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# taz.de -- Gülen-Jagd auf dem Pferd
> In Kirgistan zeigte sich der türkische Präsident PR-wirksam bei den
> Nomadenfestspielen. Dabei ging es ihm vor allem um den Kampf gegen
> Gülen-Strukturen
Bild: Ein Spektakel von Mensch und Pferd: die World Nomad Games in Kirgistan
Von Dénes Jäger
Es war ein Staatsbesuch ganz nach dem Geschmack der Familie Erdoğan:
Präsident Tayyip durfte die aus türkischen Mitteln finanzierte größte
Moschee Zentralasiens in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek einweihen,
seine Frau Emine besuchte ein neues türkisch-kirgisisches Krankenhaus.
Später am Tag saß man gemeinsam mit Sohn Bilal bei der Eröffnung der „World
Nomad Games“, der Olympiade für nomadische Kultur und Sport. Neben den
Erdoğans begrüßte der kirgisische Präsident Sooronbay Jeenbekov zu der
Zeremonie weitere illustre Gäste: Unter anderem waren Präsident Nazarbayev
aus Kasachstan und Ministerpräsident Orbán aus Ungarn gekommen. Sie sahen
ein Spektakel von Pferd und Mensch, das wohl insbesondere dem Vorsitzenden
des unlängst gegründeten Welt-Ethnosport-Verbands gefallen haben dürfte –
Bilal Erdoğan. Während der sich am nächsten Tag auf dem malerisch im
Tien-Shan-Gebirge gelegenen Festivalgelände seinem geliebten traditionellen
Bogensport widmen konnte, machte sein Vater wenige Kilometer entfernt
Politik.
Denn zeitgleich tagte der „Türkische Rat“, eine Organisation aus
turksprachigen Ländern, die sich in unregelmäßigen Abständen trifft. Dieses
Jahr war Ungarn als Beobachterland anwesend, dessen Regierung sich der
Region zugehörig fühlt. Die Außenpolitik Viktor Orbáns ähnelt der seines
türkischen Gegenübers: Beide orientieren sich aktuell Richtung Osten und
spielen rhetorisch mit dem Ursprungsort ihrer Völker. Erdoğan spricht
beispielsweise im Zusammenhang mit den Ländern Zentralasiens regelmäßig von
„Brüdervölkern“ und betont eine durchgehende kulturelle Linie vom
Mittelmeer bis in das Hochgebirge Tien Shan.
## Türkischer Einfluss in Zentralasien
Die mythologische Grundlage solcher Narrative stammt von nationalistischen
Autoren des 20. Jahrhunderts wie Ziya Gökalp, die die Strömungen
Pan-Turkismus und Turanismus prägten. Zentral für diese Ideologie ist eine
kulturelle und politische Allianz von Turkvölkern und anderen, wie
beispielsweise den Ungarn, die ihre Wiege in Zentralasien sehen. Zum ersten
Mal witterte die Türkei Anfang der Neunzigerjahre die Chance, mehr Einfluss
in Zentralasien zu gewinnen. Als die fünf mittelasiatischen
Sowjetrepubliken ihre Unabhängigkeit erklärten, wollte die Türkei mit ihrer
säkularen, wirtschaftlich liberalen Republik ein Vorbild werden. Das
türkische Modell bekam zunächst auch Unterstützung aus dem Westen, der so
die Gefahr einer radikalen Islamisierung der Region gebannt sah.
Nur wenige Jahre später war das türkische Modell jedoch obsolet geworden:
Laut dem Turkologen Rainer Freitag-Wirminghaus wurde die erhebliche
kulturelle Kluft zwischen der Türkei und den zentralasiatischen Staaten
unterschätzt. Hinzu kam, dass die Investitionen aufgrund der Krisen im
eigenen Land hinter den Erwartungen zurückblieben. Zwar kamen einige
türkische Geschäftsleute mit Pioniergeist nach Kirgistan und gründeten
unter anderem das erste Einkaufszentrum Bischkeks, im Vergleich zum
Einfluss Russlands oder Chinas blieb das Handelsvolumen jedoch gering.
