# taz.de -- Unsere allzu ausgeprägteÜberheblichkeit | |
> „Affen wie wir“: Alexandra Tischel findet nicht nur in der Wissenschaft, | |
> sondern auch in der Literatur von Coetzee, Kafka und anderen | |
> Schriftstellern überraschend hellsichtige Antworten auf die Frage, was | |
> den Menschen zum Menschenund den Affen zum Affen macht | |
Bild: Ein Schimpanse auf Gut Aiderbichl in der Nähe von Wien. Er und 37 weiter… | |
Von Josef Reichholf | |
„Am Anfang stand die Ähnlichkeit. Man braucht ihnen nur ins Gesicht zu | |
sehen, um sie zu erkennen. Die Ähnlichkeit ist erklärungsbedürftig.“ Das | |
könnte ein zoologischer Themenaufriss sein, aber die Verfasserin Alexandra | |
Tischel ist Literaturwissenschaftlerin. Dennoch benutzt sie in ihrem | |
Buchtitel das fast unverschämt wirkende „wie wir“. In welche Richtung ist | |
es gemeint? Abqualifizierend oder qualifizierend? | |
Wir Menschen sind Primaten, vulgo Affen. Das ist lange genug bekannt, | |
wenngleich ungern akzeptiert und prinzipiell abgelehnt von jenen, die sich | |
für die Krone der Schöpfung halten. Um unsere biologische Zugehörigkeit zur | |
Familie der Affen geht es der Autorin aber nicht. Sie hat Ambitionierteres | |
vor. | |
Affen und Äffisches ist in der Literatur immer wieder als Metapher für | |
menschliche Unzulänglichkeiten oder zur Selbstbespiegelung verwendet | |
worden. Lange galten diese Tiere als Bestien. In ihrer Menschenähnlichkeit | |
waren sie höchst rätselhaft. Was ging in Schimpanse, Gorilla und Orang-Utan | |
vor, wenn sie uns ins Gesicht sahen, wenn sich ihre einem Menschenbaby | |
ähnelnden Neugeborenen an die Pfleger wie an die eigene Mutter klammerten? | |
Menschenaffen lernten Radfahren, mit Besteck zu essen und vieles mehr, was | |
sie verstörend intelligent wirken ließ. Das literarisch bekannteste | |
Beispiel ist Franz Kafkas Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“. Darin | |
schildert der Affe namens Rotpeter seine Umformung zum Menschen. Seit er | |
dem Urwald entrissen und in die Menschenwelt eingeführt worden war, hatte | |
er viel gelernt. Mit vertieften Kenntnissen und von großen Hoffnungen | |
getragen verzichtete er schließlich auf sein Affentum. Er setzte alles | |
daran, wie ein Mensch zu sein – und verzweifelte daran. Zu bizarr und zu | |
widersprüchlich waren diese Herren der Welt. | |
Dass Kafka mit Rotpeter keinen Affen meinte, sondern sich dahinter selbst | |
verbarg, liegt auf der Hand. Schimpansen würden nicht so werden können. Das | |
haben die Versuche, Schimpansenbabys wie Menschenbabys großzuziehen, | |
hinlänglich bewiesen. All ihre Übereinstimmungen reichen nicht aus, das | |
Trennende zu überwinden. Sie bleiben schimpansisch und werden keine | |
lediglich sprachgehemmten, behaarten Pseudomenschen. | |
Es fragt sich daher, so die berechtigte, aber geschickt zwischen den Zeilen | |
verborgene Kritik, inwieweit die Experimente, die mit Menschenaffen gemacht | |
worden sind, tatsächlich schlüssig waren. Zumal solche, bei denen es um | |
Einsichtsfähigkeit und Intelligenz ging. Drückten sie kaum mehr aus als | |
das, was sich die Forscher selbst vorstellten, weil sie menschlich und | |
nicht äffisch denken? | |
Um zu dieser zentralen Frage zu gelangen, baut Alexandra Tischel einen | |
Spannungsbogen auf, der mit den alten, längst überwundenen Vorstellungen | |
von der Bestie Affe beginnt, dem Zerrbild des Menschen, an dem dieser seine | |
Moralität und himmelhohe Überlegenheit zu schärfen hatte, und in den | |
modernen Verhaltensstudien kulminiert, die vielleicht eher zu sehr | |
vermenschlichen, was doch artverschieden bleibt. Der Empathie, die | |
zwangsläufig aufkommt, konnten sich auch Forscherinnen wie Jane Goodall | |
nicht entziehen. | |
Die Kenntnis der grundlegenden zoologischen Primatenforschungen zeichnet | |
Alexandra Tischel aus. Sie hat sich intensiv genug damit befasst, um die | |
Filetstücke herausgreifen und werten zu können. Diese besagen, dass Affen | |
weder die besseren Menschen sind, weil sie ihrer Natur nach leben, noch | |
dass das Milieu, in dem Primatenkinder aufwachsen, allein bestimmt, was aus | |
ihnen wird. Angeborenes, Anerzogenes und Erlerntes lässt sich auch bei | |
unseren nächsten Verwandten nicht so voneinander trennen, wie man es gern | |
hätte, um Rückschlüsse auf Veranlagung und Milieueinfluss beim Menschen | |
ziehen zu können. | |
Insofern schränkt der Untertitel „Was die Literatur über uns und unsere | |
nächsten Verwandten erzählt“ zu stark ein. Tatsächlich schärfen die | |
Facetten, die schlaglichtartig aufblitzen, immer wieder den Blick auf uns | |
selbst und unsere meistens allzu ausgeprägte Überheblichkeit. „Du Affe“ | |
geht uns als Beleidigung leicht von der Zunge. Das situationsgemäß oft | |
bezeichnendere „Du Mensch“ würde peinlich positiv klingen. „Affen wie wi… | |
liest sich sehr gut. Am stärksten beeindruckten mich Ausschnitte aus | |
„Elisabeth Costello“ des Literaturnobelpreisträgers J. M. Coetzee, weil sie | |
viel tiefer gehen als die Menschenverdrossenheit Kafkas in seiner | |
Selbstdarstellung im Affen Rotpeter, der gelehrter geworden war als die | |
gelehrten Herren der Akademie. | |
„Elisabeth Costello“ versucht die Sicht des Sultan genannten Schimpansen | |
einzunehmen, mit dem der berühmte Primatenforscher Wolfgang Köhler von 1913 | |
bis 1917 Verhaltensstudien auf Teneriffa betrieben hatte. Sultan: „Man | |
begreift allmählich, wie das Gehirn des Mannes arbeitet.“ Alexandra Tischel | |
setzt damit einen fulminanten Schlussakkord, der nachklingt. Wissenschaft | |
kann sehr viel gewinnen, wenn sie literarisch ausgestaltet und | |
interpretiert wird. | |
Alexandra Tischel: „Affen wie wir. Was die Literatur über uns und unsere | |
nächsten Verwandten erzählt“. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2018, 218 S., | |
19,99 Euro | |
30 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Josef Reichholf | |
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