# taz.de -- Doppelschicht zur Emanzipation | |
> Annett Gröschner erzählt in „Berolinas zornige Töchter“ in wunderbar | |
> lesbaren Geschichten, wie Berlin West zum Laboratorium der Frauenbewegung | |
> wurde und in Berlin Ost der Feminismus in die Literatur fand | |
Bild: Zwei Jahre lang recherchierte Annett Gröschner für „Berolinas zornige… | |
Von Heide Oestreich | |
Unterschätzen wir niemals den Plausch zwischen Frauen in einer Küche. Die | |
Zweite Frauenbewegung zum Beispiel begann beim Plausch in einer Küche in | |
Berlin. Die Studentin Helke Sander war in den SDS eingetreten. Sie wollte | |
dort das Frauenbild der Springer-Presse diskutieren. Leider kam es nicht | |
dazu, weshalb Bildblog und #Stopbildsexism heute noch viel zu tun haben. | |
Damals schlug Schriftsteller Peter Schneider vor, dass sie doch mal in die | |
Küche gehen solle zu seiner Freundin Marianne Herzog. | |
Zwei unzufriedene Frauen in einer Küche. Denen dämmert, dass es in jedem | |
Haus eine Küche mit einer Frau darin gibt, die womöglich unzufrieden ist. | |
Damit fing es an. Was dann passierte, hat die versierte Autorin Annett | |
Gröschner nun aufgeschrieben in einem Buch, das noch ein Geheimtipp ist, | |
aber wahrscheinlich nicht mehr lange: „Berolinas zornige Töchter“, | |
herausgegeben vom FFBIZ, dem Berliner Feministischen Archiv. Ein Band mit | |
knapp 350 Seiten, hinten eine ausführliche Chronik der Frauenbewegung im | |
Osten und im Westen der Stadt, in der Mitte eine lange Strecke farbiger | |
Plakate – und drum herum der dank Gröschners souveränem Stil wunderbar | |
lesbare Geschichte der Frauen in der geteilten und wiedervereinigten Stadt. | |
Am Dienstag wurde das Buch im Literaturhaus in der Fasanenstraße | |
vorgestellt. | |
Gröschner hat sich zwei Jahre lang durch die Frauen- und Berlinliteratur | |
gearbeitet, die Oral-History-Dokumente des FFBIZ genutzt, Interviews | |
geführt, Filme noch mal angeschaut. Sie selbst war aktiv in der Ostberliner | |
„Lila Offensive“, die sich in der Wendezeit gründete. Aus alldem ist etwas | |
Großes entstanden, das zuvor noch keiner gelang: eine Art integrierter | |
Geschichte der Frauen in Ost- und Westberlin, die beiden Seiten gerecht | |
wird und nicht eine dabei verrät. | |
Im Westen herrschten die verbiesterten Emanzen, im Osten herrschte | |
verordnete Gleichberechtigung – so weit das Klischee. Gröschner erzählt, | |
überprüft, setzt in Beziehung, ordnet ein. Im Januar 1968 treffen sich die | |
Frauen West zum allerersten Mal in der FU. Sofort werden die ersten | |
Kinderläden gegründet. Sie besprechen, was Helke Sander später in Frankfurt | |
den Jungs vom SDS vermittelt: Die Frauen sind die Mehrheit der Bevölkerung | |
und zugleich in jeder Klasse die Unterklasse. Sie sind eigentlich das | |
revolutionäre Subjekt. Mit ihnen muss die Revolte beginnen. | |
Allein der Tomatenwurf, dieses Fanal der Frauenbewegung, wird von Gröschner | |
liebevoll rekonstruiert und in seinen Deutungen gewürdigt. Was folgte: Die | |
männlichen Revolutionäre sind nicht interessiert, die Frauen machen ihre | |
eigene Bewegung. Berlin wird ihr Laboratorium: Die Stadt der | |
Berlin-Förderung, des „Fink-Topfes“ des Senats für selbstverwaltete | |
Projekte, der die Frauenbewegung quasi finanziert, die FrauenfrAKTION, | |
Hausbesetzungen, die Frauenmedien: Courage, Schwarze Botin,die | |
„Zeitpunkte“-Sendungen des RBB und Radio100 mit den Sendungen „Eldoradio�… | |
und „Dissonanzen“. | |
Dit is Berlin: Die Frauen im Ostteil sind ganz anders informiert als im | |
Rest der Republik. Sie hören mit. Sie hören die „Zeitpunkte“ und Radio100. | |
Sie sind besser ausgebildet und haben mittlere Führungspositionen | |
erklommen, denn, so eines der zahlreichen Kleinode, die Gröschner | |
präsentiert, Walter Ulbricht hat erkannt: „Wir können den Sozialismus nicht | |
nur mit Friseusen aufbauen.“ Aber sie leisten permanent Doppelschichten. | |
Kommt einer aus dem Westen irgendwie bekannt vor. Es sind die verbotenen | |
Filme der DDR, etwa von Helke Misselwitz, und die Literatur, Irmtraud | |
Morgner, Maxie Wander, in denen die Frauen im Osten über ihre Situation | |
nachdenken. Der Feminismus findet zudem in der Kirche eine Nische. Keine | |
Frauenbewegung, aber ähnliche Themen. | |
In der Wendezeit gründen sie den Unabhängigen Frauenverband UFV, das ist | |
ihr Aktionsrat zur Befreiung der Frau. Eines seiner Flugblätter hätte im | |
Westen ebenso die Runde machen können – und könnte es heute noch, wie | |
Gröschner fasziniert analysiert. Der runde Tisch, der eine neue | |
DDR-Verfassung ausarbeiten soll, reagiert 1989 übrigens genauso wie der SDS | |
zwanzig Jahre zuvor: Frauen unerwünscht, da könnte jetzt ja jeder | |
Kaninchenzüchterverein einen Platz beanspruchen. Dass die 800.000 Frauen, | |
die sich in der DDR durch eine Scheidung befreit haben, in der | |
Bundesrepublik um ihre Rente betrogen wurden, ist eines der sehr | |
sprechenden Bilder dafür, was die Bundesrepublik aus den Resten der | |
unvollständigen Emanzipation Ost gemacht hat. | |
Geschichte wiederholt sich doch, zumindest Elemente der Geschichte | |
wiederholen sich, wenn die Struktur sich nicht verändert hat. Aber es gibt | |
Leute, die „woke“ sind, wie es heute so schön heißt: die wach geblieben | |
sind. Annett Gröschner ist so eine Person. | |
Aperçu zum Thema Frauenbewegung und Öffentlichkeit: Dieses Buch hat keinen | |
Verlag. Die Verhandlungen scheiterten, Gründe wurden nicht mitgeteilt. Es | |
ist vom FFBIZ herausgegeben. Die Senatsverwaltung für Gleichstellung hat | |
es gefördert, aber nicht beworben. Zur Buchvorstellung gab es keine | |
Presseeinladungen. Das Literaturhaus hat „vergessen“, die Veranstaltung in | |
seinem Programm anzukündigen. No comment. Der Geheimtipp: Man muss das Buch | |
beim FFBIZ anfordern. Die Auflage ist nicht wahnsinnig hoch. Seien Sie | |
also schnell! | |
Annett Gröschner: „Berolinas zornige Töchter. 50 Jahre Berliner | |
Frauenbewegung“. Bestellbar über [email protected] gegen 10 Euro | |
Schutzgebühr | |
6 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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