# taz.de -- Wie die unsichtbare Hand Bilder malt | |
> Die Schau „Konstruktion der Welt. Kunst und Ökonomie – 1919–1939 und | |
> 2008–2018“ in der Mannheimer Kunsthalle zeigt, wie sich Mensch und | |
> Maschine in Kunst und Wirtschaft spiegeln | |
Bild: Thierry Geoffrey: „Is Art the Last Bastion for Uprise?“, Installation… | |
Von Christian Hillengaß | |
Was tun mit den Händen, wenn sie kein Werkzeug mehr zu halten, keine Steine | |
mehr zu schleppen, keine Kohlenlore mehr zu ziehen haben? Wenn sie nicht | |
mehr für den Sieg des großen Projekts zu Fäusten geballt werden müssen, | |
weil alles vollendet ist? Die junge Frau auf Alexander Deinekas Gemälde | |
„Bau neuer Werkhallen“ scheint es nicht zu wissen. Erleichtert, verwundert | |
gar, steht sie da im hellen Kleid, blickt rosig und gesund zurück auf die, | |
die noch geschuftet hat. Von einer Konstruktionszeichnung am Bildrand führt | |
das 1926 entstandene Gemälde über die Darstellung harter Arbeit in eine | |
leuchtende Zukunft. Die Erschaffung einer heilen Welt ist machbar, | |
verkündet es in feinster Manier des sowjetischen Realismus. Fast ein | |
Jahrhundert später scheint der Glaube an das Digitale diesen Optimismus | |
fortzuführen. Alles ist berechenbar. Die Verwirklichung des Heils – nur | |
noch eine Sache von Fortschritt auf der Datenautobahn. Man müsste der Frau | |
nur ein Smartphone in die Hand malen und das Werk hätte ein zeitgemäßes | |
update. | |
Vergleiche dieser Art über ein Jahrhundert hinweg ermöglicht die | |
Ausstellung „Konstruktion der Welt. Kunst und Ökonomie“ in der Kunsthalle | |
Mannheim. Das Gemälde von Alexander Deineka ist das Titelmotiv der Schau, | |
die den Einfluss der Ökonomie auf die Kunst in einem internationalen | |
Vergleich untersucht. Mit Fokus auf die Jahre 1919 bis 1939 und 2008 bis | |
2018 zeigt sie, wie seismografisch Kunst auf ökonomische Großwetterlagen | |
reagiert und eröffnet gleichzeitig ein Panorama wirtschaftlich-sozialer | |
Zusammenhänge der letzten hundert Jahre. | |
Die Kunsthalle Mannheim ist dafür ein passender Ort. Mannheim ist als | |
Industrie- und Arbeiterstadt aufs engste mit den gezeigten Entwicklungen | |
verwoben. Zudem fand hier 1925 eine Ausstellung statt, die zeigte, wie | |
Krieg und Wirtschaftskrise neue Ansätze in der Kunst hervorbrachten. Unter | |
dem Titel „Die Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei nach dem | |
Expressionismus“ versammelte der damalige Direktor der Kunsthalle, Gustav | |
Friedrich Hartlaub, jene Künstler, die sich unter dem Eindruck von Krieg | |
und Krisen einer nüchternen, ordnenden Weltbeschreibung zuwandten. Der | |
Ausstellungstitel gab der neuen Stilrichtung ihren Namen. Neue Sachlichkeit | |
und Verismus sind auch in der aktuellen Schau zentral. Hartlaub war es ein | |
Anliegen, das Museum als Ort der Reflexion gesellschaftspolitischer | |
Entwicklungen zu gestalten. Eine Tradition, die die aktuelle Chefin Ulrike | |
Lorenz fortsetzt. Zusammen mit dem Kunsthistoriker Eckhart J. Gillen hat | |
sie das erste der beiden Ausstellungskapitel kuratiert. In einem Vergleich | |
der drei Industrienationen USA, Deutschland und Sowjetunion untersuchen sie | |
das Zusammenspiel von Kunst und Ökonomie zwischen den beiden Weltkriegen. | |
## Pulsierende Städte | |
Es beginnt mit einer Reise in pulsierende Großstädte. Ob diese als | |
glänzende Metropolen oder traurige Moloche wahrgenommen werden, hängt davon | |
ab, welchem Künstler man sich widmet. Allen gemeinsam ist die unmittelbare | |
Hinwendung zur zeitgenössischen Wirklichkeit und deren gegenständliche | |
Darstellung, wie sie durch die Neue Sachlichkeit eingeleitet wurde. Da | |
wanken etwa Juri Pimenows gespenstische Kriegsinvaliden, in Karl Hubbuchs | |
Lithographien flackern irre Räusche und menschliche Schattenseiten auf und | |
