# taz.de -- Kreationistische Sekte in der Türkei: Die Machenschaften des Hoca | |
> Intrigen, Betrug und sexuelle Gewalt: Die Festnahme des Sektenführers | |
> Adnan Oktar bringt ans Licht, was in dem dubiosesten Kult der Türkei vor | |
> sich ging. | |
Bild: „Wenn ihr mir dient, dient ihr dem Islam“, sagte Oktar zu seinen „K… | |
Eine stark geschminkte platinblonde Frau mit aufgespritzten Lippen und | |
tiefem Dekolleté eröffnet die Sendung: „Wir reden mit meinem über alles | |
geliebten Schatz.“ Der so angekündigte Televangelist Adnan Oktar dankt mit | |
anerkennendem „Maşallah, maşallah“. Kurz werden gegenseitig Komplimente | |
ausgetauscht, dann geht es um Religion. Oktar gegenüber sitzt ein Dutzend | |
gleich aussehender Frauen in Stilettos und Miniröcken mit überschlagenen | |
Beinen auf ornamentalen Polsterstühlen. Er nennt sie seine „Kätzchen“. | |
Allem, was Oktar sagt, stimmen sie eifrig mit „inşallah“ und „maşallah�… | |
Zwischen seinen Erläuterungen tanzen die Frauen im üppig dekorierten | |
Fernsehstudio zu Clubhits. | |
Adnan Oktar ist einer der prominentesten Kreationisten in der Türkei. Einer | |
breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde er durch die skurrilen Fernsehshows | |
auf seinem 2011 gegründeten Online-Sender A9. In seinen Talkshows leugnet | |
Oktar vor seinen Anhänger*innen die Evolutionstheorie und spricht über den | |
Koran und die Rolle der Frau, die in seinen Augen „das wunderbarste und | |
schönste Wesen der Welt“ ist. „Wir werden die Welt lehren, Frauen Respekt | |
zu zeigen und sie wertzuschätzen. Alle werden lernen, dass die Natur will, | |
dass Frauen frei leben“, sagt er beispielsweise. | |
Das Publikum nahm Oktars Gerede und Gehabe nicht ernst, es fand diese | |
Sendungen grell und lächerlich. Man machte sich darüber lustig, wie die | |
Frauen sich benahmen und redeten. Von feministischen Vereinen wurde die | |
Talkshow des umstrittenen Sektenführers wegen ihrer sexistischen Inhalte | |
kritisiert. Der Vorsitzende der Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbaş | |
bezeichnete Adnan Oktar als „geistig verwirrte Person“ und sagte, ihm | |
stellten sich die Haare auf, wenn er die Fernsehshow sehe. Dass die | |
Sendungen nur Schein waren, zeigte jetzt ein Polizeieinsatz. | |
## 300 Bücher voller Verschwörungstheorien | |
Am 11. Juli wurde Adnan Oktar, in der Türkei besser als „Adnan Hoca“ | |
bekannt, von Fahndungskräften der Finanzaufsicht in seinem Haus im | |
Istanbuler Stadtteil Çengelköy festgenommen. Dem Sektenführer und 234 | |
weiteren mutmaßlichen Anhänger*innen werden insgesamt 31 Straftaten zur | |
Last gelegt, unter anderem Bildung einer kriminellen Vereinigung, | |
Kindesmissbrauch, Vortäuschung von Straftaten, Verleumdung, politische und | |
militärische Spionage. | |
Der 1956 in Ankara geborene Adnan Oktar gründete als Student an der | |
Mimar-Sinan-Fakultät für Schöne Künste die erste „Adnan-Hoca-Gruppe“. N… | |
eigener Aussage brach er das Studium aufgrund der „Studentenunruhen“ ab, | |
also den Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Studierenden in | |
den Siebzigern. Damals begann er, seine Ideen in Zeitschriften und | |
Zeitungen zu verbreiten. Unter dem Pseudonym Harun Yahya, zusammengesetzt | |
aus Harun (Aaron) und Yahya (Johannes der Täufer), beide Propheten im | |
Islam, veröffentlichte er das Buch „Judentum – Freimaurertum“ – und se… | |
den 90er Jahren laut Eigenaussage rund 300 weitere Bücher. | |
Darin erläutert er seine verschwörungstheoretischen und antisemitischen | |
Thesen und versucht, Atheismus und Darwinismus zu widerlegen. Eine seiner | |
Thesen lautet, der Zweck der Evolutionstheorie sei es, die Menschen vom | |
Islam abzubringen. 1986 wurde er wegen eines Artikels in der Zeitung Bulvar | |
festgenommen. Der Vorwurf lautete Propaganda für die Umma, die Gemeinschaft | |
aller Muslim*innen. Nach neun Monaten im Gefängnis attestierte ihm die | |
Gerichtsmedizin paranoide Schizophrenie. Aus der Haft wurde er in die | |
Psychiatrie nach Bakırköy überstellt, wo er zehn Monate verbrachte. | |
