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# taz.de -- Die Begegnung istdas Entscheidende
> Wie kann man alten Menschen mit wenig Geld kulturelle Teilhabe
> ermöglichen und zugleich den Dialog zwischen den Generationen stärken?
> Die KULTURISTENHOCH2 schicken dafür einfach jung und alt gemeinsam ins
> Theater
Bild: Die KULTURISTENHOCH2 ( v. li.): Christine Worch, Pit Thorenz, Frauke Mül…
Von Mareike Barmeyer und Anja Weber (Foto)
Wenn 42.000 alte Menschen in einer Stadt wie Hamburg nicht genug Geld
haben, tut das weh“, sagt Christine Worch. Sie ist Initiatorin und
Erfinderin des Generationenprojekts KULTURISTENHOCH2, das seit 2016
wirtschaftlich bedürftigen Senior*innen in Hamburg den Besuch von
Kulturveranstaltungen ermöglicht. Das Besondere daran: Begleitet werden
diese von ehrenamtlich engagierten Schüler*innen aus ihrem Stadtteil.
Christine Worch steht in den Räumlichkeiten der Hartwig Hesse Stiftung in
Hamburg. Die Stiftung betreibt Seniorenwohneinrichtungen in der Hansestadt
und ist einer von vielen Kooperationspartnern, die dieses Projekt
ausmachen. Vor ihr auf den Tischen liegen schwarze Westen, Handschuhe und
merkwürdige Dinge, die aussehen als ob sie zur Standardausrüstung einer
SEK-Einheit gehören würden. „Das sind alles Bestandteile eines GERTS“,
erklärt Worch. Eines Gerontologischen Testanzuges, welcher das Körpergefühl
und die schwindende Bewegungsfreiheit älter werdender Körper simuliert. Mit
diesem Anzug sollen heute die gerade eintreffenden Schüler*innen im Alter
zwischen 16 und 18 Jahren am eigenen Leib lernen, wie es ist alt zu sein:
Dazu gehören Gewichte an Füßen, Oberkörper, Beinen und Händen, eine
Halskrause und Brillen mit unterschiedlichen Seheinschränkungen. Diesmal
müssen die Schüler*innen im GERT den öffentlichen Raum neu erkunden. Bus
und Bahn fahren, im Supermarkt einkaufen und im Park spazieren gehen. Ein
Paar der Schüler*innen werden zusätzlich noch mit Gehstock und Rollator
ausgestattet. „Natürlich hat nicht jeder alte Mensch alle diese
Einschränkungen“, erklärt Worch.
Vor fünf Jahren begann sie beim Verein KulturLeben Hamburg e. V. als
Beraterin zu arbeiten, einer Organisation, die in ganz Hamburg Kulturkarten
an bedürftige Menschen – jeden Alters – vermittelt. Dort hätte sie
festgestellt, dass ältere Menschen oft gesagt haben: „Ich würde da ja gerne
hingehen, aber ich habe niemanden mehr und traue mich nicht raus.“ Das ist
ein Problem, hatte sich Worch gedacht und überlegt, wie sie es lösen
könnte: „Das Beste wäre es“, erzählt Worch ihren Gedankengang, „angesi…
dessen, dass wir einen Wandel in der Gesellschaft haben, nämlich eine
Überalterung, dass man gleich die Jugend mit ins Boot holt.“ Gedacht,
getan, das Kultur-Tandem war geboren und aus den drei Schulen, mit denen
sie vor zwei Jahren als Kooperationspartner angefangen haben, sind heute
zehn geworden. Über 300 Jugendliche hätte das Projekt bis heute bewegt.
„Was soll ich machen“, sagt Worch. „Ich glaube einfach an die Jugend.“
Das Schüler-Training mit dem GERT ist einer von mehreren Workshops, den die
Schüler, die sich für dieses frühe Ehrenamt gemeldet haben, durchlaufen.
Bevor sie mit einem älteren Menschen ein Kulturtandem bilden können, müssen
sie wissen und fühlen, was es heißen kann, alt zu sein.
Wie so ein Tandem funktioniert, erklärt Friederike Henning, die bei dem
Projekt zuständig für das „Matching“ der Senior*innen und Schüler*innen
ist: Sie sichtet was an Veranstaltungen im Angebot ist, schaut welche
Senior*innen im Projekt sich für was interessieren und wenn sie jemanden
erreicht hat, der/die Lust dazu hat, setzt sie sich mit den Schüler*innen,
die zu dem jeweiligen Stadtteil gehören, über eine WhatsApp-Gruppe in
Verbindung. Sobald sich dort jemand meldet, gibt sie die Kontaktdaten der
Senior*in weiter.