Otto Dix’Streichholzhändler sitzt hilflos in der Gosse. Oskar Nerlinger | |
feiert dagegen die moderne Stadt mit Funkturm und Hochbahn durch saubere | |
Linien und eleganten Schwung, wie es auch Berenice Abbotts Fotografien von | |
den Konstruktionen der neuen Hochbauten tun. Die Ökonomisierung aller | |
Lebensbereiche war durch die rasante Entwicklung der Technik mächtig | |
vorangeschritten, die Faszination daran ergriff auch die Künstler. | |
Ingenieuren gleich konstruieren sie ihre Bilder – so, als bauten sie mit an | |
der schönen neuen Welt. Tatsächlich werden sie oftmals selbst Werkzeug | |
staatlicher und ökonomischer Absichten, die sie mit ihren Werken | |
propagandistisch unterstützen. Elektrifizierung und Staudammprojekte, | |
Mechanisierung und Agrarintensivierung stehen auf den ökonomischen | |
Masterplänen der Zeit und werden durch identitätsstiftende Kunst dem Volk | |
vermittelt. | |
Dass sich die Form- und Bildsprache sowjetischer und US-amerikanischer | |
Werke dabei kaum unterscheidet, wird hier deutlich. Entbehrungen durch die | |
Weltwirtschaftskrise sollten durch staatsnahe Kunst abgemildert werden. | |
Dabei stehen sich die drei Nationen in nichts nach, überall wird | |
künstlerisches Schaffen politisch instrumentalisiert. Natürlich gibt es | |
Ausnahmen und Gegentendenzen, wie Clarence Carters „Kriegsbraut“ (1940) und | |
Rudolf Schlichters „Blinde Macht“ (1937). Beide erinnern am Ende des ersten | |
Ausstellungsteils daran, dass nicht zuletzt der Krieg Vater | |
technisch-ökonomischen Fortschritts ist. | |
## Nachwirkung von Bildern | |
Die Nachwirkung der intensiven Bildwelten stößt im zweiten, von Sebastian | |
Baden kuratierten Ausstellungsteil auf Gegenwartskunst vom Höhepunkt der | |
Finanzkrise 2008 bis heute. Das eröffnet einerseits Vergleichsmöglichkeiten | |
und Denksprünge zwischen den Zeiten. Andererseits kommen die ausgewählten | |
zeitgenössischen Exponate erst kaum gegen die Kraft der Malerei des ersten | |
Teils an. Da hat zum Beispiel Maja Bajevićdie Börsenkurse globaler | |
Handelsgüter in Teppiche weben lassen. Tatjana Doll malt Containerwände als | |
Symbol des Welthandels. In einer Videoinstallation von Mika Rottenberg | |
werden Feuchttücher aus dem Schweiß einer Lkw-Fahrerin produziert, womit | |
laut Katalogtext „gesellschaftliche Themen wie Warenproduktion, globaler | |
Handel, Arbeit, Ausbeutung und Konsum auf intelligent-kritische wie | |
verspielte Weise“ thematisiert werden sollen. Vielschichtiger ist die | |
Videoinstallation von Harun Farocki und Antje Ehmann, die 54 Perspektiven | |
auf Arbeit an neun verschiedenen Orten der Welt zeigt. Oder wenn die | |
Künstlergruppe „Chto Delat?“ die Nebenwirkungen von Privatisierung und | |
prestigeträchtigen Bauprojekten in Russland anhand einer Diskussionsrunde | |
erklärt. Wenn die sich autonom bewegenden Roboterskulpturen der Gruppe BBM | |
(Beobachter der Bediener von Maschinen) die BesucherInnen am Ende | |
ansprechen und scannen, verweisen nicht nur auf die beunruhigenden | |
Perspektiven elektronischer Kontrollmöglichkeiten. | |
Hier schließt sich auch der Kreis hin zum ersten Teil der Ausstellung, in | |
dem die Kunst bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts das Verhältnis von | |
Mensch und Maschine bildreich befragte. Es ist eine von vielen Verbindungen | |
durch die Zeiten, mit denen die sehenswerte Schau den Blick auf vergangene, | |
gegenwärtige und zukünftige Konstruktionen der Welt weitet. | |
Bis 3. Februar 2019, Katalog Band 1: 1919–1939, 58 Euro, Band 2: 2008–2018, | |
40 Euro. Sonderpreis für beide Kataloge im Museumsshop 55 Euro | |
17 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Christian Hillengaß | |
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