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# taz.de -- Aufgeben ist keine Option
> Trotz Verfolgung und Bombenhagel – in Syrien sind immer noch
> zivilgesellschaftliche Initiativen aktiv. Der Verein Adopt a Revolution
> unterstützt diese Aktivist*innen vor Ort im Kampf für Selbstbestimmung
> und gegen Staatsterror
Bild: Das Team hinter Adopt a Revolution (v. li.): Christin Lüttich, Maria H…
Von Jann-Luca Zinser und Anja Weber (Foto)
Im Jahr 2011 besuchte Elias Perabo Syrien. Da war man sich noch sicher,
dass der Arabische Frühling dort nicht ausbrechen würde. Zu beliebt schien
Präsident Baschar al-Assad. Das änderte sich schnell. Und weil Elias Perabo
durch einen Freund Einblick in das kleine aktivistische Spektrum des Landes
hatte, wollte er genau dort ansetzen und gründete mit Ferdinand Dürr, bis
dahin wie Elias Perabo auf Mission gegen den Klimawandel, den
gemeinnützigen Verein Adopt a Revolution. Perabo warf damals die Frage in
den Raum: Was würden wir tun, wären wir Syrer? Das überzeugte Dürr. Seitdem
versuchen sie mit ihrem acht Teilzeitbeschäftigte umfassenden Team Menschen
zu überzeugen, dass die Zivilgesellschaft in Syrien unsere Solidarität
braucht und verdient. Adopt a revolution. Dabei setzen die Aktivist*innen
explizit weniger auf humanitäre Hilfe, sondern eher auf Unterstützung
ziviler politischer Strukturen in Syrien – und auf Öffentlichkeit.
Denn die Menschen in Syrien geraten in Vergessenheit. Während sich
Deutschland in der Asylfrage windet, vergisst man jene, die in Syrien Tag
für Tag um ihr Leben fürchten. Die zwischen Diktatur, bewaffneter
Opposition, zahlreichen intervenierenden Staaten und deren geopolitischen
Interessen ein Schicksal fristen, das man sich kaum vorstellen kann.
Vereinsmitarbeiterin Sophie Bischoff erlebt das Elend der Menschen seit
Jahren täglich und in einem Maße wie wohl nur wenige Deutsche sonst, denn
sie pflegt enge Kontakte zu Aktivist*innen vor Ort. So auch Anfang 2018:
Als die Vororte von Damaskus wochenlang Bombardierungen ausgesetzt waren,
stand ihr Telefon nicht mehr still. „Manche wollten sich einfach
verabschieden, weil sie Angst hatten zu sterben“, berichtet sie. Andere
hätten einfach nur Kontakt gesucht, um nicht alleine zu sein. „Ich wusste,
ich konnte sie nicht vor den Bomben schützen, aber das Mindeste, was ich
machen konnte, war, ihnen zuzuhören.“
Rückblende: Vor nunmehr sieben Jahren, im Januar 2011, hatte Assad dem Wall
Street Journal noch gesagt, dass er nicht glaube, dass die Proteste des
Arabischen Frühlings auch auf Syrien übergreifen. Er mahnte sogar Reformen
an. Dann folgte die beispiellose Entwicklung eines Konflikts mit nahezu
weltweiten Auswirkungen: Auf die Proteste der Zivilgesellschaft reagierte
das Regime von Beginn an mit derartiger Härte, dass eine Eskalation schnell
unausweichlich wurde. Schmierereien von Kindern führten zu deren
Folterungen – führten zu Protesten besorgter Eltern – führten zur
gewaltsamen Niederschlagung friedlicher Demonstrationen – und so weiter.
Die brutale Reaktion des Regimes wirkte wie ein Brandbeschleuniger auf die
Verhältnisse im Land. „Jede Demo wurde zur Beerdigung, jede Beerdigung zur
Demo“, erläutert Elias Perabo. Assads Gewalt produzierte großen Hass und
Chaos. Und ebnete Extremisten den Weg. Heute sind Millionen syrischer
Geflüchteter in alle Himmelsrichtungen verstreut, liegt das Land in
Trümmern und ist Assad immer noch an der Macht.
Dagegen setzen die Aktivist*innen von Adopt a Revolution ihr besonderes
Hilfskonzept. Sie versuchen die widerständige Zivilgesellschaft vor Ort
konkret in ihrem Kampf gegen Diktatur und Extremismus zu stärken. Den
Stimmlosen eine Stimme zu geben. Dass sich dies oftmals wie langwierige
Sisyphusarbeit anfühlt, hält sie nicht auf: „Solidarität bedeutet auch
Kontinuität“, sagt Gründer Elias Perabo. Und dank treuer Spender*innen
auch kleiner Beträge kann die Fortführung der Projekte gesichert werden.
Denn auch wenn die Engagierten vor Ort pausieren oder untertauchen müssen,
möchte Adopt a Revolution die finanzielle Unterstützung fortsetzen. Viele
Initiativen entstünden dann andernorts erneut, die Aktivist*innen bleiben
in Bewegung.
## Stellvertreterkriege
Der syrische Autor Haid Haid hat in Zusammenarbeit mit dem Verein eine
Studie zur zivilgesellschaftlichen Extremismusbekämpfung in seinem
Heimatland veröffentlicht, welche aufzeigte, dass ein Ansatz, wie Adopt a
Revolution ihn verfolgt, erfolgreich sein kann: Wenn lokale Strukturen
internationale Unterstützung erfahren, können sie widerstandsfähige
Strukturen aufbauen und sich so der Radikalen erwehren. Allerdings, diese
Unterstützung blieb von Anfang an marginal. Internationale Solidarität?
