# taz.de -- Wie Airbnb, nur für Autos | |
> Überall etablieren sich neue Car-Sharing-Projekte. In Potsdam nutzt | |
> „StadtTeilAuto“private Bestände statt eigener Fuhrparks. Eine gute Idee | |
> ist das aber leider nicht immer | |
Bild: Stehende Blechlawine. Wenn man sie teilt, wird sie dann weniger? | |
Von Wiebke Schönherr | |
Irgendwann fing Joos van den Dool an, sich zu wundern. Es standen so viele | |
Autos in seinem Kiez, ja in ganz Potsdam herum. Jeden Tag an selbiger | |
Stelle. Kaum benutzt, kaum bewegt. Die reinste Verschwendung an Blech und | |
Platz. | |
Während die Straßen voller Autos waren, bot Potsdam aber auch eine große | |
Lücke: gewerbliches Car-Sharing gab es hier nicht. Kein DriveNow, kein | |
car2go oder cambio. Schließlich klebte van den Dool, gebürtiger | |
Niederländer, ein paar Zettel an die Straßenlaternen seiner Nachbarschaft | |
im Westen der Stadt: Wer hat Interesse an Kiez-Car-Sharing? Darunter | |
standen Ort und ein Datum fürs erste gemeinsame Treffen. Es kamen zehn | |
Neugierige. Es konnte losgehen. „Ich wollte gemeinschaftlich etwas | |
bewegen“, sagt van den Dool mit Blick zurück. | |
Heute, fünf Jahre später, gehören der Initiative 400 Leute aus der | |
Nachbarschaft und zwölf Autos an, darunter sind Familien, Rentner und | |
Singles, sowie Kleinwagen, Kombis, Transporter und sogar ein Elektroauto. | |
„StadtTeilAuto“ Potsdam heißt die Sharing-Gemeinschaft. Zwei Lastenräder | |
zählt sie auch noch zu ihrem Bestand. Die Fahrzeuge wandern auf rein | |
privater Basis von Hand zu Hand. | |
Laternenpfosten muss man dafür nicht unbedingt bekleben. Es reicht auch in | |
Klick im Netz. Drivy, SnappCar und Getaway – diese drei Online-Plattformen | |
haben das Teilen von Autos zu ihrem Geschäftsmodell gemacht. Anders als | |
DriveNow oder Flinkster haben sie keine eigene Fahrzeugflotte, sondern | |
vermitteln private Autos, mit denen sie Geld verdienen wollen. Wie Airbnb, | |
nur für Autos. Ihr Markt wächst. Drivy meldete für den Juli dieses Jahres | |
230.000 registrierte Nutzer. Ende 2017 waren es noch 30.000 weniger. Auch | |
die, die ihr Auto dort anbieten, können damit ihren Kontostand verbessern. | |
Doch um materiellen Gewinn geht es van den Dool nicht, sondern um | |
ökologischen und sozialen. Die Kosten werden bei StadtTeilAuto solidarisch | |
und nicht gewinnbringend geteilt. Mit rund 35 fälligen Cent pro Kilometer | |
ist die Versicherung, sind eventuell anfallende Reparaturen und auch das | |
verbrauchte Benzin abgedeckt. | |
Wer sich über die Fahrzeug-Liste online ein Auto herausgesucht hat, ruft | |
beim Besitzer an und vereinbart die Zeit der Ausleihe. Den Schlüssel | |
bekommt man an der fremden Wohnungstür. Einmalig wird zwischen Nutzer und | |
Besitzer ein Vertrag unterzeichnet, der Rest beruht auf Vertrauen und | |
Absprache. „Es geht um geteilte Werte“ sagt van den Dool. „Wir wollen | |
Ressourcen sparsam nutzen, die Umwelt schützen.“ | |
Neu ist die Idee nicht unbedingt: Im bayerischen Vaterstetten gibt es | |
bereits seit 1992 Carsharing-Vereine, in Landshut seit 1993 und in | |
Halberstadt seit 1996. Rund 40 Prozent aller Anbieter sind laut | |
