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# taz.de -- Magnus Rust sieht den Gedichtstreit von Hellersdorf gut gelöst: Ke…
Auf den ersten Blick ist alles beim Alten. Die Brandschutzwand ist beige,
die Wand gehört zur Alice-Salomon-Hochschule in Hellersdorf, darauf stehen
Lettern. Und doch ist alles anders: Die Fassade ziert ein Gedicht der
Lyrikerin Barbara Köhler. Also: Noch steht es da nicht, aber eine
Fotomontage der Hochschule zeigt es bereits.
Das alte Gedicht „avenidas“, von Eugen Gomringer 1953 in Spanisch verfasst,
2011 an die Wand gemalt, war zunächst von Studierenden als sexistisch
kritisiert worden. Daraufhin entbrannte im Januar eine Debatte über
Kunstfreiheit, Sexismus und Hochschuldemokratie, an deren Ende die
Unileitung beschloss, das Gedicht zu entfernen.
Nimmt man diese Entscheidung als unumstößlich, ist die Neugestaltung auf
vielen Ebenen gelungen. Der Hauptvorwurf war ja, dass dort Frauen, Alleen
und Blumen gleichgesetzt und erstere dadurch objektiviert würden. Außerdem
sei der Autor ein Mann, der im Gedicht womöglich als „ein Bewunderer“
auftauche – der männliche Lyriker als Lüstling.
Barbara Köhler ist erst einmal kein Mann. Zweitens ist sie, wie Gomringer,
Preisträgerin des Alice-Salomon-Preises; er hatte sein Gedicht 2011 zu
seiner Preisverleihung gestiftet. Drittens nimmt Köhler in ihrem Gedicht
sowohl das Sujet des alten Gedichts auf als auch die Diskussion darum.
Statt konsequenter Kleinschreibung, entscheidet sie sich für Majuskeln und
spielt mit dem Wort SIE. Durch die Großschreibung wird im Deutschen die
Unschärfe verstärkt: „SIE BEWUNDERN SIE“ heißt es. SIE kann eine Frau
bezeichnen, als auch eine nicht weiter definierte Menschengruppe. Auch von
„IHRER SPRACHE“ ist die Rede. Die Sprache der Frauen oder die Gomringers?
Das deutschsprachige Gedicht endet mit „BON DIA GOOD LUCK“, was nicht
unbedingt eine Abfuhr an seinen Vorgänger sein muss, sondern erneut eine
inhaltliche Schlaufe schlägt. In „avenidas“ beschrieb Gomringer La Rambla
im katalonischen Barcelona. „Bon dia“ ist das katalanische Pendant zum
spanischen „buenos días“.
Die Auseinandersetzung endet aber nicht mit dieser Diskurslyrik. Nach
Angaben der Hochschule sollen einige Lettern des alten Gedichts für das
neue recycelt werden. Auch materiell wird das neue Gedicht also den Anstoß
des Streites in sich tragen.
Wer dennoch weiter Zensur wittert, sei beruhigt. Am unteren Bereich des
Hauswand soll eine Tafel angebracht werden, auf der das alte Gedicht
weiterhin zu lesen sein wird. Daneben soll ein Kommentar Gomringers sowie
eine Dokumentation der Debatte stehen. Aber es geht noch weiter: Ab jetzt
soll die Lyrik alle fünf Jahre ersetzt werden. Keine Fassadenmacht für
Niemanden!
tazzwei
31 Aug 2018
## AUTOREN
Magnus Rust
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