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# taz.de -- Die Stadt, der Stuhl und das Radio
> Wie mir ein Umzug in den noch höheren Norden einen ganz neuen Blick auf
> Bremen vermittelte
Bild: Eine Schraube an dem Radio ist kaputt, aber das ist mir egal
VonKarolina Meyer-Schilf
Seit 17 Jahren wohne ich in Bremen und bilde mir ein, die Stadt wirklich
gut zu kennen. Nennen Sie mir einen Straßennamen – und ich kann in 90
Prozent der Fälle wenigstens ungefähr den Stadtteil einordnen. Das bringen
die Zeit und auch der Job so mit sich. Nun aber verlasse ich die Stadt. Und
lerne sie gerade durch eBay Kleinanzeigen noch einmal ganz neu kennen.
Weil ich berufsbedingt unter der Woche im hohen Norden bin, Mann und Hund
aber in der gemeinsamen Wohnung verbleiben, brauche ich einfach alles neu,
für die kleine Bude am Arbeitsort. Bei der Suche nach gebrauchten Möbeln
und Küchenkram tun sich ganz neue Welten auf. Die Anzeigentexte geben einen
Blick frei in das Leben und die Welt der Menschen, die etwas verkaufen
wollen.
Da ist zum Beispiel Gesa. „Ich ziehe um und verkaufe deshalb meinen
Küchenstuhl“, schreibt sie. Meinen Küchenstuhl, Singular. Eine kleine Küche
taucht vor dem inneren Auge auf, darin Gesa, einsam, auf ihrem Stuhl. Sie
hat noch eine weitere Anzeige geschaltet: Ein Akkordeon, eine Taste ist
kaputt. Gesa allein in ihrer kleinen Küche, akkordeonspielend auf dem
schönen Frankfurter Stuhl, den sie nun für nur fünf Euro verkaufen will,
„La Paloma Ohé“ klingt schief, wegen der kaputten Taste.
Ich nehme nur den Stuhl. Als sie den Summer drückt und ich in das kleine
Altbremer Haus in der Neustadt trete, steht der Stuhl schon im Hausflur.
Lieber niemanden reinlassen, man weiß ja nicht, wer da am Ende so kommt.
Gesa ist eine hübsche blonde Frau, sie sieht nett aus, gar nicht einsam.
Vielleicht will sie sich für ihre neue Wohnung einen großen Esstisch
kaufen, mit mindestens sechs Stühlen für fröhliche Runden mit ihren vielen
FreundInnen, und der alte passt nicht so recht dazu.
Ich bin diejenige, die von der langen Tafel zu Hause wegzieht und in der
Stadt im hohen Norden einsam in der Küche sitzen wird – jedenfalls vorerst.
Gesa freut sich über die fünf Euro, ich mich über den Stuhl. Ein kurzer
Dialog, ein kleiner Scherz, nicht mal eine Minute und unsere Wege trennen
sich wieder.
Einige Wochen später, in Walle: Ich stehe in einer Straße, in der ich in
meinem ganzen Leben noch nie war und die ich nicht hätte verorten können.
Nicole hat ein Radio inseriert, schon im August. Nordmende, eine Schraube
am Henkel ist kaputt. Ich habe die Anzeige immer mal wieder angeschaut und
schreibe ihr schließlich.
Es kommt fast zwei Wochen lang keine Antwort. Offenbar hatte Nicole schon
resigniert und gar nicht mehr nachgeschaut, ob sich jemand für ihr Radio
interessiert. Wir verabreden uns für einen Dienstagabend. Die Gegend sieht
ein bisschen aus, wie man sich die Bronx vorstellt – breite Straßen,
Garagenhöfe, Werkstätten, dazwischen dubiose Kneipen und düstere
Wohnhäuser, die aber ein überraschend abgezirkeltes
Stiefmütterchenarrangement im Vorgarten haben.
Das Haus, in dem Nicole wohnt, wirkt abweisend. Als sie die Tür zu ihrer
Wohnung öffnet, steht das Radio schon bereit – auf einem kleinen Hocker
dudelt es fröhlich im Flur vor sich hin, mit seinem schiefen Henkel. Nicole
sieht aus wie eine typische Greenpeace-Aktivistin, sie trägt bunte weite
Hosen und eine Mütze über den kurzen Haaren. Ich frage mich, wie Nicole zu
dieser Wohnung gekommen ist, in diesem abweisenden Haus. Die Wohnungstür
habe ich offengelassen, weil ich nicht aufdringlich wirken will, Nicole
aber bittet mich, sie zu schließen – die Nachbarn. Wir stehen vor dem
kleinen Radio, ich drehe pflichtschuldig an einem Rädchen, weil ein Freund,
der sich mit Radios auskennt, mir gesagt hat, ich soll das machen. Alles
funktioniert, so weit ich das beurteilen kann.
Wir reden kurz über „Alexa“, dieses technische Wunderwerk, das neuerdings
alle haben, sind uns einig, dass wir nicht abgehört werden wollen und auch
nicht, dass die Nachbarn die Polizei rufen, weil „Alexa“ eine Party
veranstaltet, während man nicht zu Hause ist. Das alte kleine Radio rauscht
jetzt, weil ich alles verstellt habe. Es ist super. „20 Euro, oder?“, frage
ich. „Das wäre schön“, sagt Nicole.
Ich gebe ihr das Geld, sie rollt sorgfältig das Kabel auf und fragt, ob ich
eine Tüte möchte. Möchte ich nicht. Für den Rückweg, den ich alleine nie
finden würde, schalte ich das Navi ein.
4 Oct 2018
## AUTOREN
Karolina Meyer-Schilf
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