Statt auf Straßenbau setzt Ankara eher auf kulturelles Kapital.
Ein Beispiel dafür ist die staatliche türkisch-kirgisische Universität
Manas in Bischkek. Hier lernen Kirgis*innen gemeinsam mit Türk*innen und
turksprachigen Studierenden aus anderen Ländern. Die Lehrsprachen sind
Türkisch und Kirgisisch, das Studium ist im Gegensatz zu den lokalen
Universitäten kostenlos. In den letzten Jahren investierte das türkische
Bildungsministerium konsequent in die Universität. Mittlerweile gehört sie
zu den besten des Landes.
Für Kirgistan interessiert sich die Türkei in den vergangenen Jahren auch
noch aus einem anderen Grund besonders: Wenige Kilometer von der
Universität Manas entfernt befindet sich die private Ala-Too-Universität.
Sie entstand ungefähr zeitgleich im Jahr 1996 unter der Schirmherrschaft
der Sebat-Stiftung, die der Gülen-Bewegung nahesteht und zusätzlich viele
Gymnasien im Land betreibt. Wurden die Bildungseinrichtungen erst als
Exporteure türkisch-islamischer Kultur in die Region begrüßt, sind sie der
türkischen Regierung spätestens seit dem Putschversuch 2016 ein Dorn im
Auge.
## Konflikt um Gülen-nahe Stiftung in Kirgistan
Während die türkische Regierung in vielen Ländern der Region erfolgreich
Druck auf Regierungen aufbauen konnte, Gülen-nahe Organisationen schließen
zu lassen, zeigte sich die kirgisische Regierung stur. Als der türkische
Außenminister Çavuşoğlu im Juli 2016 warnte, dass auch in Kirgistan ein
Putsch durch „Fetö“ drohe, entgegnete der damalige Präsident Almazbek
Atambayev harsch: „Versucht nicht uns einzuschüchtern. Wenn die Türkei so
smart ist, wie konnte es dann dort zu einem Putschversuch kommen?“ Fortan
herrschte diplomatische Eiszeit zwischen den Ländern. Die kirgisische
Regierung benannte die Sebat-Stiftung dennoch in „Sapat“ um und
unterstellte ihre Geschäfte dem kirgisischen Bildungsministerium.
Im April kam es zur Wende in den Beziehungen: Der neu gewählte Präsident
Jeenbekov lud Erdoğan nach Kirgistan ein. In Bischkek ging es nun abseits
pantürkischer Symbolik um Realpolitik. Jeenbekov forderte ein größeres
Engagement türkischer Investoren, während Erdoğan nahezu jede Redeminute
nutzte, um vor den Gefahren der Gülen-Bewegung zu warnen. Im Gepäck hatte
der türkische Präsident Auslieferungsersuchen für eine Reihe von Personen,
die angeblich am Putschversuch 2016 beteiligt gewesen sein sollen.
Eine Woche nach dem Staatsbesuch folgte der nächste Streich. Auf einer
Pressekonferenz verkündete der türkische Botschafter in Bischkek, Cengiz
Kamil Fırat, dass alle Bildungseinrichtungen der Sapat-Stiftung in die
Hände der Maarif-Stiftung übertragen werden müssten, da sie „auf Kosten der
türkischen Steuerzahler“ gebaut worden seien. Die von der türkischen
Regierung neu gegründete Maarif-Stiftung wurde in den letzten Jahren vor
allem in afrikanischen Staaten genutzt, um die Geschäfte der dortigen
Gülen-nahen Schul- und Universitätsbetriebe zu übernehmen oder um durch
eigene Schulgründungen mit ihnen in Konkurrenz zu treten.
Das kirgisische Bildungsministerium dementierte eine Übergabe der
Bildungseinrichtungen und unterstrich, dass man als Miteigentümer selbst
über das Schicksal der Sapat-Stiftung entscheiden würde. Ganz ohne konkrete
Versprechungen musste Erdoğan die Heimreise indes nicht antreten. Die
nächsten World Nomad Games sollen 2020 in der Türkei stattfinden.
22 Sep 2018
## AUTOREN
Dénes Jäger
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