Der nächste Schritt für die Schüler*innen ist dann, die Senior*innen
anzurufen und sich mit ihnen zu verabreden. Auch eines der Dinge, die in
den Workshops vorher geübt werden. Für viele Schüler*innen wäre es ja oft
das erste Mal auf eine fremde Person zuzugehen, erklärt Frauke Müller,
ehemalige Lehrerin und Zuständige für die Rekrutierung der Schüler*innen an
den Schulen in Hamburg. Für viele der Alten wäre das gemeinsame Hingehen
ganz wichtig. „Was dann passiert, wie gut man sich versteht oder was dann
noch weitergeht, das liegt an den beiden.“
## Konkret etwas tun, damit es den Menschen besser geht
Im Anschluss an das Kulturerlebnis, werden sowohl Senior*in wie auch
Schüler*in um eine Rückmeldung gebeten. „Das ist bei uns im Projekt gängige
Kultur“, erklärt Müller. „Weil wir damit immer ganz dicht dran sind an den
Senior*innen und Schüler*innen.“ Von den älteren Menschen kommt dann oft:
Kultur wäre schön, aber die Begegnung mit den jungen Menschen mache es zu
einem besonderen Erlebnis. „Die Begegnung ist das Entscheidende.“
Auch wenn mal was nicht geklappt hat, fließt das gleich mit in die weitere
Projektentwicklung ein: In einem Fall hätte ein junger Mann die Senior*in,
mit der er verabredet war, telefonisch einfach nicht erreichen können,
hatte dies daraufhin an das Team von KULTURISTENHOCH2 weitergeleitet und
die fanden dann heraus, dass die Dame unter beginnender Demenz leidet. Weil
sie die Menschen aber gerne im Projekt behalten möchten, so Müller, würde
jetzt auf dem Anmeldeformular einfach um eine weitere alternative
Telefonnummer gebeten. Außerdem hätten sie mit der Alzheimer Gesellschaft
Kontakt aufgenommen und jetzt gebe es einen Workshop für die Schüler*innen
zum Thema Demenz. „Die Schüler*innen sind also nicht nur diejenigen, die
die Begleitung machen und die Senior*innen nicht nur die es nutzen, sondern
sie sind auch immer Teilnehmer des Projektes und damit an der Entwicklung
beteiligt,“ erzählt Müller. „Unser partizipativer Charakter ist ein
Qualitätsmerkmal,“ ergänzt Christine Worch nicht ohne Stolz.
„Das Thema Altersarmut muss politisch bewegt werden“, sagt Müller. „Und …
Frage ist: Was können wir ganz konkret in diesem Moment, jeder einzelne von
uns tun, damit es diesen Menschen etwas besser geht, damit sie wieder
teilnehmen können?“ Das wäre auch das Besondere an diesem Projekt, fügt sie
hinzu: „Es bietet die Möglichkeit mit ganz wenig Aufwand viel zu bewirken.“
Doch ganz so minimal ist der Aufwand nicht, jedenfalls nicht für die
Macher*innen der KULTURISTENHOCH2. Jene von Armut betroffenen Senior*innen
überhaupt zu finden und dann auch noch für die Idee zu gewinnen,
beansprucht besonders viel Energie. Der Grund dafür: „Die Scham ist sehr
groß in dieser Gesellschaft, in unserer reichen Stadt Hamburg, sich zu
outen und zu sagen: Ich gehöre zum armen Teil der Gesellschaft“, erklärt
Christine Worch.
Ist das Eis erst einmal gebrochen werden die Schulen in der Nachbarschaft
angesprochen. Dies ist eine weitere Besonderheit des Projekts: Es agiert
bewusst Stadtteil-orientiert. Aus gutem Grund, wie Frauke Müller zu
berichten weiß, denn inzwischen hat sich etwas eingestellt, was die
KULTURISTENHOCH2 zwar als Wunsch hegten, dessen rasches Eintreten sie aber
so nicht erwartet hätten: „Dass es eben auch einfach Begegnungen im
Stadtteil gibt.“ Will heißen, sobald Schüler*innen und Senior*innen einmal
ein Kulturtandem gebildet haben besteht die Chance, dass der Kontakt auch
im Alltag eine Fortsetzung findet.
Bei den Kulturveranstaltungen selber sei es ganz wichtig, sich auf
Augenhöhe zu begegnen, erzählt Worch. Deshalb sei die Karte für die
Veranstaltung auch immer auf den Namen der Senior*innen hinterlegt, die
Schüler*innen bringen zehn Euro aus einem Spendentopf für ein Pausengetränk
mit. „Das besprechen wir mit den Schüler*innen auch im Vorfeld: Es geht an
diesem Abend nicht um Armut, sondern es geht darum, gemeinsam etwas Nettes
zu erleben. Und dazu gehört ein Pausengetränk.“
Gerade im Alter brauche man doch einiges, dass man sich dazu kaufen müsste,
damit man ein bequemeres Leben haben kann, erzählt Worch. 81% ihrer
teilnehmenden Senior*innen seien Frauen. „Altersarmut ist weiblich.“ Viele
der alten Menschen würden berichten, dass sie schon auf dem Weg in den
Rückzug waren, bevor sie zu den KULTURISTENHOCH2 kamen. Das wäre ein sehr
großer Motor für alle Mitarbeitenden, zu merken: „Hey, wir bewirken
wirklich was.“
Sie alle seien sehr überrascht, wie schnell das Projekt gewachsen ist.
Momentan sind sie an einem Punkt ihrer Entwicklung, wo die
Rahmenbedingungen unbedingt professionalisiert werden müssen, damit es die
Kulturtandems auch in Zukunft weiter geben kann. Dazu haben sie gerade die
Stiftung „Generationen-Zusammenhalt“ gegründet. Außerdem entwickeln sie
einen Leitfaden: „Dieses Projekt ist übertragbar auf andere Großstädte, wo
es so etwas wie den Verein Kulturleben gibt“, erklärt Frauke Müller.
Die Renten könnten sie nicht erhöhen, schließt Christine Worch. „Aber wir
können den älteren Menschen verschaffen was normal ist: Nämlich Begegnung,
Austausch und Teilhabe.“
14 Jul 2018
## AUTOREN
Mareike Barmeyer
Anja Weber
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