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# taz.de -- „Die sozialen Differenzen werden sogar größer“
> Das Institut für Arbeit und Wirtschaft hat Bremens Armutspolitik
> analysiert. Ergebnis: Alle wollen, nichts passiert. Günter Warsewa im
> Gespräch über Ressortlogiken und die Bedürfnisse der Praktiker vor Ort
Bild: Armut ist in Bremen nur mit Mühe zu übersehen. Die Anstrengungen der St…
Interview Karolina Meyer-Schilf
taz: Herr Warsewa, trotz vielfacher Bemühungen gibt es kaum Verbesserungen
in der Armutsbekämpfung. Woran liegt das?
Günter Warsewa: Wir haben festgestellt, dass es zwischen 2009 und 2016
durchaus Verbesserungen gibt. Das lässt sich an vielen Beispielen ablesen,
die wirtschaftliche Entwicklung hat sich deutlich verbessert, es gibt
weniger Privatinsolvenzen und auch eine verbesserte Einkommenssituation.
Was man unerfreulicherweise aber auch feststellen muss: Die verfestigte
Armut wird von diesen Verbesserungen überhaupt nicht tangiert, die sozialen
Differenzen werden sogar noch größer.
Woran sehen Sie das?
Das sehen wir überall. In der Sozialstruktur, der verfestigten
Langzeitarbeitslosigkeit oder auch an der Segregation in den Stadtteilen.
Man muss sagen: Es hat enorme Anstrengungen gegeben, sie haben aber nicht
dazu geführt, dass sich die Situation nachhaltig verbessert hat. Und das
ist die eigentlich interessante Frage: Wenn wir es mit lauter engagierten
Leuten zu tun haben und es außerdem wirtschaftlich bei uns gut läuft, warum
tut sich dann nichts bei der verfestigten Armut?
Vielleicht liegt es an der Steuerung.
Genau. Welche Ziele, welche Prioritäten gibt es, welche Aufmerksamkeit
bekommt das Thema? Armutspolitik steht dann doch nicht so weit oben auf der
Agenda. Es wird nicht wirklich konsequent als gemeinsame und zentrale
politische Aufgabe begriffen.
Sie sprechen auch von mangelnder Koordination.
Ja. Zwischen Stadtteilen und Behörden funktioniert die Kommunikation oft
nicht, es gibt Differenzen und Distanzen, man versteht einander nicht. Wir
müssen allerdings auch gerecht sein: Auch hier hat sich in den vergangenen
Jahren schon etwas verbessert.
Am mangelnden Willen der Beteiligten liegt es also nicht?
Uns wurde oft gesagt, dass es sehr schwer ist, die Zusammenarbeit, die vor
Ort gut funktioniert, auch in die höheren Ebenen zu übertragen. In den
Institutionen und Behörden gibt es dabei viele politische und ideologische
Konkurrenzen und Divergenzen.
Sie sagen: Man sollte mehr auf die Praktiker vor Ort hören.
Ja, genau. Wobei die Schwierigkeiten nicht nur zwischen unten und oben,
sondern auch auf der horizontalen Ebene, zwischen den einzelnen Ressorts
und Verbänden usw. liegen. Diese Ganzheitlichkeit, die auf praktischer
Ebene vor Ort erforderlich ist, geht in den typischen Ressortlogiken
regelmäßig verloren.
In Ihrem Bericht sprechen Sie auch von einer sogenannten „Projektitis“. Was
ist damit gemeint?
Das ist ein weiterer wichtiger Punkt. Das Tagesgeschäft ist oft zu
kurzatmig. Und, man muss es so hart sagen, die einzelnen Ressorts und
Institutionen sind nur wenig lernfähig. Es gibt ständig irgendwelche
Modellprojekte, aber niemand wertet das hinterher vernünftig aus. Kaum ist
ein Modellprojekt beendet, fängt auch schon das nächste an – und keiner
nimmt sich die Zeit, das vernünftig zu evaluieren und zu schauen, was man
eigentlich daraus langfristig lernen und gegebenenfalls verallgemeinern
kann. Wobei man auch hier wieder sagen muss: Man kann es auch kaum jemandem
vorwerfen. Alle versuchen das Beste in ihrem Bereich, aber es entsteht
daraus eben keine konsistente Armutspolitik.
