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# taz.de -- Wirtschaftsexperte zur Lira-Krise: „Es braucht grundlegende Refor…
> Die türkische Wirtschaftspolitik der letzten Monate war fehlerhaft, sagt
> Alper Üçok, der Berliner Vertreter des türkischen Unternehmerverbandes
> TÜSİAD.
Bild: Tourist*innen profitieren von dem schwachen Lira-Kurs
taz.gazete: Herr Üçok, gibt es in der Türkei eine Wirtschaftskrise?
Alper Üçok: Der Terminus Wirtschaftskrise geht mir in der aktuellen Phase
zu weit. Es gibt Schwierigkeiten und Engpässe, aber der Begriff
'Devisenschock’ passt da eher. Allerdings können die derzeitigen
wirtschaftlichen Probleme Verlangsamung, Stillstand und im kommenden Jahr
auch eine Schrumpfung der Wirtschaft auslösen.
Wie schätzen Sie als ein in Deutschland lebender Geschäftsmann strukturelle
Probleme der türkischen Wirtschaft ein?
TÜSIAD sagt seit langem, dass Strukturreformen nötig sind. Die drängendsten
Reformen sind: Verbesserung von Bildungswesen und Rechtssystem,
Beschleunigung von Prozessen, die Dynamik in die Arbeitswelt bringen, Abbau
bürokratischer Hürden, Regulierung des Arbeitsmarktes, Reformen bei
sozialer Absicherung und in bestimmten Sektoren. Weil ständig Wahlen
stattfanden, wurden diese Reformen immer wieder hinausgezögert. Wir haben
keine Zeit mehr zu verlieren.
Wie wirkt sich der hohe Wechselkurs auf die in Deutschland operierende
türkeistämmige Geschäftswelt aus?
Die desaströsen Auswirkungen des hohen Kurses stellen ein Problem dar.
Genauso die unvorhersehbaren Kursschwankungen. Unternehmen können
buchstäblich nicht planen, weder kurz-, noch mittel- oder langfristig. Da
aufgrund der hohen Wechselkurse die Konkurrenzfähigkeit der Produkte aus
der Türkei im Augenblick etwas gestiegen ist, können sich kurzfristig
positive Effekte für Unternehmen in Europa ergeben, die mit der Türkei
Handel treiben. Diese dürften allerdings begrenzt und nur vorübergehender
Natur.
Als ein potenzieller Ausweg aus der Wirtschaftskrise wird über IWF-Hilfen
gesprochen. Wie stehen Sie dazu?
Ich denke, es sollten eher andere Wege genutzt werden als jener zur IWF.
Mit diversen Akteuren wie der Weltbank, der Europäischen Entwicklungsbank,
der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EBRD oder der
Asiatischen Entwicklungsbank könnten Gemeinschaftsprojekte zur
Unterstützung des Privatsektors in der Türkei aufgelegt werden.
Die Parteien in Deutschland diskutieren über Finanzhilfen für die Türkei.
Kanzlerin Merkel hat erklärt, die Türkei benötige derzeit keine deutsche
Wirtschaftshilfe. Was denken Sie über diese Diskussion?
Solange keine klare Forderung von türkischer Seite vorliegt, halte ich
diese Debatten für verfrüht und unnötig. Selbstverständlich können
Vorbereitungen getroffen werden, das ist ja normal. Das Handelsvolumen
zwischen der Türkei und Deutschland beträgt 37 Milliarden Euro, dazu kommen
rund 7.000 größere und kleinere deutsche Firmen, die in der Türkei tätig
sind. Dieses Ökosystem darf keinen Schaden nehmen. Es könnten
Erleichterungen für die Förderung durch die deutsche Kreditanstalt für
Wiederaufbau KfW oder den Zugang zu Hermesbürgschaften eingesetzt und
unterschiedliche Zusatzbeiträge aufgebracht werden.
In Europa ist derzeit oft zu hören sind, man dürfe die Türkei nicht
verlieren. Wenn sie sich dem Iran und Russland annähere, riskiere man das
aber. Wie verstehen Sie solche Kommentare?
Das sind in meinen Augen Fehlinterpretationen, verursacht durch eingeengte
Blickwinkel. Der Iran ist unser Nachbar, wir beziehen einen erheblichen
Anteil unseres Erdgases von dort, ebenso knüpfen wir seit geraumer Zeit
gute Beziehungen zu Russland. Unsere Beziehungen zur EU sind allerdings
vielschichtiger und tiefgehender. Was Syrien und die Sanktionen gegen den
Iran betrifft, decken sich die Positionen der EU und der Türkei weitgehend.
Im Augenblick, wo eine Annäherung an die EU stattfindet und diese noch
verstärkt werden soll, werden Behauptungen, es gäbe da Alternativen,
mutwillig in die Welt gesetzt.
Deutschland ist einer der größten Handelspartner der Türkei. Bei den
Direktinvestitionen in der Türkei ist Deutschland ganz vorne. Könnten Kurs-
und Kreditentwicklungen in der Türkei auch Deutschland treffen?
Im Augenblick handelt es sich nur bei 3 bis 4 Prozent der deutschen
Gesamtkredite an die Türkei um anschlussfinanzierte oder geplatzte Kredite.
Wir reden hier über eine niedrige Summe für das deutsche Bankenwesen. Es
geht im Vergleich zu anderen Ländern, speziell zu Spanien, Italien und
Frankreich, also nur um ein geringes Risiko. Von den Entwicklungen in der
Türkei geht praktisch kein Risiko für das deutsche Bankenwesen aus.
Gibt es auch Kreise, die von der Wirtschaftskrise profitieren? Wenn ja, wer
und warum?
Selbstverständlich haben manche beim Devisenschock und dem Anstieg der
Wechselkurse Gewinne gemacht. Wenn wir neben individuell Profitierenden an
größere Kreise denken, dann haben vor allem Unternehmen in Europa, die mit
der Türkei Geschäfte machen, die Waren aus der Türkei importieren. Und die
wiederum von diesen profitieren europäische Verbraucher. Auch
Europäer*innen sind Gewinner*innen der türkischen Krise, die sich
Vermögenswerte wie Immobilien in der Türkei anschaffen wollen, weil diese
nun in ihrer Währung, dem Euro, billiger sind. Natürlich profitieren auch
europäische Tourist*innen, die jetzt viel billiger Urlaub in der Türkei
machen können.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
31 Aug 2018
## AUTOREN
Pelin Ünker
## TAGS
taz.gazete
Politik
Schwerpunkt Türkei
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