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# taz.de -- Little Popo war kein Witz
> Das Grün als Reaktion auf die Industrialisierung – eine Geschichte von
> Pflanzern und Kolonisten
Von Magnus Rust
Das Image von Kleingärten hat sich in den letzten Jahren gewandelt: Einst
verschrien als Hort kleinkarierter Rentnerehepaare, sucht jetzt auch ein
junges und postmigrantisches Publikum einen Platz in diesen Großstadtoasen.
Auf jeden Fall bleibt unbestritten: Deutschland ist ein Land der
Kleingärten.
Fast eine Million Kleingärten sind im Bundesverband Deutscher Gartenfreunde
organisiert. Neben den Pächter*innen werden die Gärten von mindestens vier
Millionen weiteren Personen genutzt. Im europäischen Dachverband Office
International du Coin de Terre et des Jardins Familiaux stellt Deutschland
die Hälfte aller Mitglieder. Das allerdings erst seit 2015: Damals
verließen die Slowakei und Polen den Verband. Bis dahin war Polen mit einer
ähnlichen Hektarzahl und Mitgliedsstärke gelistet wie Deutschland, dabei
hat Polen weniger als halb so viele Einwohner*innen.
Heutzutage legt das Bundeskleingartengesetz fest, was sich Kleingarten
nennen darf. Begriffe wie Schrebergarten, Gemeinschaftsgarten, Datsche oder
Laubenpieper deuten aber an, dass historisch verschiedenste Motivationen
hinter der Einrichtung von Grünparzellen stecken. Sogenannte Armengärten
wurden bereits vor 200 Jahren angelegt und sollten Armut und Hunger
entgegenwirken.
Der städtische Kleingarten war jedoch eine Reaktion auf die
Industrialisierung. Besonders seit der Reichsgründung 1871 wuchs Berlin
rasant. Wohnungsnot, Mangelernährung und andere Gesundheitsprobleme traten
auf. Schrebergärten zum Beispiel sollten Kindern im Smog der Metropole Luft
und Sonne spenden, Spielplätze gab es noch nicht. Das Deutsche Rote Kreuz
begann in der Tradition der Armengärten, Parzellen bereitzustellen. Der
Kleingarten entwickelte sich jedoch besonders durch die Eigeninitiative der
sogenannten Laubenkolonist*innen. Sie bekamen Land von der Stadt oder
der Kirche gestellt und konnten darauf Gemüse anbauen. Andere okkupierten
Brachflächen neben dem Bahndamm. Um 1900 gab es rund 40.000 dieser
Pflanzer*innen in Berlin. Während und besonders nach den beiden Weltkriegen
bewiesen Kleingärten ihre Relevanz als Nahrungsquelle.
Neben den Arbeiter- und Bahnhofsgärten ist vor allem der Schrebergarten
verbreitet. Dessen Namenspatron war der Arzt Moritz Schreber (1808–1861),
allerdings ist er nicht der Erfinder des Kleingartenkonzepts. Der erste
Kleingarten Europas steht offiziell in Kappeln im Kreis
Schleswig-Flensburg. 2014 feierte man dort das 200-jährige Bestehen.
Die älteste Anlage Berlins, die explizit als Dauerkleingartenkolonie
gebaut wurde, liegt in Wedding. Sie wurde zusammen mit dem Volkspark
Rehberge geplant und ab 1929 verpachtet. Die Kolonie „Zur Linde“ im
Treptower Baumschulenweg wurde jedoch bereits 1887 als „Pflanzerverein“
unter dem Namen „Little Popo“ gegründet. Wirklich witzig war der Name aber
schon damals nicht.
Little Popo ist eine Stadt am Golf von Guinea und trägt heute den Namen
Aného. Bis 1897 war sie der Sitz der Zentralverwaltung der deutschen
Kolonie Togo. Pflanzer, das war auch der Begriff, mit dem man koloniale
Plantagenbesitzer*innen bezeichnete. Noch älter ist wahrscheinlich nur
der 1885 gegründete Charlottenburger Verein für naturgemäße
Gesundheitspflege e. V. Die Chronik dazu ist jedoch lückenhaft.
Statt für so alte Geschichten interessieren sich viele Berliner*innen
jedoch wohl eher für die Frage: Wie komme ich anno 2018 an einen
Kleingarten? Der amtliche Weg lautet: Melden Sie sich beim Bezirksverband
Ihrer Wahl, werden Sie Vereinsmitglied – und üben Sie sich in Geduld,
während Sie im Kleingarten Ihrer Freunde sitzen. Denn die Wartelisten sind
sehr lang. Zum Antritt muss man dann den Vorpächter*innen Gebäude und
Pflanzen abkaufen. Das kann einige tausend Euro kosten. Die
Kleingartensuche in Berlin ist ähnlich unentspannt wie die Wohnungssuche.
25 Aug 2018
## AUTOREN
Magnus Rust
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