Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Brasiliens Trump bringt sich in Stellung
> In rund einer Woche tritt Präsidentschaftskandidat Bolsonaro zur
> Stichwahl an. Im Wahlkampf setzt er auf Hass und Hetze. Die Hoffnung
> schwindet seinen Sieg zu verhindern
Bild: „Er nicht“ hat sich eine Demon-strant*in auf den Körper gepinselt �…
Aus Rio de JaneiroAndreas Behn
Jair Bolsonaro legt sich mit der Bundesstaatsanwaltschaft an. Eine seiner
ersten Amtshandlungen als neuer Präsident Brasiliens soll eine Art
Freibrief für Polizisten werden. Damit soll ein tödlicher Schuss im Dienst
per Gesetz als Notwehr gewertet werden, eine Untersuchung solcher
Todesfälle wird es dann nicht mehr geben. Dies kündigte der rechtsextreme
Kandidat vor Kurzem beim Besuch einer Polizeisondertruppe in Rio de Janeiro
an. Die Staatsanwaltschaft reagierte zurückhaltend. Notwehr werde nur
mittels polizeilicher Ermittlungen festgestellt, hieß es aus Brasília.
Mit 59 Prozent liegt Bolsonaro in der jüngsten Umfrage zur Stichwahl um das
höchste Staatsamt deutlich vorne. Die Sicherheitspolitik ist sein größter
Trumpf: Laut Gesundheitsministerium sterben jedes Jahr über 60.000 Menschen
eines gewaltsamen Todes. 2016 stieg die Rate erstmals sogar auf über 30
Morde pro 100.000 Einwohner. Die Angst vor Überfällen ist allgegenwärtig.
Bolsonaros Versprechen, „radikal und mit harter Hand“ vorzugehen, fällt
daher auf fruchtbaren Boden. Zudem will er alle Brasilianer bewaffnen.
Warnungen von Experten, dass dies die Gewalt im Land weiter anheizt, werden
kaum gehört.
Aus einigen von Drogengangs dominierten Favelas wird berichtet, dass die
organisierten Kriminellen Bolsonaro unterstützen, da sie nach seinem
Wahlsieg hoffen an ausreichend billige Waffen heranzukommen. Bolsonaros
Wahlkampf ist ein Selbstläufer, der sich dank gefälschter Nachrichten und
steten Verunglimpfungen des Kontrahenten Fernando Haddad von der
Arbeiterpartei PT vor allem in den sozialen Netzwerken abspielt. Dem
früheren Bürgermeister der Metropole São Paulo wirft Bolsonaro gerne vor,
für Inzest und das Heranziehen homosexueller Kinder zu werben. Dementis und
Verbote seitens des Wahlgerichts kommen zu spät und verpuffen ungehört.
Fernsehdebatten sagt Bolsonaro regelmäßig ab und argumentiert mit einer
Messerattacke gegen ihn Anfang September bei einer Kundgebung. Obwohl es
aussichtslos ist, fordert Haddad täglich eine öffentliche
Auseinandersetzung um Inhalte und Positionen ein.
Linke und Demokraten der politischen Mitte verstehen immer noch nicht, wie
ihr Land in wenigen Monaten derart an den rechten Abgrund rücken konnte.
Sie schwanken zwischen Fassungslosigkeit und einer hektischen
Mobilisierung, um das Steuer in letzter Minute noch einmal herumzureißen –
weniger auf den Straßen, dafür in mühsamen Diskussionen mit Wählern und im
Internet. Ihre Herangehensweise: Bolsonaro und seine absurden Aussagen und
Stellungsnahmen sollen für sich selbst sprechen. Doch die Hoffnung auf
einen Kurswechsel schwindet. Das liegt auch daran, dass viele kaum eine
Alternative sehen. Etliche haben der PT, der Arbeiterpartei, während oder
nach ihren 14 Regierungsjahren den Rücken gekehrt. In ihren Augen ist die
PT längst eine normale, hierarchische Partei und Teil des durch und durch
korrupten Politsystems geworden. Fragwürdige Allianzen mit rechten oder
evangelikalen Parteien werden vor allem Lula da Silva vorgeworfen, der seit
seiner Verurteilung wegen Korruption vor einem halben Jahr die Parteilinie
aus dem Gefängnis heraus diktiert. Selbstkritik über eigene korrupte
Machenschaften oder gegenüber falschen Prioritäten ihrer Regierungszeit
gibt es kaum.
Auch Haddad wiederholt sein Versprechen umfassender Sozialpolitik und
vergisst dabei, dass die PT vor allem unter Präsidentin Dilma Rousseff
Wirtschaftswachstum ganz oben auf der Agenda ansiedelte. Umweltpolitik,
Nachhaltigkeit und auch Investitionen in Bildung wurden vernachlässigt. Vor
der Stichwahl am 28. Oktober setzt Haddad auf eine breite Allianz der
demokratischen Mitte. Sogar der konservative Altpräsident Fernando Henrique
Cardoso wird von vielen Seiten aufgefordert, Position gegen den
aufziehenden Faschismus zu beziehen. Doch die meisten Konservativen sind
längst auf Bolsonaros Seite. Großgrundbesitzern und Agrarbetrieben bot er
bereits an, Namen für das Landwirtschaftsministerium vorzuschlagen.
Seine Außenpolitik wird sich wohl am ehesten an US-Präsident Donald Trump
orientieren. So kündigte er an, einen Austritt aus dem Mercosur und dem
Schwellenländerverbund BRICS zu prüfen – sowie aus dem Pariser
Klimavertrag. Den Unternehmern versprach er die Privatisierung Hunderter
Staatsunternehmen. Nur seinen wichtigsten Unterstützern, dem Militär,
gefällt dies nicht. Sie pochen auf eine deutlich nationalere Ausrichtung
der Wirtschaftspolitik vor allem bei der Erschließung von Rohstoffen. Über
den Einfluss des Militärs wird ohnehin viel spekuliert. Das Magazin Carta
Capital berichtete jüngst über Hinweise, dass Haddads Kampagne von
Geheimdienst Abin überwacht wird, und dass die Militärführung sogar Druck
auf das Oberste Gericht ausübte, um eine eventuelle Freilassung von Lula zu
verhindern. Einige Generäle deuteten mehrfach an, dass ein „Chaos im Land“
nicht toleriert werde – und dass Bolsonaro der beste Garant für Ordnung
sei. Viele befürchten, dass eine Niederlage Bolsonaros ein Anlass für ein
Eingreifen des Militärs wäre. Zumal der 63-Jährige mehrfach sagte, er werde
nur einen Wahlsieg akzeptieren. Dies gleicht einer massiven Einschüchterung
gegen links. Zudem mehren sich seit dem ersten Wahlgang Berichte über
Attacken auf LGBT*-Aktivisten und Anhänger afrobrasilianischer Religionen.
19 Oct 2018
## AUTOREN
Andreas Behn
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.