Bundesverband CarSharing so organisiert. Sie haben zwar oft nur eine | |
Handvoll Autos, aber einen festen Nutzerkreis. Die Fahrzeuge gehören dem | |
Verein, sind also nicht in privaten Händen. Aber sie werden im Sinne des | |
ursprünglichen Sharing-Gedankens geteilt: nicht gewinnorientiert. | |
Neu ist aber die rasante Zunahme dieser Initiativen. Vor allem in | |
Baugemeinschaften und anderen Formen gemeinschaftlichen Wohnens gehört | |
Car-Sharing mittlerweile zum Lebensstil dazu. Jutta Deffner vom Institut | |
für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt/Main (ISOE) begleitete in den | |
vergangenen Jahren mehrere nachbarschaftliche Sharing-Initiativen | |
wissenschaftlich. Sie sagt: „Es gibt heute kaum noch ein gemeinschaftliches | |
Wohnprojekt, in dem nicht versucht wird, Mobilität nachhaltig zu | |
gestalten.“ Im brandenburgischen Werder etwa schuf die neu gegründete | |
Mehrgenerationen-Genossenschaft Uferwerk ein eigenes System zum | |
Auto-Teilen. Dort kommen nun auf rund 55 Haushalte 24 Autos. | |
Und in Hamburg machte die Eigentümergemeinschaft Dock71 aus der Not eine | |
Tugend: Weil für ihren Neubau in der Hafencity eine zweite Parkebene in der | |
Tiefgarage zu teuer geworden wäre, bastelten sie an einem | |
Mobilitätskonzept, das die Anzahl der Autos reduzieren würde. Neben einer | |
geplanten Fahrradwerkstatt im Haus und der Idee, mit dem HVV ein spezielles | |
Bewohnerticket zu entwickeln, gehörte dazu auch eine Sharing-Initiative für | |
Autos. Sie gründeten einen Verein, dem mittlerweile 35 Bewohner des Hauses | |
angehören. Im Juni dieses Jahres konnte Dock71 Car-Sharing sein erstes Auto | |
kaufen. Für die Verwaltung des Carsharing-Betriebs entwickelten sie ein | |
Buchungsportal: otua.de. | |
Zäh können diese Versuche, nachhaltig zu werden und flexibel zu bleiben, | |
aber sein. Was, wenn ich mein Auto mal brauche, und dann steht es nicht vor | |
der Haustür? Und will ich jedes Mal den Kofferraum leeren und die Rücksitze | |
dazu, wenn ich mein Fahrzeug abgebe? | |
Manche Menschen, so hat es Jutta Deffner erlebt, haben dieses Sharing-Ideal | |
vor Augen, aber „ihr Hauptzugriffsrecht“, so Deffner, auf ihr Auto zu | |
verlieren, das ist ihnen dann doch zu viel. Bei einem von ihr begleiteten | |
Wohnprojekt in Berlin hat sich so ein Car-Sharing mit Buchungssystem nicht | |
durchgesetzt. Stattdessen organisieren sie dort nun einen informellen | |
Austausch. Es gibt eine Liste an Fahrzeugen, die geteilt werden können. Wer | |
eines braucht, ruft beim entsprechenden Besitzer an. „Die | |
Sharing-Konzepte“, sagt Deffner „werden in jeder Gemeinschaft neu | |
ausgehandelt.“ | |
Van den Dool will seine Potsdamer StadtTeilAuto-Initiative baldmöglichst in | |
einen Verein umwandeln. Das Ausleihen der Fahrzeuge soll aber weiter so | |
einfach wie möglich sein: Erst wird online gebucht, dann wird der Schlüssel | |
persönlich abgeholt. „Ohne Chip-Karte und ohne Board-Computer“, verspricht | |
er. Er schätzt den Plausch mit den Nachbarn. Für ihn hat Car-Sharing auch | |
einen sozialen Gewinn. | |
17 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Wiebke Schönherr | |
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