## Zielgruppe: junge Frauen aus reichen Familien | |
Was hinter den Kulissen in der Sekte geschah, tritt nun nach und nach durch | |
die Berichte von Aussteigerinnen zu Tage. Die 36-jährige Ceylan Özgül ist | |
2017 aus der Sekte geflohen. Auch sie war in Oktars Fernsehsendung als | |
„Kätzchen“ aufgetreten. Özgül nennt die Sendungen „Tarnungen, die benu… | |
wurden, um die Organisation zu verschleiern“. Sie berichtet taz.gazete von | |
ihrer Zeit mit Adnan Hoca. | |
Ceylan Özgül war 24 und studierte Englisch für Dolmetscher im letzten | |
Semester an der Universität Istanbul, als sie über ihren Freund Kontakt zum | |
Kult von Oktar bekam. Sie stieg ein, weil sie ein frommes Leben führen | |
wollte. Rund zehn Jahre gehörte sie der Sekte an, sie arbeitete im | |
Recherche-Team für Oktars Bücher. Ihre Familie habe sie nicht sehen dürfen, | |
erzählt sie. Sie und die anderen Frauen seien in der Sekte wiederholt | |
misshandelt worden; selbst deren Töchter im Alter zwischen zehn und 16 | |
Jahren hätten sexualisierte Gewalt erfahren. 2013 versuchte sie | |
davonzulaufen, wurde aber geschnappt. | |
In einem anderen Interview erzählt Özgül, wie Sektenmitglieder junge Frauen | |
aus reichen Familien zum Einstieg in Adnan Oktars Organisation bewegten. | |
„Das ist ein langwieriger Prozess. Zuerst lernst du jemanden aus der Sekte | |
kennen und freundest dich mit ihm an“, sagt sie in dem Video. „Dann | |
gewinnen sie dein Vertrauen und isolieren dich langsam von deinem Umfeld.“ | |
Özgül zufolge wurden die Frauen unter Drogen gesetzt. „Damit wurde | |
bezweckt, dass wir keine Fragen stellen“, erzählt sie taz.gazete. „Für ihn | |
sind Frauen Sklavinnen. 'Wenn ihr mir dient, dient ihr dem Islam’, sagt er | |
immer. Eine persönliche Beziehung hat er zu niemandem. Aus gesundheitlichen | |
Gründen konnte er keinen Sex haben“, sagt sie. „Was in der Sekte passiert, | |
ist ein Drama.“ Es gehe um Geldwäsche, Betrug und das Eintreiben von | |
Spenden in Millionenhöhe. Auch den Anhänger*innen werde ihr Geld | |
abgenommen. | |
## Intrigen und Sexvideos | |
Im November 1999 gab es eine Razzia in Oktars Haus. Der Sektenführer und | |
mehr als 70 Anhänger*innen wurden festgenommen. Die Polizei beschlagnahmte | |
Videoaufnahmen und Fotos, die mutmaßlich für Erpressungen verwendet werden | |
sollten. Im Januar 2000 wurde wegen „Erzielung von Profit durch Drohungen | |
und Gründung einer profitorientierten Vereinigung“ der Prozess eröffnet. Am | |
12. Januar 2000 stand in der Hürriyet, Adnan Oktar habe gestanden, „gegen | |
Personen, die er einschüchtern wollte, intrigiert und sie heimlich beim Sex | |
gefilmt zu haben“. | |
Laut Oktars Geständnis standen auf seiner Liste erpresster Personen aus der | |
Politik unter anderem Ex-Premier Mesut Yılmaz, Ex-Innenminister Mehmet Ağar | |
sowie Meral Akşener, die 1996 das Innenministerium von Ağar übernahm und | |
jetzt Vorsitzende der İYİ Partei ist. Oktar saß neun Monate in | |
Untersuchungshaft. Im Januar 2007 wurde er aus Mangel an Beweisen | |
freigesprochen. | |
Dieselben Anschuldigungen wie damals stehen auch heute in der Akte Oktar. | |
192 Verdächtige wurden bereits in Gewahrsam genommen, darunter zwei | |
Polizisten. Nach 43 wird noch gefahndet. Bei der Durchsuchung der Wohnungen | |
und des Fernsehsenders A9 wurden zahlreiche Schusswaffen sichergestellt. | |
Oktars Besitz wurde konfisziert, seine Firmen unter Zwangsverwaltung | |
gestellt. Türkischen Medienberichten zufolge machte Oktar den „britischen | |
Tiefen Staat“ für seine Festnahme verantwortlich. | |
Erneut auf der Agenda steht jetzt die vor Jahren erteilte | |
Schizophrenie-Diagnose. Sein Anwalt Atanur Demir erklärte Journalist*innen | |
gegenüber: „Ein Attest von der Gerichtsmedizin wird feststellen, ob er | |
psychisch gesund ist. Gegebenenfalls wäre das ein Grund für Straffreiheit. | |
Im Augenblick ziehen wir das für die Verteidigung aber nicht in Betracht.“ | |
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe | |
1 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Çınar Özer | |
## TAGS | |
taz.gazete | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |