des | |
| gesellschaftlich vorgegebenen Rhythmus. Baghramian thematisiert stützende | |
| Elemente. Wie das Rohr unter den Kissen. Was tragend ist, bemerkt man, wenn | |
| es nicht funktioniert. Das ist bei einem Bettgestell so. Und in der | |
| Gesellschaft. So elegant wie Baghramian die Erwartungen der Institutionen | |
| an eine Retrospektive unterwanderte, so poetisch hinterfragen ihre Arbeiten | |
| Normen. Sie rücken das Zerbrechliche ins Zentrum. Und schaffen es so, sich | |
| von bestehenden Strukturen zu emanzipieren. Nicht aggressiv, wie man einen | |
| Aufstand erwartet. Sondern zart. | |
| Bis 17. 11., Galerie Buchholz, Fasanenstr. 30, Charlottenburg | |
| 2 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Alicja Schindler | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |