| # taz.de -- Tränengas gegen die Samstagsmütter: Es hat sich nichts geändert | |
| > Die Polizei ging hart gegen den 700. Sitzstreik der Samstagmütter in | |
| > Istanbul vor. Zahlreiche oppositionelle Politiker*innen nahmen an dem | |
| > Protest teil. | |
| Bild: Zahlreiche oppositionelle Politker*innen protestierten mit den Samstagsm�… | |
| Seit 23 Jahren treffen sich Angehörige von verschwundenen Menschen auf dem | |
| zentralen Galatasaray-Platz in Istanbul. Am vergangenen Samstag wollten | |
| sich die Samstagsmütter zum 700. Mal versammeln, um Rechenschaft über den | |
| Verbleib ihrer Söhne, Väter und Männer zu verlangen. Wie jeden Samstag | |
| sollte das Treffen um 12 Uhr beginnen. Samstag früh erließ das türkische | |
| Innenministerium überraschend ein Versammlungsverbot. Als die | |
| Teilnehmer*innen trotzdem zum Platz kamen, wurden sie von der Polizei mit | |
| Tränengas und Plastikgeschossen angegriffen. | |
| Die Samstagsmütter protestieren seit 1995. Aufgrund der zunehmenden | |
| Polizeigewalt wurden die wöchentlichen Treffen am 13. März 1999 ausgesetzt | |
| und finden erst seit 2009 wieder statt. Die Istiklal-Straße, der | |
| Galatasaray-Platz liegt zentral in ihrer Mitte, war nach den Gezi-Protesten | |
| 2013 für Protestaktionen gesperrt worden. Nur die Samstagsmütter konnten | |
| sich hier weiter versammeln. | |
| Gegen 11.30 Uhr nahm die Polizei 47 Angehörige der Verschwundenen und ihre | |
| Unterstützer*innen auf dem Weg zur Sitzblockade fest. Erst in den | |
| Abendstunden wurden alle wieder freigelassen. | |
| Unter den Festgenommenen war auch die Angehörige Besna Tosun. Sie sagt, der | |
| Übergriff sei unerwartet gekommen. „Bei unserem 700. Treffen gab es keinen | |
| Unterschied zu all den anderen zuvor. Wie jede Woche wollten wir uns | |
| versammeln, still auf dem Platz sitzen und eine Presseerklärung verlesen.“ | |
| Festgenommen wurden auch der Journalist Faruk Eren, ein Bruder des | |
| verschwundenen Hayrettin Eren, und die 82-jährige Emine Ocak, Mutter des | |
| 1995 in Polizeigewahrsam verschwundenen Hasan Ocak, dessen Leichnam nach | |
| schwerer Folter später aufgefunden worden war. | |
| ## Das Symbol der Samstagsmütter | |
| Emine Ocak war bereits bei einem Polizeiübergriff 1997 festgenommen worden, | |
| elf Jahre später wurde sie am Samstag auf die gleiche Weise in einen | |
| Polizeiwagen gezerrt. Damals fotografierte der Journalist und heutige | |
| HDP-Abgeordnete Ahmet Şık sie. Das Foto wurde zum Symbol der | |
| Samstagsmütter. Jetzt nahm der Journalist Hayri Tunç ein ähnliches Foto | |
| auf. Besna Tosun berichtet über die Festnahme: „Die Polizisten attackierten | |
| uns wie irre, schlugen uns, warfen uns auf den Boden, drehten uns die Arme | |
| auf den Rücken und legten so Handschellen an.“ | |
| Während die Polizei die Samstagsmütter in die Polizeiwagen stieß, erklang | |
| aus den Lautsprechern am CHP-Kreis-Büro Beyoğlu das Lied „Finde mich | |
| Mutter“ über die Istiklal-Straße, das der im Exil verstorbene kurdische | |
| Musiker Ahmet Kaya einst für die Samstagsmütter geschrieben hatte. | |
| Der Galatasaray-Platz war von Wasserwerfern, der Bereitschaftspolizei und | |
| sogar Verkehrspolizisten abgeriegelt, dennoch drängten beharrlich unzählige | |
| Menschen dorthin. Gegen 12.15 Uhr sahen sich die Sicherheitskräfte | |
| gezwungen es zuzulassen, dass sich eine Gruppe von Angehörigen auf den | |
| Platz setzte. | |
| Zugleich weigerten sich die wütenden Protestierenden auseinanderzugehen, | |
| solange die Samstagsmütter und weitere Angehörige von Verschwundenen in | |
| Polizeigewahrsam waren. Die Proteste breiteten sich auf die gesamte | |
| Istiklal-Straße aus, Abgeordnete von HDP und CHP stellten sich vor die | |
| Wasserwerfer. | |
| ## Zu Terroristen erklärt | |
| Bei den brutalen Festnahmen durch die Polizei versuchten die | |
| HDP-Abgeordneten Garo Paylan, Ahmet Şık, Hüda Kaya und Serpil Kemalbay zu | |
| verhindern, dass Arat Dink, der Sohn des 2007 ermordeten armenischen | |
| Journalisten Hrant Dink, festgenommen wurde. | |
| Staatspräsident Erdoğan empfing die Samstagsmütter 2011 als Premierminister | |
| in seinem Amtssitz. An dem Treffen nahmen auch Emine Ocak und ihr zweiter | |
| Sohn Hüseyin teil. „Als er 2011 mit uns sprach, versprach er den Müttern, | |
| ihre Kinder zu finden. Wir sind seit 1995 mit denselben Forderungen auf | |
| demselben Platz. Bei uns hat sich nichts geändert“, sagt Besna Tosun über | |
| das damalige Treffen mit Erdoğan. | |
| Nach den Tränengas- und Wasserwerfereinsätzen gab der Innenminister | |
| Süleyman Soylu am Montag eine Erklärung ab: „Sie wollten ihr 700. Treffen | |
| abhalten. Das haben wir untersagt, weil wir wollen, dass diese Inszenierung | |
| ein Ende hat. Sollten wir etwa die Augen davor verschließen, dass die | |
| Mütter von Terrororganisationen instrumentalisiert werden?“ | |
| Die Samstagsmütter entgegneten in einer eigenen Erklärung, die sie am | |
| Montagmittag im Istanbuler Büro des Menschenrechtsvereins IHD verlasen: | |
| „Wir werden nicht aufhören, nach unseren verschwundenen Angehörigen zu | |
| suchen.“ | |
| Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe | |
| 27 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Elif Akgül | |
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