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# taz.de -- Bargeldlos durch die Nacht
> Wie weit kommt man ohne Bares in der Geldbörse? Ein Selbstversuch in
> Berlin
Von Luisa Willmann
Der Kellner im taz Café bringt Gorgonzola-Spinat-Pasta und legt die
Mitarbeiterkarten auf den Tisch: Wem gehört welche? Die Nummern sind
erstaunlich ähnlich, unsere Geldbeutel nicht. Meiner ist leer, eine Woche
lang. Bezahlen funktioniert hier trotzdem – die Mitarbeiterkarte kann ich
mit der EC-Karte aufladen.
Nach Feierabend radle ich in der prallen Sonne an den Hackeschen Markt.
Wasser! Der Mann hinter der Kasse im Supermarkt sieht die Flasche und die
Karte in meiner Hand, er zeigt auf ein Schild: „Keine EC-Karten“.
Vermutlich hält er mich für eine ahnungslose Touristin. Meine Freundin
bezahlt, abends mache ich einen Großeinkauf bei Edeka.
Fazit Nr. 1: Supermärkte funktionieren. Ausnahme: der Einkaufswagen.
Dienstag. Ich kaufe für 1,40 Euro in der Buchbox in Prenzlauer Berg eine
Postkarte. Mit Karte. In der Woche vor dem Selbstversuch musste ich die 180
Euro für ein Longboard im Sportgeschäft bar bezahlen.
Fazit Nr. 2: Ladengröße und Kosten des Wunschgegenstandes korrelieren nicht
immer mit dem Wahrscheinlichkeitsgrad einer Kartentransaktion.
An der Spree spielt abends ein Musiker, wir hören uns viele Lieder an. „Now
we are coming to the part which I don’t love“, sagt er. „But I have to do
it to move on with my music.“ Er marschiert lächelnd mit seinem Hut durch
die Menge. Schaut mich an. Ich fühle mich geizig. In der U-Bahn auf dem Weg
nach Hause lege ich meinen Daumen auf mein Smartphone, schon ist das Ticket
bezahlt.
Fazit Nr. 3: Die Öffis gewinnen, die Kunst verliert.
Am nächsten Tag halte ich mich an Fazit Nr. 1 und stehe mit meiner Mate an
der Supermarktkasse. Die Leute lassen mich freundlich vor. Ich gebe meine
PIN ein und warte. Auch dem Kartenlesegerät scheint die Hitze nicht zu
bekommen. Die Menschen hinter mir werden unruhig.
Fazit Nr. 4: Wer mit Karte zahlt, braucht mehr Zeit – und scheitert
eventuell trotzdem.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf und versuche es bei mehreren Spätis. Die
Kioske bieten eine große Auswahl an Bier, Lebensmitteln und Zeitschriften –
wenn man Bargeld hat. Bei einem einzigen kann man mit Karte zahlen, aber
erst ab 10 Euro.
Fazit Nr. 5: Mit dem Lieblingsspäti ein Tauschgeschäft vereinbaren – oder
endlich mal die alten Pfandflaschen wegbringen.
Donnerstag. Auf dem Wochenmarkt am Kollwitzplatz entdecke ich lustig
gebogene Zucchinis aus Brandenburg. „Mit Karte, bitte“, sage ich. Die
Verkäuferin lacht. „Das geht nicht.“ Es komme sonst keiner, der mit Karte
zahlen wolle. „Man wird vom Verkauf nicht reich“, sagt sie und wiegt die
Zucchinis. „Bei der Kartenzahlung fallen Kosten für uns an, und die Banken
verdienen.“ Ich schummle, zahle bar – und fühle mich gut. Die Verkäuferin
notiert sich die Einnahmen auf einem Papier und greift in ihre rote
Wechselbox.
Fazit Nr. 6: Für Lokales nur Bares.
Auch am nächsten Abend beim Italiener – Pizza und Apfelsaftschorle – ist
keine Kartenzahlung möglich. Die Schulden bei meinen Freunden wachsen. Wir
spazieren durch Kreuzberg und machen einen Stopp an der Aral-Tankstelle.
Kartenzahlung? „Ab fünf Euro. Du bist bei drei.“
Fazit Nr. 7: Wer bargeldlos lebt, verfällt leicht in einen Konsumrausch.
Das Experiment ist für mich – vorerst – gescheitert. Dafür musste ich nic…
einmal eine Münze werfen.
11 Aug 2018
## AUTOREN
Luisa Willmann
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