# taz.de -- Hannah Reuter Blind mit Kind: Die Trotzphase(n) – unerwartet barr… | |
Zur Kita will ich nicht!“, schreit meine Tochter und stampft zur | |
Untermalung mit dem Fuß. Noch bevor ich zu einem beschwichtigenden Sermon | |
ansetzen kann, hat sie sich mit einem melodramatischen Abgang ins | |
Schlafzimmer verabschiedet. Ich höre sie nur noch schreien. | |
Die Trotzphase – natürlich auch für sehende Eltern eine Zeit fortwährenden | |
Nervenverlusts. Sie hatte mich schon gestresst, bevor sie begonnen hatte: | |
Was, wenn ich als blinde Mutter nicht schnell genug auf das wegrennende | |
Rumpelstilzchen reagieren können würde? Würde es gefährlich werden? Würde | |
ich mich hilflos fühlen? Die Antwort blieb ich mir schuldig – bis dieses | |
Schreckensgespenst am Horizont meiner jungen Elternschaft plötzlich auch | |
schon da war. „Ich will Schokolade! Kein rosa Pulli! Doch ein rosa Pulli!“ | |
… sonst wütendes Geschrei! | |
Ja, nervig, aber irgendwie doch total barrierefrei, merke ich, denn davon | |
abgesehen, dass man als blinder Mensch genauso ratlos vor dem Wüterich | |
steht, hat man gar keine Nachteile: Das Kind ist ja wunderbar zu hören! | |
Aufatmen? Nein, nicht immer. „Ich will Spielplatz! Ich will!“, und schwups | |
rennt meine Tochter durch das herannahende Gewitter dem Traumziel entgegen. | |
Ich höre nur den fernen Donner. Jetzt habe ich verloren! Ich schlucke, | |
beruhige mich selbst, übe mich in Gottvertrauen. Zum Glück stehen | |
Zweijährige nicht gern allein im Regen. Nach dem dritten verzweifelten | |
„Mama!!!!“ kann ich das Kind orten und einfangen. Was, wenn sie auf die | |
nächste Straße gelaufen oder in die Baugrube gestolpert wäre? Dann wäre sie | |
nicht meine Tochter gewesen, denn die ist nicht von der | |
Kamikaze-Kleinkind-Fraktion. Ganz im Gegenteil: „Mama, pass auf – Wasser!�… | |
schreit sie schon aus zwei Meter Entfernung, wenn ich mich beim Gassigehen | |
am Fluss aus Versehen der Uferkante näher. Glück gehabt – oder, wie viele | |
behaupten, unserer Situation geschuldet?! | |
Doch mit drei sieht die Sache schon wieder ein bisschen anders aus, da weiß | |
man schon bewusst, dass Mama und Papa nicht sehen. „Wir müssen los!“ Keine | |
Reaktion. „Wo bist du?“ Keine Antwort. Trotzen geht eben auch ganz leise, | |
wenn die Umstände es erfordern! „Bleibst du jetzt immer versteckt, damit | |
Mama dich nicht findet?“, frage ich. „Ich bin nicht versteckt!“, sagt mei… | |
Tochter trotzig, um den Sachverhalt zu klären. Wieder erwischt – puh! Was, | |
wenn sie noch ein bisschen älter ist und bewusster an die Sache rangehen | |
kann? | |
Dann kommt mir vielleicht eine ureigene Eigenschaft des Trotzens zugute: | |
Provozieren und sich durchsetzen wollen erfordert nun mal die | |
Aufmerksamkeit des Gegenübers. Wenn Mama nicht sieht, dass ich mir zum | |
wiederholten Male den Schlafanzug vom Leib reiße, ist die ganze | |
Anti-Schlafen-geh-Protest-Aktion witzlos! „Mama, ich bin wieder nackt!“, | |
ruft sie und legt zum Beweis meine Hand auf ihren kleinen Bauch. Ganz toll, | |
wie sich eben schon die kleinsten Kinder auf die Bedürfnisse ihrer Eltern | |
einstellen. | |
18 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Hannah Reuter | |
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