# taz.de -- Perfekte Andersartigkeit | |
> Die neue Direktorin des Gropius-Baus kuratiert die hierzulande erste | |
> Einzelausstellung der südkoreanischen Künstlerin Lee Bul | |
Bild: „Cyborg W1–W4“ von 1998 und „Transcription (Drift & Scatter)“, … | |
Von Alicja Schindler | |
Träume und Utopien, getragen von futuristischen Theorien, Science-Fiction | |
und visionärer Architektur: „Crash“ heißt die erste Einzelausstellung der | |
südkoreanischen Künstlerin Lee Bul in Deutschland. In der Werkschau zeigt | |
die Kuratorin und Direktorin des Gropius-Baus, Stephanie Rosenthal, Buls | |
Oeuvre seit Ende der 80er bis heute. Von den Performances über ihre Cyborgs | |
bis hin zu utopischen Landschaftsvisionen. Erstmals sind auch Gemälde zu | |
sehen. | |
Wer Donna Haraways Essay „A Cyborg Manifesto“ von 1984 kennt, auf den oder | |
die dürften Buls „Cyborgs“ oder die „Amaryllis and Transcription“ wie … | |
Allegorie wirken. Die weißen „Cyborgs“– fragmentierte Körperteile, die | |
weniger an eine Venus von Milo als an wespentaillierte Frauenkörper | |
japanischer Manga-Fantasien erinnern – hängen von der Decke und fügen sich | |
in ihrer Sterilität nahtlos in den weißen Saal der Institution ein. Die | |
„Amaryllis and Transcription“ genauso. Nur in ihrer Form sind sie nicht | |
kantig und maschinenhaft. Mit tentakelartigen, verschlungenen Luftwurzeln | |
greifen die filigranen, geflügelten Hybride um sich. Haraway benutzte die | |
Metapher des Cyborg Mitte der 80er in ihrem Essay als Strategie, um der | |
Binarität des westlichen Denkens zu entkommen. | |
Kein Körper ist hier ganz. Das Thema der Unvollständigkeit und des | |
Andersartigen zieht sich durch die Ausstellung. Bevor Bul 1997 mit ihrer | |
Arbeit an den Cyborgs begann, lag der Fokus auf ihrem eigenen Körper. Auf | |
mehreren Bildschirmen sind Buls Performances zu sehen. Eindrücklich sind | |
„Cravings“ und „Abortion“ von 1989. Für Erstere trug Bul | |
monströs-skulpturale Kostüme aus weichem Stoff, aus denen tentakelartige | |
Gliedmaßen herauswachsen. Diese zeigt die Ausstellung als Reproduktionen. | |
Für „Abortion“ hing Bul zwei Stunden nackt und kopfüber, in ein Korsett | |
eingeschnürt von der Museumsdecke und verwies auf das Elend der | |
Durchführung einer Abtreibung, die in Südkorea nach wie vor illegal ist. | |
Im Interview mit der Kuratorin erzählt Bul, wie sehr es sie geprägt hat, | |
„bei linksorientierten Eltern in einem Land aufzuwachsen, das damals linke | |
Ideen nicht billigte“. Die Künstlerin wurde 1964 als Tochter politischer | |
Aktivisten in Südkorea geboren. Aufgrund der Kontrolle während der | |
Militärdiktatur musste sie als Kind mindestens einmal im Jahr umziehen. | |
Deshalb habe sie früh gelernt, die Dinge in Distanz zu betrachten. Das | |
zeigt sich in Buls Arbeiten. Einerseits beobachtet sie genau. Andererseits | |
bleibt sie der Distanz verhaftet. Und löst sich nicht von theoretischen | |
Referenzen oder figurativen Science-Fiction-Ankern. Anspielungen auf | |
Literatur treffen auf die Philosophie Lyotards, die Architektur Bruno Tauts | |
und auf politische Ereignisse. | |
Durch die bruchlose Präsentation der Cyborgs, Hybride und Monster | |
beschleicht einen zuweilen das Gefühl, ein Archiv von Theorien nach Haraway | |
zu betrachten. Oder die institutionalisierte Andersartigkeit. Das ist erst | |
mal nicht schlecht. Aber wird die Öffnung zum Nicht-Binären zwischen den | |
weißen Wänden der Museumshierarchie nicht eher konserviert statt lebendig? | |
Je weiter man sich Raum für Raum von den Reproduktionen und den Cyborgs | |
entfernt, desto spannender wird es. Ihre Gemälde sind es, die eine neue | |
Sicht auf die Künstlerin ermöglichen. Die Kuratorin musste Bul dazu | |
überreden, sie erstmals ausstellen zu dürfen. In ihnen entspinnt Bul immer | |
noch erzählerische Referenzen mit Haaren und Blüten auf Samt und Seide. | |
Aber sie lässt hier Leerstellen zu. Zum Schluss fühlt man sich Bul nah. | |
Ihrer ästhetisch ausformulierten Perspektive als Südkoreanerin, als Frau, | |
als Mensch. Zwischen der Fragilität des Körpers und Technik, Theorie, | |
Politik. Und das ist vielleicht das, was zählt. | |
Bis 13. Januar, Martin Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, Di–So 10–19 Uhr | |
10 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Alicja Schindler | |
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