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# taz.de -- Venezolaner raus! Brasilien schafft das nicht
> Ende der Gastfreundschaft: Polizei und Armee schauen zu, wie aus einem
> brasilianischen Grenzort tief im Amazonas-Regenwaldgebiet alle
> Venezuela-Flüchtlinge verjagt werden
Bild: Venezolaner überqueren in die Grenze nach Pacaraima in Brasilien, März …
Von Andreas Behn,Rio de Janeiro
„Lieber verhungere ich in Venezuela, als hier in Brasilien misshandelt zu
werden“, sagte ein verzweifelter Flüchtling auf dem Weg zurück in sein
Heimatland. Hunderte Venezolaner überquerten am Samstag die Grenze –
retour. In Pacaraima, einer kleinen brasilianischen Grenzstadt von knapp
15.000 Einwohnern, sind sie nicht mehr willkommen. Die Stimmung war schon
lange angespannt. Jetzt haben aufgebrachte Bewohner Hunderte Zelte und die
Habseligkeiten der Migranten niedergebrannt.
Anlass der Übergriffe war der Überfall auf einen Unternehmer in der Stadt.
Angehörige sagten, Venezolaner hätten ihm am Freitagabend aufgelauert und
ihn verletzt. Offenbar der Anlass, auf den die Bürger von Pacaraima
gewartet haben. In sozialen Netzwerken mobilisierten sie, am
Samstagvormittag ging’s los. Freimütig erzählen sie der lokalen Presse, wie
sie gegen das große Flüchtlingslager und auch viele auf der Straße lebende
Flüchtlinge vorgegangen sind. Nachdem alle Venezolaner weg waren,
blockierten sie stundenlang die Schnellstraße von der Grenze Richtung Boa
Vista, Hauptstadt des Bundesstaats Roraima.
Geschätzt lebten zu dem Zeitpunkt gut 1.000 Venezolaner in Pacaraima,
darunter viele Familien mit kleinen Kindern. Das Ziel war, alle aus dem
Stadtgebiet zu vertreiben. Der Mob erreichte sein Ziel innerhalb weniger
Stunden. Einige Flüchtlinge hatten Angst, zu Fuß durch die Stadt Richtung
Grenze zu gehen. Nach eigenen Angaben bot die Polizei an, sie in Bussen zur
Grenze zu transportieren. Über Verletze gibt es bislang keine Berichte.
Augenzeugen zufolge ließen Polizei und Militärs den Mob gewähren. Jenseits
der Grenze sollen Rückkehrer dann auf Gruppen von Brasilianern eingeprügelt
haben. Die brasilianische Regierung kündigte an, Soldaten in die Region zu
entsenden.
Die schwierige Lage an der Grenze hat Brasilien lange vernachlässigt. Seit
2016 wurden rund 120.000 venezolanische Migranten in Brasilien gezählt, von
denen über die Hälfte in andere Länder weiterzog. Weder Behörden noch
Bewohner wurden dabei unterstützt, mit der Ankunft Zehntausender Migranten
umzugehen. Nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge wird auf Initiative der
Regierung in andere Landesteile umverteilt. Brasilien, selbst mitten in
einer Wirtschaftskrise, fühlt sich überfordert.
Ein bizarrer Justizstreit symbolisiert den Konflikt: Zuerst verfügt ein
lokales Gericht die Schließung der Grenze in Pacaraima aufgrund von
humanitären Problemen. Stunden später urteilt das Oberste Gericht in
Brasília, dass die Grenze aus humanitären Gründen geöffnet bleiben muss.
Die Hauptstadt liegt 4.500 Kilometer entfernt.
Selbst für brasilianische Verhältnisse ist Pacaraima eine abgelegene
Region. Der Ort liegt in einer Steppenlandschaft, die rundherum vom
amazonischen Tropenwald umgeben ist. Eine einzige asphaltierte Straße führt
durch die Hochebene und verbindet – parallel zur Grenze mit Guyana –
Venezuela mit Brasilien. Auf venezolanischer Seite liegt die einmalige
Tafelberglandschaft Gran Sabana, ein kaum bewohntes Naturschutzgebiet. Dort
leben vor allem Indígenas. Sie waren die Ersten, die vor der dramatischen
Versorgungskrise in Venezuela flüchteten. Später wählten auch Venezolaner
aus anderen Landesteilen diese Route, da die Grenzübergänge Richtung
Kolumbien schon überlastet waren.
Mit den Flüchtlingen kamen auch Krankheiten, vor allem die Masern, sagen
Einwohner von Pacaraima. Große Armut herrscht dort nicht, aber auch kein
Wohlstand. Die anfängliche Gastfreundschaft ist längst in Vorbehalte
umgeschlagen. Viele Ankömmlinge machen sich deswegen zu Fuß auf den Weg ins
215 Kilometer entfernte Boavista.
20 Aug 2018
## AUTOREN
Andreas Behn
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