Wenn Sie fordern, mehr auf die Praktiker vor Ort zu hören, muss es ja aber
auch irgendwo eine Entscheidungsebene geben. Denn jeder Quartiersmanager
ist natürlich auch der Lobbyist seines jeweiligen Stadtteils.
Im Moment gibt es überhaupt keine Steuerung oder eine Art übergreifende
Vernunft – was Sie ja zu Recht einfordern. Stadtteile werden dann gut
bedient, wenn sie ausreichend laut sind. Die Logik, die für eine
vernünftige Prioritätensetzung steht, gibt es nicht.
Noch nicht – Sie schlagen ja zum Beispiel die Einrichtung einer
übergeordneten Stabsstelle vor.
Das ist aber ein heißes Eisen. Wir als Sozialwissenschafter können
natürlich gut kritisieren. Die Erfahrungen mit Lenkungsgruppen und
Ähnlichem sind da auch nicht sehr vielversprechend …
… zumal sich Dinge ja auch mal schlagartig ändern können – die
Zuwanderungswelle etwa war vorher so nicht abzusehen. Da hätte alle
langfristige und zentrale Planung wahrscheinlich nichts genützt.
Das hat Bremen aber tatsächlich gut bewältigt. Allerdings sind die mittel-
und langfristigen Folgen eben auch noch nicht absehbar.
Was meinen Sie damit?
Auf der einen Seite hat die Zunahme an MigrantInnen für kurzfristige und
spürbare Zugänge in die Sozialsysteme gesorgt. Das kostet alles Geld. Und
das, was in der Politik als „wachsende Stadt“ positiv benannt wird, ist auf
der anderen Seite eine große Herausforderung für das Bildungssystem, den
Arbeitsmarkt und den Wohnungsmarkt – auch wenn Bremen das bisher
einigermaßen geräuschlos und problemlos bewältigt.
Wo liegen denn ganz konkret die größten Probleme?
Wir haben unsere jeweiligen Interviewpartner gefragt, was sie brauchen. Im
Bildungsbereich etwa ist es ja so: Die jammern ja immer, dass sie zu wenig
Geld und Personal haben – aber dort stimmt es eben auch. Hier muss eine
deutliche Besserstellung von Schulen erfolgen, die es schwer haben. Wir
nennen das „positive Diskriminierung“.
Und in den Stadtteilen?
Wir haben festgestellt, dass Ortsamtsleiter überfordert sind, die Vorgänge
in ihrem Stadtteil im Einzelnen im Blick zu haben. Hier müssen
kleinräumigere Maßnahmen geschaffen werden, auch die Quartiersmanager
müssten entlastet werden. Da schlagen wir vor, dass die Kapazitäten
verdoppelt werden.
Sie plädieren außerdem für einen sozialen Arbeitsmarkt für diejenigen, die
realistisch betrachtet kein reguläres Beschäftigungsverhältnis finden
werden.
Da gibt es die Idee einer öffentlichen Beschäftigungsgesellschaft, die zum
Beispiel „haushaltsnahe Dienstleistungen“ vermittelt. Aber wie auch immer
man das ausgestaltet: Ja, ein sozialer Arbeitsmarkt müsste deutlich
ausgeweitet werden.
Eine Gruppe, die immer durch alle Raster fällt, sind jene Menschen mit
einem Verdienst knapp über der Förderungsgrenze – die sind eben gerade
nicht arm, aber für die gestiegenen Mieten auf dem derzeitigen
Wohnungsmarkt reicht es trotzdem nicht.
Richtig. Man muss für diese Gruppe einfach dafür sorgen, dass es ein
hinreichendes Marktsegment an bezahlbarem Wohnraum gibt. Da geht es um ganz
konkrete und handfeste Dinge wie Wohnungsbau und Mietpreisbremse.
Es ist ja nun nicht das erste Mal, dass Sie eine solche Erhebung und einen
Bericht dazu veröffentlichen. Wie beurteilen Sie die Chancen, dass sich
bald etwas in der Armutspolitik ändert?
Ich wäre schon zufrieden, wenn eine soziale Stadtpolitik als gemeinsame
Aufgabe von Politik und Gesellschaft begriffen würde und die Bewältigung
von Armut mit einschließen würde. Alle würden behaupten, sie tun das – aber
wir sehen, dass man da wesentlich mehr tun kann.
22 Sep 2018
## AUTOREN
Karolina Meyer-Schilf
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