Weitgehend Fehlanzeige. Mittlerweile haben sich die Interessen
internationaler Akteure längst verschoben, es werden Stellvertreterkriege
geführt, um die Zivilist*innen schert sich niemand mehr.
Dagegen engagiert sich der Verein mit Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland.
Die deutsche Öffentlichkeit zu erobern, ist das Ziel. Beispielsweise werden
geflohene Aktivist*innen mit dem Format „Talking about the Revolution“
beraten und unterstützt, um sich hierzulande in die festgefahrenen Diskurse
einzumischen.
Selber sind die Aktivist*innen des Vereins als Expert*innen in der
Bundespressekonferenz gefragt und mischen sich medial in die Debatten ein.
So prangerte etwa Politologe Perabo in einem taz-Interview 2017 die Linke
an, hier wie in ganz Europa, die im Rahmen der Friedensbewegung die
Tatenlosigkeit des Westens als Erfolg feierte. Konstantin Wecker zum
Beispiel war einer der Erstunterzeichner*innen eines Aufrufes von Adopt a
Revolution gemeinsam mit Medico International zur Unterstützung des zivilen
Widerstandes in Syrien, zog seine Unterschrift aber zurück, als er
bemerkte, „dass der Ausschluss jedes militärischen Eingreifens nicht
ausdrücklich … erwähnt wurde“. Die ebenfalls Mitunterzeichnenden Andrea
Nahles, Claudia Roth oder Katja Kipping zogen ihre Unterschriften nicht
zurück. Dafür bezeichnete die stellvertretende Linke-Fraktionsvorsitzende
im Bundestag, Heike Hänsel, den Verein auf Twitter als „Helfershelfer einer
US-PR-Kampagne gegen Russlands Rolle in Syrien“. Beim Blatt Junge Welt
reichte es gar zum Titel „Politischer Dschihad-Arm des Tages“. Darüber kann
Elias Perabo nur trocken lachen. Er kennt das Leid vor Ort und weiß, Grund
zur Hoffnung besteht kaum. Als er vor vier Jahren eine Aktivistin fragte,
was gewinnen für sie hieße, sagte sie: „Es geht nur darum, wie hoch wir
verlieren.“
Doch solange die Menschen in Syrien nicht aufgeben, wird das Adopt a
Revolution auch nicht tun. Selbst dann nicht, wenn Erfolg und Horror so nah
beieinanderliegen wie bei einem Schulprojekt in der Ost-Ghouta: Dort
missbrauchten extremistische Milizen Schulen zur Indoktrinierung der
Jugend. Das wollten sich Aktivist*innen nicht gefallen lassen und gründeten
mit Unterstützung von Adopt a Revolution 2013 säkulare Schulen für Tausende
Kinder. Zum Schutz vor Fliegerbomben fand der Unterricht in ausgebauten
Luftschutzkellern statt. 2017 forcierte das Regime die Belagerung der
Region, doch den Kindern konnte trotzdem noch täglich eine vollwertige
Mahlzeit ermöglicht werden. Als Assads Armee und deren Verbündete
schließlich 2018 zum intensiven Angriff übergingen, boten die Keller
wochenlang Hunderten Familien Zuflucht – bis ein russischer Luftangriff mit
bunkerbrechenden Bomben Dutzende Frauen und Kinder in den Tod riss.
## Kampf gegen Kinderehen
Zur gleichen Zeit gelang der syrischen Demokratieaktivistin Ghayda die
Flucht nach Berlin. Inzwischen hat sie sich Adopt a Revolution
angeschlossen, um, wie sie sagt, jenen zu helfen, die in Syrien ausharren.
Zwölf Projekten hilft der Verein derzeit, dreißig waren es Anfang 2018. Der
dramatische Einbruch ist der Verschärfung der Situation in der Ost-Ghouta
geschuldet. Aktuell wird etwa ein Frauennetzwerk unterstützt, das sich mit
Aufklärungskampagnen für Rechte von Mädchen einsetzt, denn zumindest der
Theorie nach sind Kinderehen in Syrien nicht legal. In Krise und Krieg
werden aber vermehrt junge Mädchen zur Existenzsicherung verheiratet. Und
nötigenfalls hilft Adopt a Revolution auch beim Gang in den Untergrund, was
gerade für Medienschaffende häufig die letzte und die einzige Lösung ist,
schließlich endet die Verfolgung durch Assads Schergen nicht, wenn weniger
Bomben aus russischen Fliegern fallen. Dass das Bombardement etwas
nachlässt, scheint im Westen ein unangebrachtes Gefühl der Beruhigung
auszulösen, der Konflikt verschwindet aus den Schlagzeilen. Doch die
Zivilist*innen in Syrien benötigen weiterhin jede Unterstützung, wie
Aktivistin Ghayda unterstreicht: „Selbst wenn Assad das ganze Land
zurückerobert, heißt das noch lange nicht dass es Frieden gibt – dies
scheint oft in Deutschland verwechselt zu werden. Noch immer sind
Zehntausende Menschen im Gefängnis, Millionen vertrieben. Die Repression
durch das Regime ist furchtbar wie nie. Solange das Assad-Regime an der
Macht ist, bin ich zum Exil verdammt.“
Der Name des Vereins muss mehr denn je als Appell verstanden werden: Adopt
a revolution!
28 Jul 2018
## AUTOREN
Jann-Luca Zinser
Anja Weber
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